Die „Scheherazade“ ist 140 Meter lang, 23 Meter breit und 700 Millionen Dollar wert. Die Yacht der Superlative verfügt über sechs Stockwerke, zwei Hubschrauberlandeplätze, einen Swimmingpool, einen Spa-Komplex, einen Schönheitssalon, 22 Kabinen und vieles mehr. Während die Ausstattung keine Wünsche und Fragen offenlässt, hütet die „Scheherazade“ ein großes Geheimnis. Niemand weiß, wem sie tatsächlich gehört.
Sie fährt unter Flagge der Cayman Islands. Registriert ist sie aber auf eine Gesellschaft, die ihren Sitz auf den Marshall Islands hat. Gebaut wurde die Yacht 2020 in der Lürssen-Kröger Werft. Auf der Website der Erbauer mit Sitz am Nord-Ostsee-Kanal taucht sie allerdings nirgendwo auf – obwohl hier die anderen Luxus-Bauten der Werft wirkungsvoll in Szene gesetzt werden. Nicht mal ihr Name ist auf der Yacht zu sehen, die gerade im italienischen Hafen von Marina di Carrara vor Anker liegt. Die „Scheherazade“ soll mit einer Abdeckung ausgestattet sein, die ihr stets Anonymität gewährt.
„Die 'Scheherazade' ist die geheimnisumwittertste Yacht überhaupt. Sie ist das einzige Schiff auf der Liste der 20 größten Yachten dieser Welt, die keinen Besitzer hat“, erläutert Georgij Alburow in einem Interview. Alburow ist ein langjähriger Mitstreiter von Alexej Nawalny, Mitarbeiter der ersten Stunde seiner Anti-Korruptions-Stiftung. Unermüdlich arbeitet er daran, die Reichtümer, die russische Oligarchen und Politiker angehäuft haben, der Welt zu zeigen. Es waren seine Drohnen, die Einblicke in die versteckten Luxuswelten von Dmitrij Medwedew, Sergej Lawrow und Wladimir Putin höchstpersönlich gaben.
Besatzungsliste der Yacht führt zu Wladimir Putin
Nun hat sich das Team von Nawalny, der am vergangenen Dienstag in einem weiteren falsifizierten Verfahren zu neun Jahren Haft verurteilt worden war, zur Aufgabe gemacht, das Rätsel der „Scheherazade“ zu lösen. Eine Besatzungsliste der Yacht vom Dezember 2020 liefert neue Indizien, die nahelegen, dass nur Wladimir Putin der Besitzer des Luxusschiffs sein kann.
Die Besatzungsliste, die dem Nawalny-Team zugespielt wurde, führt alle ständigen Besatzungsmitglieder auf, inklusive der Nummern ihrer Visa und Geburtsdaten. In einem Enthüllungsvideo wird diese Liste in Auszügen gezeigt. Der erste Hinweis: Mit Ausnahme des Kapitäns sind alle Besatzungsmitglieder russische Staatsangehörige. Für sich allein genommen würde dieser Umstand schlicht auf einen russischen Besitzer deuten. Doch mindestens zehn der Besatzungsmitglieder konnten durch Nawalnys Team als Offiziere des FSO identifiziert werden.
Das ist der zweite Hinweis. Der Föderale Sicherheitsdienst der Russischen Föderation ist ein russischer Spezialdienst, dessen Hauptaufgabe die Sicherheit des russischen Präsidenten und der russischen Regierung ist. Neben dem Personenschutz der Staatsspitze kann der russische Präsident diesen Dienst auch für Abwehr- und Aufklärungsaufgaben einsetzen.
Der Chief Officer der „Scheherazade“, der zweite Mann hinter dem Kapitän auf einem Schiff, gehört demnach dem FSO an. Genauso wie der Bootsmann und sein Helfer, mehrere Angehörige des Security-Personals, der Zuständige für die Landung von Hubschraubern auf der Yacht, Matrosen und Diver.
