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Zahlungsverkehr Warum die Technikkette Gravis kein Bargeld mehr akzeptiert

Zahlen Sie bar oder mit Karte? – eine Frage, die sich bei Gravis nicht stellt
Zahlen Sie bar oder mit Karte? – eine Frage, die sich bei Gravis nicht stellt
© IMAGO / Westend61
Während Kartenzahlungen in vielen Länder mittlerweile Standard sind, hängen viele Deutsche weiter an ihren Münzen und Scheinen. Einen umso überraschenderen Schritt geht Gravis, das Bargeld komplett aus seinen Stores verbannt

Ein paar Scheine und Münzen haben die meisten Menschen in der Regel in ihrem Portemonnaie. Gerade in Deutschland ist bargeld- und kontaktloses Bezahlen nicht so weit verbreitet wie in anderen europäischen Ländern. Für mehr als die Hälfte der Bevölkerung (54 Prozent) ist Bargeld laut einer Studie der Unternehmensberatung Strategy& noch immer das beliebteste Zahlungsmittel. 

Das hat die Technikkette Gravis nicht davon abgehalten, künftig in allen 40 Filialen in Deutschland kein Bargeld mehr anzunehmen. Selbst Zubehörteile, die nur wenige Euro kosten, können nicht mehr mit Münzen oder Scheinen bezahlt werden. Das Unternehmen begründet seinen Schritt damit, dass der Anteil der Bargeldzahlung schon seit rund zwei Jahren „zu vernachlässigen“ sei. Nur ein „kleiner einstelliger Prozentanteil“ der Kunden zahle bei Gravis heute noch bar.

Die Umstellung ist laut Jürgen Moormann, Professor für Bank- und Prozessmanagement an der Frankfurt School of Finance and Management, zwar durchaus ein Vorgeschmack auf die Zukunft des Einzelhandels. „Die Entscheidung, nur noch Kartenzahlung zu akzeptieren, ist für Gravis allerdings unproblematisch“, sagt er im Gespräch. Die Zielgruppe der Technikkette sei technikaffin und das Risiko, Kunden mit der Entscheidung zu vergraulen, minimal.

Kosten für Händler sind gering

Die Liebe zum Bargeld ist in Deutschland zwar noch ungebrochen. Doch auch hierzulande hat die Corona-Pandemie digitalen Bezahlwegen Auftrieb verschafft – und das nicht nur bei Menschen, die sich für Technik begeistern. Das kontaktlose Bezahlen mit Girocards und Kreditkarten an der Ladenkasse nutzen laut einer Umfrage des Kreditkartenanbieters Visa inzwischen fast alle Verbraucher (91 Prozent) zumindest ab und zu. Vor drei Jahren war es gerade mal jeder Zweite. Viele haben während der Pandemie Vorteile wie Schnelligkeit und Sicherheit von Kartenzahlung zu schätzen gelernt. 

Nichtsdestotrotz wird Kartenzahlung noch längst nicht überall angeboten. Gerade in kleinen Geschäften ist häufig nur Bargeldzahlung möglich. Die Begründung: Kartenlesegeräte und Transaktionskosten sind zu teuer. Dass es sich die Bäckerei um die Ecke nicht leisten kann, Kartenzahlung zu akzeptieren, hält Stefan Huch, Zahlungsverkehrsexperte der Unternehmensberatung Capgemini Invent, für vorgeschoben. Die Kosten in Höhe von 0,2 Prozent bei Debitkarten und 0,3 Prozent bei Kreditkarten seien schließlich nicht besonders hoch. 

Was Geschäftsinhaber laut Moormann von der Frankfurt School of Finance and Management auch übersehen: Das Bargeld-Handling kostet eine Menge Geld. „Jeden Abend muss in Geschäften Kasse gemacht werden, Geld auf Falschgeld geprüft werden, das Geld zur Bank gebracht werden usw. Die Annahme von Geschäftsinhabern, dass Bargeld nichts kostet, ist eine Illusion.“ Dem pflichtet auch Huch von Capgemini bei. „Gerade Einzelhändler tricksen hier, indem sie ihre Mitarbeiter das Geld nach Schichtende zählen lassen“, sagt Huch. Damit fallen für die Händler keine Kosten an, für das Personal bleibt es ein zusätzlicher Aufwand.

Für viele gilt Leitsatz: „Bargeld ist King“

Bislang können Geschäfte noch selbst entscheiden, ob sie Kartenzahlung anbieten oder eben nicht. Daran wird sich so schnell auch nichts ändern. Eine Regelung, die Händler dazu verpflichtet, auch digitale Bezahlwege zu akzeptieren, ist laut Experten nur schwer umzusetzen. „Ich gehe davon aus, dass eine solche Pflicht kodifiziert wird, sobald digitale Währungen eingeführt sind“, sagt Wirtschaftswissenschaftler und Zahlungsverkehrsexperte Aloys Prinz. Alle großen Zentralbanken testen sogenannte Central Bank Digital Currencies bereits. Sobald etwa der digitale Euro eingeführt ist, könnte seiner Einschätzung nach auch eine entsprechende Annahmepflicht kommen. Unter Umständen sogar schon in fünf Jahren. 

Noch ist Bargeld allerdings in Deutschland das einzige gesetzlich anerkannte Zahlungsmittel. Juristischen Ärger befürchtet Gravis trotzdem nicht. Das Unternehmen beruft sich auf die Möglichkeit, „dass ein gesetzliches Zahlungsmittel ausgeschlossen werden kann, sofern darüber informiert wird“. Das geschehe durch Hinweise in den Stores, „in Form von gut sichtbaren Aufstellern im Kassenbereich“ sowie über die Allgemeinen Geschäftsbedingungen. 

Für Zahlungsverkehrsexperten Huch ist damit allerdings noch lange nicht klar, ob Gravis mit seiner Entscheidung den ersten Schritt in ein neues Zeitalter der bargeldlosen Transaktion macht. Seiner Einschätzung nach könnte sich auch herausstellen, dass Barzahlung nicht aus unserem Alltag wegzudenken ist. "Für mich gilt immer noch der Leitsatz 'Cash ist King'“, sagt Huch. Für viele stehe Barzahlung eben noch immer für Sicherheit, Privatsphäre, Unabhängigkeit oder persönliche Freiheit. 

Dieser Artikel ist zuerst auf ntv.de erschienen 

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