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Solarindustrie So kann Europa seine Energie-Souveränität sichern

Solarpark in Brandenburg: Bei fast allen großen PV-Projekten kommen die Solarmodule derzeit aus China
Solarpark in Brandenburg: Bei fast allen großen PV-Projekten kommen die Solarmodule derzeit aus China
© IMAGO / Christian Ender
Bei wichtigen Energiewende-Technologien ist die EU abhängig von China. Nun braucht es einen umfassenden industriepolitischen Plan, findet First-Solar-Europachefin Anja Lange

Es ist ermutigend zu sehen, dass Europa im Streben nach strategischer technologischer und energiepolitischer Souveränität den Aufbau industrieller Produktionskapazitäten für Erneuerbare Energien zunehmend forciert. Damit schafft Europa günstige Voraussetzungen für eine souveräne und risikoaverse Versorgung mit sauberer Energie aus grünen Technologien und unterstützt den Abbau unberechenbarer internationaler Lieferketten und die damit verbundenen Risiken für Wirtschaft, Klimaschutz und die Einhaltung der Menschenrechte.

Dennoch sind weitere große Anstrengungen der EU im Zuge des Netto-Null-Gesetz der Europäischen Kommission (Net Zero Act) und des Befristeten Rahmens zur Krisenbewältigung und zur Gestaltung des Wandels (Temporary Crisis and Transition Framework) erforderlich. Europa ist fast vollständig dem Rhythmus unkontrollierbarer Lieferketten aus China unterworfen. Währenddessen bieten die USA und Indien massive Subventionen für die heimische PV-Industrie und entwickeln sich zunehmend zu attraktiven Investitionsmärkten.

Chinesen exportieren auf Vorrat

Europa ist bei der Lieferung von Solarmodulen nach wie vor fast vollständig von China abhängig. Im Jahr 2021 importierte die EU laut Daten von Eurostat Solarmodule im Wert von 9,8 Mrd. Euro, wobei der größte Anteil der Module aus China stammte, das die weltweiten Lieferketten für kristalline Siliziummodule dominiert. Vorläufigen Berichten zufolge exportierten chinesische Solarmodulhersteller in den ersten acht Monaten des Jahres 2022 Solarmodule mit einer Leistung von insgesamt 60 Gigawatt nach Europa. Diese Zahl übersteigt die für Europa im Jahr 2022 prognostizierte Anzahl geplanter Installationen von Solarmodulen mit einer Gesamtleistung von 39,1 Gigawatt bei Weitem. Dies legt den Schluss nahe, dass hier Lagerbestände aufgebaut wurden –  aus verschiedenen Gründen. Einer davon ist die erwartete neue EU-Gesetzgebung zur Zwangsarbeit, die sich auf die chinesischen Lieferketten für Solarmodule auswirken könnte.        

Diese Ausgangslage gilt nicht nur für die Solarindustrie. China dominiert etwa auch die globalen Lieferketten für Lithium-Ionen-Batterien. 2022 waren 75 Prozent der weltweiten Produktionskapazitäten für Batteriezellen und 90 Prozent der Produktionskapazitäten für Anoden und Elektrolyte in China angesiedelt. Importe aus China und sein wettbewerbswidriges Verhalten untergraben die langjährige Führungsrolle europäischer Unternehmen im Bereich der Windturbinentechnologie. China ist zunehmend bestrebt, seine Dominanz auch auf andere Bereiche der sauberen Energien auszudehnen, investiert in Produktionskapazitäten für Elektrolyseur-Technologien und stellt inzwischen sogar eine ernsthafte Konkurrenz für europäische Hersteller von batterieelektrischen Fahrzeugen auf deren Heimatmärkten dar.

Vor diesem Hintergrund wird deutlich, worin die zentrale Herausforderung der europäischen Energiewende besteht. Die ambitionierten Klimaziele Europas setzen eine Industriepolitik voraus, die sicherstellt, dass die dafür notwendigen Rohstoffe und Vorprodukte sowie Technologien und Produktionskapazitäten in ausreichendem Maße zur Verfügung stehen. Im Klartext: Nur mit einem wirklich umfassenden Industrieplan für den Green Deal werden sich die Investitionen der europäischen Steuerzahler in saubere Energieversorgungsketten auszahlen, und nur dann wird eine politisch und wirtschaftlich nachhaltige Wertschöpfung entstehen.

Europa darf nicht zum reinen Montageplatz werden

Wie könnte ein solch umfassender Rechtsrahmen aussehen? Erstens können finanzielle Anreize – wie wir sie in den USA und Indien sehen – als Katalysatoren für die heimische Wirtschaft dienen. Europa muss sicherstellen, dass es nicht zum reinen „Montageplatz“ mit geringer Wertschöpfung wird, während die wesentlichen Produktionswerte anderswo entstehen. Es müssen Anreize für eine vertikale Integration geschaffen werden mit dem Ziel, die gesamte Wertschöpfungskette anzusiedeln. Unternehmen, die Solarmodule aus importierten Komponenten zusammensetzen, würden von einem solchen Modell am wenigsten profitieren, während Hersteller, die vollständig vertikal integriert sind, den größten Nutzen daraus ziehen würden.

