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Wirtschaftsprognosen Liegen Ökonomen häufiger falsch als früher?

Die sogenannten Wirtschaftsweisen bei einer Pressekonferenz
Die Mitglieder des Sachverständigenrats zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung
© picture alliance/dpa | Bernd von Jutrczenka
Seit drei Jahren liegen die Ökonomen mit ihren Prognosen und Einschätzungen daneben, hat die „New York Times“ den Wirtschaftsforschern kürzlich vorgeworfen. Aber stimmt der Vorwurf?

Es war nicht weniger als ein Frontalangriff, den die renommierte „New York Times“ kürzlich auf die Wirtschaftswissenschaften startete: „Warum liegen Ökonomen eigentlich seit drei Jahren falsch?“, fragte Reporterin Jeanna Smialek, und unterstellte damit eine gewisse Unfähigkeit der Ökonominnen und Ökonomen, richtige Antworten auf die Krisen unserer Zeit zu finden.  

„2021 rechneten die Ökonomen damit, dass die Inflation ein ,vorübergehendes Phänomen‘ sei. Den Großteil des Jahres 2022 verbrachten sie damit, die Hartnäckigkeit der Inflation zu unterschätzen. Und Anfang 2023 sagten sie voraus, dass die Zinserhöhungen der amerikanischen Zentralbank – deren Ziel es war, die Inflation zu bekämpfen – die Wirtschaft in eine Rezession stürzen würden“, schreibt Smialek. All das sei aber nicht eingetroffen.  

Gerade in Krisen kommt der Meinung von Wirtschaftswissenschaftlern ein großes Gewicht zu. Nicht selten orientiert sich die Politik an ihren Einschätzungen. Was aber, wenn sich Ökonominnen und Ökonomen verschätzen? Und zwar nicht um wenige Prozentpunkte, sondern um ganze makroökonomische Trends. 

Annahmen führen zu Fehlern

Natürlich, und das führt Smialek auch an, ist die Prognose wirtschaftlicher Entwicklungen keineswegs einfach. Untersucht man die Vorhersagen während der jüngsten Krisen, merkt man, dass sie stark von ökonomischen Modellen geprägt sind. Damit treffen Wirtschaftsforscher Annahmen zu einem bestimmten Zeitpunkt und für einen bestimmten Zeitraum. Wenn unvorhersehbare Ereignisse eintreffen – etwa ein Krieg oder eine Pandemie – sind ihre Annahmen meist hinfällig. Die Prognose steht aber weiterhin im Raum.

Ein Problem sind aber auch die Annahmen selbst. Diese legen mitunter rationales Verhalten aller Menschen zugrunde – was gruppenübergreifend wenig realistisch ist. Manche Menschen entscheiden beispielsweise aus dem Bauch heraus und entgegen jeder Vernunft. Beispiel Inflation: Ökonomen nehmen klassischerweise an, dass Menschen ihren Konsum im Jetzt vorziehen, weil die Preise in Zukunft höher sein werden. Zumindest in Deutschland sieht die Realität aber häufig anders aus: Viele Deutsche geben ihr Geld nicht direkt aus, sondern halten es zusammen – und tolerieren damit Kaufkraftverluste. Sie konsumieren also weniger, obwohl der neue Fernseher oder das neue Auto morgen teurer sein wird. 

Hier zeigt sich ein wesentlicher Unterschied zur Analyse der „New York Times“, die sich stark auf die USA bezieht. In Deutschland erleben wir 2023 möglicherweise eine leichte Rezession oder zumindest kein bis kaum Wachstum – und zwar maßgeblich getrieben durch den rückläufigen privaten Konsum. Dieser ging im ersten Halbjahr 2023 um durchschnittlich 1,3 Prozent zurück, während die Sparquote mit 13,8 Prozent nominal konstant blieb. In den USA ist das anders, dort funktioniert die ökonomische Lehre besser: Die privaten Konsumausgaben stiegen in den USA im gleichen Zeitraum um 1,6 Prozent. Diese länderspezifischen Besonderheiten beobachten Ökonomen aber schon länger und bereinigen diese in ihren Prognosen.  

Die Volkswirte selbst verteidigen naturgemäß ihre Arbeiten. So zugespitzt wie in der „New York Times“ stimme die Beobachtung nicht, sagt etwa Rudi Bachmann, VWL-Professor an der University of Notre Dame. Ökonomen lägen nicht ständig falsch. „Die New York Times sollte sich vielleicht mal fragen, welche Gruppe von Ökonomen sie rezipiert. Wenn man immer nur auf Paul Krugman hört, dann sind gewisse Fehlprognosen vielleicht auch nicht verwunderlich.“ Er selbst habe keine dieser Vorhersagen getroffen. Eigentlich stimme sogar das Gegenteil. Bachmann führt an, er habe sich für Corona-Stabilisierungspakete ausgesprochen, für eine rasche Abkopplung vom russischen Gas – und gegen die Theorie, dass höhere Zinsen automatisch zur Arbeitslosigkeit führen. „Ich selbst muss aus den vergangenen drei Jahren also nichts zurückzunehmen“, sagt Bachmann. 