Vom „Kreml unter Palmen“ auf die Yacht
Sie alle arbeiten nicht nur beim FSO, sondern sind einem ganz besonderen Objekt zugeordnet: der Staatsresidenz „Botscharew Rutschej“ des russischen Präsidenten. Sie alle führen den FSO-Sicherheitsdienst im Kaukasus als ihren Arbeitgeber auf. Dies ist der entscheidendste dritte Hinweis. Denn es ist jene Abteilung, die für den parkähnlichen Komplex verantwortlich ist. Im Russischen wird die Residenz auch „Kreml unter Palmen“ genannt. Hier verbringt Putin sehr viel Zeit, empfängt internationale Gäste.
„Ich kann mir keinen besseren Beweis dafür ausdenken, dass diese Yacht Putin gehört“, fasst die Nawalny-Mitstreiterin und Investigativjournalistin Maria Pewtschich die Ergebnisse der Recherchen zusammen. „Sogar in Italien, tausende Kilometer von Moskau entfernt, arbeiten dort Menschen, die offiziell zum Sicherheitspersonal und persönlichem Stab Putins gehören. Dieselben Leute, die Putin in seinen Residenzen und auf seinen Reisen versorgen und sein gesamtes Leben managen, fliegen zusammen nach Italien, um dort auf einer der teuersten Yachten der Welt zu arbeiten.“
Auch bei dem mittlerweile berüchtigten Putin-Palast an der Küste des Schwarzen Meers trat in den Dokumenten der FSO als Erbauer von Grenzposten und Funkanlagen auf dem Gelände des Anwesens auf. Außerdem wird das Gebiet vom FSO bewacht.
Kapitän unter „wasserdichter Geheimhaltungsvereinbarung“
Bereits seit dem 8. März hat die US-Justiz die „Scheherazade“ im Blick, berichtete die „New York Times“. Auch italienische Behörden untersuchen die Besitzverhältnisse. Endgültige Beweise für eine Verbindung zu Putin liegen aber noch nicht vor. Der Kapitän des Schiffes, Guy Bennett-Pearce, sagte nur aus, dass die Yacht einem Russen gehöre. Der Brite berief sich während des Interviews auf eine „wasserdichte Geheimhaltungsvereinbarung“, aufgrund derer er nichts über den Besitzer sagen könne.
Sollte es sich tatsächlich herausstellen, dass die Yacht Putin zuzuordnen ist, kann sie vom italienischen Staat beschlagnahmt werden. Denn Putin steht aufgrund des Angriffskrieges in der Ukraine auf .
Die italienische Zeitung La Stampa und die Regionalzeitung Il Gazzetino hatten zuvor unter Berufung auf italienischen Behörden berichtet, die Yacht gehöre Eduard Jurjewitsch Chudainatow. Der langjährige Weggefährte Putins könnte ein weiterer Strohmann sein, über den der Kreml-Chef seine Besitztümer versteckt. Im Jahr 2000 leitete Chudainatow das Wahlkampfhauptquartier von Wladimir Putin und wurde im August desselben Jahres „für seine Arbeitserfolge und seinen großen Beitrag zur Stärkung der Freundschaft und Zusammenarbeit zwischen den Völkern“ mit einem Verdienstorden ausgezeichnet. Von 1996 bis 1997 war er stellvertretender Leiter der Verwaltung des Gebiets Neftejugansk und gründete dort ironischerweise einen Yachtclub für Kinder.
2003 wurde Chudainatow Leiter von Severneftegazprom, einer Tochtergesellschaft von Gazprom. Von 2010 bis 2013 war er Präsident des russischen Mineralölunternehmens Rosneft. Im Februar 2021 wurde bekannt, dass Rosneft seinem ehemaligen Präsidenten für 9,6 Milliarden Dollar seine Firma Taimyrneftegaz abkaufte. Ein denkwürdiger Deal, vor allem wenn man bedenkt, dass wenig später eine weitere Firma von Chudainatow ihren Anteil am Unternehmen RN Severnaya Neft auf 100 Prozent erhöhte, wo Rosneft zuvor 16 Prozent gehalten hatte.
Dieser Beitrag ist zuerst auf stern.de erschienen.