Darüber hinaus könnte sich die Europäische Union ein Beispiel an dem US-Gesetz zur Bekämpfung der Inflation, dem Inflation Reduction Act (IRA), nehmen und – zusätzlich zu den Investitionsanreizen – flankierende Anreize zur Senkung der Betriebskosten beispielsweise in Form von Steuervorteilen schaffen. Dieser Ansatz würde – wie in den USA zu beobachten – eine nachhaltige(re) Rendite der europäischen Investitionen gewährleisten und Ressourcen freisetzen, mit denen die Hersteller ihre Produktion sowie Forschung und Entwicklung ausweiten könnten.

Zweitens müssen Anreize auf der Angebotsseite mit Anreizen auf der Nachfrageseite einhergehen. Während die EU ihre Optionen für einen Industrieplan im Rahmen des Grünen Deals abwägt, muss sie sich vor Augen halten, dass China nicht tatenlos zusehen wird, wie Europa Anstrengungen unternimmt, auf Kosten der Dominanz Chinas wirtschaftlich unabhängig zu werden. Zwar hat die Union in der Vergangenheit erfolglos versucht, über die Handelspolitik gleiche Wettbewerbsbedingungen herzustellen, doch gibt es auch andere Mechanismen. Beispielsweise muss Europa seine Regulierungsbefugnisse nutzen, um sicherzustellen, dass die sauberen Technologien für den Übergang Europas in ein Netto-Null-Emissionszeitalter auf verantwortungsvolle Weise hergestellt werden, das heißt mit einem geringen CO2-Fußabdruck, unter Berücksichtigung der Recyclingfähigkeit und ohne Verletzung der Menschenrechte etwa durch Zwangsarbeit.

Mehr Tempo bei Genehmigungen

Drittens ist vor allem eine Beschleunigung der Genehmigungsverfahren erforderlich. Obwohl die EU-Gesetzgebung – insbesondere die Erneuerbare-Energien-Richtlinie (RED) – die Genehmigungsverfahren für EE-Projekte auf zwei Jahre begrenzt hat, waren zuletzt nur drei EU-Länder (Belgien, Litauen, Rumänien) in der Lage, die 24-monatige Genehmigungsfrist einzuhalten. Während die Genehmigungszeiten für Solarprojekte in Litauen mit nur zwölf Monaten am niedrigsten sind, steigen sie in Kroatien auf den Rekordwert von durchschnittlich 48 Monaten. In diesem Zusammenhang werden Stimmen laut, dass die europäischen Genehmigungsverfahren ein wesentliches Hindernis für die europäische Energiewende im internationalen Wettbewerb darstellen. Zum Vergleich: In den USA und Indien gehen vertikal integrierte Kraftwerke 18 bis 24 Monate nach Baubeginn in Betrieb.

In diesem Zusammenhang sind die beschleunigten Genehmigungsverfahren für Net-Zero-Technologien im Rahmen des Net-Zero-Industry-Acts zu begrüßen, können aber unter Beibehaltung hoher ökologischer und sozialer Standards noch verschärft werden. Technologien wie Photovoltaik werden nun als von übergeordnetem öffentlichem Interesse eingestuft und profitieren von kürzeren Genehmigungsfristen, die auf neun bis zwölf Monate begrenzt sind (im Vergleich zu 12 bis 18 Monaten ohne eine solche Einstufung). Dennoch muss Europa in diesem Bereich mit derselben Dringlichkeit und Flexibilität vorgehen, die es der Union ermöglicht hat, schnell die notwendige Infrastruktur aufzubauen, um ihre Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen zu beenden.

Schließlich dürfen die Gesetzgeber nicht aus den Augen verlieren, dass Europa ein führender Innovator für sauberer Technologien und soziale sowie ökologische Standards ist. Um diese Führungsrolle auch für die Zukunft zu sichern, muss ein Rechtsrahmen geschaffen werden, der die vorhandenen Steuergelder im Sinne der bestmöglichen Förderkosteneffizienz einsetzt, um den größtmöglichen Anreiz für die nächste Generation sauberer Energietechnologien zu schaffen.

In dieser entscheidenden Phase muss Europa seine Entscheidungen überlegt, vorausschauend und flexibel treffen. Der Net Zero Act und der Temporary Crisis and Transition Framework sind sicherlich gute Ansatzpunkte, die aber weiter ausgebaut werden müssen. Gelegenheiten wie diese ergeben sich nur selten. Die Weichenstellung, die Europas Gesetzgeber jetzt vornehmen, wird entscheidende Auswirkungen auf künftige Generationen haben.

Anja Lange ist Europachefin von First Solar. Der US-Konzern ist der größte Solarmodulhersteller der westlichen Hemisphäre

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