„Um es mal ganz drastisch zu sagen: Was diese Bankenökonomen da machen, ist oft ziemlicher Quatsch.“ Rudi Bachmann

Für Bachmann hätten vor allem zwei Gruppen Fehlprognosen getroffen: Tendenziell linke Ökonomen und Bankenvolkswirte, wie Bachmann sie definiert. Vor allem die Wirtschaftsforscher der Kreditinstitute hätten ein systemimmanentes Problem, sagt er: Ihr Mandat sei es, unbedingte Vorhersagen zu machen – oder in anderen Worten: Inflationsprognosen in Prozent abzugeben, ganz unabhängig davon wie sich die Welt weiterentwickelt. „Auf solche unbedingten Vorhersagen würden sich nur wenige akademische Ökonomen einlassen. Und zwar aus guten Gründen: Die moderne Ökonomik hat gezeigt, dass – wegen Erwartungsfeedbackeffekten – unbedingte Vorhersagen in der Regel sinnlos sind.“ Damit meint Bachmann zum Beispiel den Effekt von Inflationserwartungen auf die reale Inflation.

Akademische Ökonomen würden allenfalls „Wenn-dann“-Aussagen treffen – bedingte Vorhersagen: Wenn sich die Welt nicht verändert, dann wird die Inflationsrate morgen x Prozent betragen. Für Bachmann ist alles andere ziemlich unseriös: „Um es mal ganz drastisch zu sagen: Was diese Bankenökonomen da machen, ist oft ziemlicher Quatsch.“ 

Schocks kaum zu prognostizieren

Diese Aussage würde Jörg Krämer wohl kaum unterschreiben. Der Chefvolkswirt der Commerzbank und damit genau ein solcher Bankenökonom, geizt trotzdem nicht mit Kritik an seiner Zunft. „Kaum ein Ökonom trifft mit seinen Prognosen die Nachkomma-Stelle. Prognosefehler sind also normal“, sagt Krämer zu Capital. „Aber seit Ausbruch von Corona sind sie schon außergewöhnlich hoch.“ Die Gründe dafür lägen auf der Hand: externe Schocks, wie zum Beispiel Corona und der Ukrainekrieg. Und die daraus folgenden Dynamiken, etwa bei den Energiepreisen, ließen sich kurzfristig kaum seriös einschätzen. Dieser Teil sei also entschuldbar, so Krämer.  

Dennoch müssten sich „viele Ökonomen vorwerfen lassen, die Inflationsrisiken auch dann noch kleingeredet zu haben, als sie schon sichtbar waren“. Viele hätten das Narrativ der Europäischen Zentralbank viel zu unkritisch übernommen, wonach der Inflationsanstieg nur vorübergehend sei. Das sei innerhalb der Commerzbank zwar anders gewesen. „Aber auch wir haben das Ausmaß der Inflation unterschätzt“, sagt Krämer.

Nach der schrittweisen Einpreisung des Ukrainekriegs würden auch die Prognosefähigkeiten wieder besser werden, meint Krämer. „Die Ökonomen haben die Entwicklung des deutschen Bruttoinlandsprodukts für dieses Jahr ziemlich gut prognostiziert.“ So hätten sie Ende 2022 für 2023 einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um 0,7 Prozent vorhergesagt. Tatsächlich zeichne sich ein Minus von 0,5 Prozent ab. „Das wäre ein ziemlich kleiner Prognosefehler“, sagt Krämer. Insofern ließe sich festhalten, dass Ökonomen vor allem mit dynamischen Krisensituationen – und damit kurzfristig – überfordert seien.

Und dennoch: „Eine schlechte Prognose ist immer noch besser als gar keine Prognose“, sagt Reint Gropp. Der Präsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle kann die Kritik von Rudi Bachmann in Teilen nachvollziehen. Seiner Ansicht nach sind den Ökonominnen und Ökonomen aber die Hände gebunden. „Wenn die Bundesregierung eine Prognose anfordert, dann müssen wir sie auch liefern. Und die braucht die Bundesregierung auch, um den Haushalt zu planen.“ Da könne man sich nicht den Luxus von Herrn Bachmann erlauben und sagen, „dass wir so etwas nicht machen“.  

Dass die Prognosen recht häufig danebenliegen, sei allen Wirtschaftswissenschaftlern klar. Die „New York Times“ habe Recht, sagt Gropp. „Ja, wir waren besonders schlecht. Aber es wundert mich auch nicht, dass wir besonders schlecht waren, weil die Datenlage in Zeiten von großen Veränderungen, wie Corona oder der Finanzkrise, schwierig ist. Und wenn die Datenlage schwierig ist, ist die Prognose nicht besonders gut. So einfach ist das.“ 

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