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Italien Wie Steuergutschriften in Italien einen Milliarden-Betrug lostraten

Die Regierung Conte hatte im Laufe des ersten Pandemiejahres unterschiedliche Boni erlassen.
Die Regierung Conte hatte im Laufe des ersten Pandemiejahres unterschiedliche Boni erlassen.
© IMAGO / Zoonar
Eigentlich sollten die Steuergutschriften die Baubranche vor den Pandemiefolgen schützen. Doch das System ist betrugsanfällig

Der sonst so auf seine Worte bedachte italienische Finanzminister Daniele Franco wird mehr als deutlich: Auf einer Pressekonferenz spricht er „von einem der größten Betrugsskandale der Republik“. Die Rede ist von steuerermäßigenden Hilfsmaßnahmen, die 2020 infolge der Pandemie vom damaligen Premier Giuseppe Conte bewilligt wurden, um die Bausparte wieder anzukurbeln und gleichzeitig die Bürger dazu zu bringen, ihre Häuser energieeffizient zu sanieren. 

Die Idee war nicht verkehrt. Immerhin leben 80 Prozent der Italiener in einer Eigentumswohnung. Der Plan ist aufgegangen. Nur leider mit einem äußerst unliebsamen und für das Land beschämenden Nebeneffekt: ein Steuerbetrug von geschätzten 4 Milliarden Euro. Davon wurden mittlerweile 2,5 Milliarden Euro sichergestellt, 1,5 Milliarden Euro gelten als verloren.

Aber der Reihe nach. Die Regierung Conte hatte im Laufe des ersten Pandemiejahres unterschiedliche Boni, sprich Steuergutschriften, erlassen, einmal für die Fassadenrenovierung, ein andermal für erdbebenresistente Bauten und schließlich den sogenannten „Superbonus 110“ für eine grundlegende Sanierung. Letzterer steht jetzt besonders im Visier der Ermittler.

Sanieren für 0 Cent

Während beim Fassadenbonus bis Ende 2021 zunächst 90 Prozent und danach 60 Prozent der Spesen als Steuergutschrift zurückerstattet werden, ermöglicht der Superbonus den Hausbesitzern, ihre Immobilien vom Dach bis zum Keller energieeffizient zu sanieren, ohne einen Cent dafür auszugeben. Denn die Bezeichnung „Superbonus 110“ bedeutet, dass die Kosten zu 110 Prozent von einer Steuergutschrift, demzufolge vom Staat gedeckt sind. Theoretisch ist also sogar eine Gewinnmarge von 10 Prozent inklusive.

Die Erstattung des Bonus kann auf zweierlei Weisen erfolgen: Entweder wird dieser in einer Zeitspanne von zehn Jahren von den zu bezahlenden Steuern abgezogen – eine Option, die aber die wenigsten in Betracht ziehen – oder er wird als Zahlungsmittel verwendet, was der Großteil vorzieht. Anstatt das Bauunternehmen zu bezahlen, überträgt der Auftraggeber diesem seine Steuergutschrift. Das Unternehmen kann sie seinerseits als Zahlung an Dritte weitergeben. Was absolut legal ist und keine betrügerische Absicht voraussetzt.

Und genau hier ist der Haken an der Sache, der auch die Erklärung liefert, warum so viele ein lukratives Geschäft wittern. Wie der Vorsitzende des Verbands der italienischen Bauunternehmen unlängst hervorhebt, sind allein im letzten Jahr 1600 neue Unternehmen wie Pilze aus dem Boden geschossen. Nichts sei leichter in Italien, als ein Bauunternehmen zu gründen.

Ein Zeugnis, das die Fachkompetenz belegt, ist dafür nicht nötig. Wenig verwunderlich: Etliche dieser neuen Bauunternehmen sind Scheinfirmen, die weder Angestellte noch Sanierungsarbeiten durchgeführt haben, wie die Ermittler feststellten. Der Fiskus verlangte auch keine Nachweisbelege für die erfolgten Arbeiten. So wurden die Steuer-Boni munter von einem zum anderen gewinnbringend verkauft – und am Ende den Banken zum Inkasso vorgelegt.

Auch EU-Gelder verscherbelt

Bis jetzt hat der italienische Staat für diese Boni-Politik 38 Milliarden Euro ausgegeben, 14 Milliarden davon stammen aus dem EU-Wiederaufbaufonds für die Steigerung der Energieeffizienz. Das erklärt auch Mario Draghis schroffe Zurechtweisungen vor einer Woche in Richtung Fünf-Sterne-Bewegung: „Gerade diejenigen, die verlangen, dass es weitergehen soll wie bisher, haben das Gesetz geschrieben, das es ermöglicht hat, Bau- und Sanierungsaufträge ohne jegliche Kontrolle durchzuwinken“, schimpft der Premierminister. 

Er selber wollte schon voriges Jahr den Superbonus auslaufen lassen, musste sich aber letztendlich dem Widerstand der Parteien beugen. Gerade diese Steuervergütungen habe der Branche wieder auf die Beine geholfen, lautete ihr Einwand. Vor allem die Fünf-Sterne-Bewegung, die diesen Bonus durchgesetzt hatte, wehrte sich und will auch jetzt nichts von Maßnahmen wissen, die den Handel mit den Steuergutschriften stringenter regelt.

Nichtsdestotrotz werden diese kommen. In Zukunft darf der Bonus maximal dreimal weitergegeben und nur bei Banken und Finanzvermittlern, die in einem Register der italienischen Notenbank aufgelistet sind, kassiert werden. Außerdem soll ein Ausfalldatum des „Superbonus 110“ sowie eine schrittweise Kürzung der Steuergutschrift festgelegt werden.

Der Beitrag ist zuerst erschienen auf ntv.de

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