Analyse Tops und Flops der G20

Hamburg ist Schauplatz des G20-Gipfels. In zentralen Fragen sind die G20-Länder so uneins wie nie. Was steht auf dem Spiel?
Angela Merkel spricht bei einer Konferenz der G20-Gesundheitsminister
Angela Merkel spricht bei einer Konferenz der G20-Gesundheitsminister

Von der Feuerwehr gegen die Finanzkrise 2008 entwickelte die G20 sich zum Gestalter der Weltwirtschaftsordnung. Wirtschaftswachstum und globale Finanzarchitektur bleiben Dauerbrenner. Doch längst drängen andere Probleme in den Vordergrund, wie der Klimawandel auf einem überforderten Planeten, die Steuervermeidung global agierender Konzerne oder der immer dringer werdende Kampf gegen Terrorismus und kriminielle Cyberattacken.

„Dieser Gipfel ist von historischer Bedeutung“, sagt der Präsident des Instituts für Weltwirtschaft (IfW), Dennis Snower. Der Hamburger Gipfel werde zeigen, ob der Prozess entgleise, wenn Washington sich in wichtigen Punkten dem Konsens verweigere? Die G20 müsse mit dem Konflikt zwischen einer integrierten Welt mit nur multilateral lösbaren Problemen und nationalistischen Auswüchsen frei nach „Our Country First“ fertig werden.

Nur, was hat die G20 eigentlich erreicht als Motor einer globalen Ordnungspolitik, die einer Weltwirtschaftsregierung noch am nähesten kommt? Nur Tops, oder auch Flops? Und droht jetzt die Rolle rückwärts?

Freihandel: Abschottung kommt in Mode

Trotz des zentralen Schwurs auf offene Märkte als Handelstreiber haben die G20-Länder Handelshemmnisse eher auf- als abgebaut. Allein 2016 hätten protektionistische Maßnahmen um zehn Prozent zugenommen, klagt EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström. Damit gingen den europäischen Unternehmen 27 Mrd. Euro verloren. Dumpingstahl aus China, Abchottung heimischer Agrarmärkte, Einfuhrstandards für Industrieprodukte. Beispiele gibt es viele.

Schreitet der Protektionismus weiter so fort wie in den vergangenen zehn Jahren, würde das der G20 bis 2030 mehr als 440 Mrd. Euro an Wirtschaftsleistung kosten, zitierte die FAZ das Baseler Forschungsinstitut Prognos. Das Handelsvolumen fiele um 470 Mrd. Euro geringer aus. Folglich warnt die Bundeskanzlerin und Gastgeberin Angela Merkel: Wohlstandsgewinne der Globalisierung dürften nicht durch Abschottung und Protektionismus zurückgedreht werden. Dieses zentrale Signal soll der Gipfel geben – wahrscheinlich gegen den Widerspruch mindestens eines Amerikaners am Tisch.

In einem Scoreboard errechneten Forscher der University of Toronto, wie weit die Zusagen der G20 eingehalten werden. Aus 15 Themenfeldern ermittelte das G20-Observatorium für den Handel eine „Compliance“ von 63 Prozent, für die Finanzmarktregulierung von 75 Prozent.

Finanzsystem: stabiler, aber schon stabil?

Hat die G20 beim Finanzsystem also ihre Ziele im Großen und Ganzen erreicht? Ex-Bundesbankchef Axel Weber sieht die internationalen Finanzsysteme noch nicht in der „Normalität“ angekommen. Gegen eine drohende weltweite Rezession stemmte die G20 sich ab 2008 mit Konjunkturspritzen im Wert von mehr als 4000 Mrd. US-Dollar, strafferer Finanzmarktregulierung und der Stärkung nationaler Banksysteme. Der Gipfel in London (2009) beschloss höhere Eigenkapitalvorschriften für Banken sowie Vergütungsgrenzen für Bankmanager. Seoul (2010) brachte mit „Basel III“ den Schlussteil des Reformpakets auf den Weg. Beim Gipfel in Antalya (2015) einigte sich die G20 im Sinne von „too big to fail“ zudem auf zusätzliche Kapitalpuffer für systemrelevante Banken, um zu verhindern, dass für eine Pleite der Steuerzahler aufkommen muss.

Das abgestimmte Verhalten beruhigte die Märkte und verhinderte einen Crash wie 1930 und ein Abwertungsrennen der Währungen. Ohne die politische Unterstützung für wichtige Meilensteine wäre eine schärfere Regulierung kaum vorstellbar gewesen, betont der heutige Bundesbankpräsident Jens Weidmann. Die Kapitalausstattung des Bankensystems sei „angemessener“, das globale Finanzsystem „stabiler“.

Während noch um den Schlussteil des Basel III-Pakets gerungen wird, zeichnet sich ein neue Nagelprobe ab: US-Präsident Donald Trump kündigt durch sein Dekret zur Überprüfung des Dodd Frank-Acts – sozusagen die Umsetzung der G20-Beschlüsse in den USA - das Prinzip der internationalen Kooperation in der Finanzmarktregulierung auf. Dabei wäre es brandgefährlich, die Zügel wieder zu lockern, ein „race to the bottom“ anzustoßen und neue Spekulationsblasen freizusetzen.

Steuern: Schlupflöcher sind nicht naturgegeben

Großkonzerne wie Apple in Europa oder Rohstoffriesen in Afrika sollen es schwerer haben, durch das Verschieben von Gewinnen ihre Steuerschuld kleinzurechnen. Eine deutsch-britische Initiative mündete 2015 in einen 15-Punkte-Plan, der die Steuertricksereien unterbinden soll. Schließlich entgehen den G20-Staaten Steuern in Milliardenhöhe, wenn Apple seine Steuern in Irland zahlt. Staaten sollen jedoch auch schädlichen Steuerwettbewerb unterlassen. Mit der sogenannten BEPS-Initiative (Base Erosion and Profit Shifting) sollen Gewinne in dem Land versteuert werden, in dem sie erwirtschafter wurden. Der Beginn eines automatischen Austauschs von steuerrelevanten Informationen ist ab 2017 vereinbart.

Die Intiative ist ein Beispiel für übergreifende Anliegen, die internationales Recht entwickeln. Die Industriestaatenorganisation OECD veröffentlichte konkrete Empfehlungen, die jetzt umzusetzen sind. Damit will man auch das Vertrauen der Bürger gewinnen, denn Steuergerechtigkeit ist in Mode. Deutschland hat u.a. in der EU-Amtshilferichtlinie den Informationsaustausch geregelt. Die länderbezogene Berichterstattung großer Unternehmen mit mindestes 750 Mio. Euro Umsatz berät derzeit die EU. Die Regierung unterzeichnete zudem einen völkerrechtlichen Vertrag zur Modifikation bestehender Doppelbesteuerungsabkommen.

Eine breite Umsetzung kann Jahre dauern und birgt viel Zündstoff zwischen Firmen und Staaten, wie auch zwischen den Ländern. Kritikern wären einheitliche Mindeststeuern, zumindest in der EU, lieber gewesen. Schon das ist nicht durchsetzbar. Mit dem Brexit droht nun ein Rückschlag: Die britische Premierministerin Theresa May droht offen damit, die Insel zu einem Steuerparadies umzubauen.

Klimawandel: weit entfernt von den Zielen

Trotz der gesteigerten Investitionen in grüne Technologien droht die G20 das Pariser Klimaziel einer Erderwärmung von deutlich unter zwei Grad weit zu verfehlen. Dafür verläuft die Abkehr von fossilen Energien zu schleppend. Als Hauptgrund macht die internationale Initiative Climate Transparency die weiterhin hohen und häufig subventionierten Investitionen in fossile Industrien aus. Die Energie- und CO2-Intensität sinke. Es ergebe sich aber noch keine Verminderung der Treibhausgase.

Wenn auch die fossilen Energien den Energiemix der G20 noch stark dominieren, so sind die erneuerbaren Energien doch stark auf dem Vormarsch – nicht zuletzt in China, einem Unterzeichner des Klimabkommens. Die Dekarbonisierung der Wirtschaft hat begonnen. In der G7 ist sie schon ausgerufen. Die USA haben CO2-Emissionen sogar erfolgreicher reduziert als Deutschland.

Widerstände haben ein klares Klimaziel der G20 bislang verhindert. Die Gastgeberin zeigt daher Ehrgeiz: „Ich bin fest entschlossen, die Verhandlungen auf dem G20-Gipfel so zu führen, dass sie dem Pariser Klima-Abkommen dienen“, sagt Merkel. Wie sie die Kollission mit der Trump-Regierung vermeiden will, die aus dem Abkommen ausgestiegen ist, lässt sie offen. Dirk Messner, Chef des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik (DIE), hält es für möglich, dass eine „kritische Masse“ von 16 bis 17 Ländern voranschreiten. Das wäre ein großer Erfolg. Denn: „Mit einer Blockade würde die G20 zur G-Null.“

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