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Rüstungskonzern Rheinmetalls neues Munitionswerk: Knallen in der Heide

Rheinmetall-Produktionshalle in Unterlüß
Ein Rheinmetall-Mitarbeiter (von links) zeigt Kanzler Olaf Scholz, Konzernchef Armin Papperger, Dänermarks Ministerpräsidentin Mette Frederiksen und Verteidungsminister Munition
© dpa / Philipp Schulze / Picture Alliance
Zwischen Hamburg und Hannover soll Scholz' Zeitenwende sichtbar werden: Hier investiert Rheinmetall 300 Mio. Euro in eine Munitionsfabrik – und begrüßt dazu die Politik zum Spatenstich

Bei der Anfahrt nach Unterlüß hat der Bundeskanzler sich noch schnell über den Ort in der südlichen Lüneburger Heide eingelesen. Es sei ein „Dorf ohne Äcker und Vieh“ schrieb laut Olaf Scholz‘ Lektürebericht schon in den 1950ern das CDU-Blatt „Deutsche Wochenschrift“. Das verwundert nicht, weil der Ort inzwischen seit 125 Jahren von einem Schieß- und Truppenübungsplatz sowie der Fabrikation und Erprobung von Rüstungsgütern dominiert wird. Andererseits ist es auch ein bisschen lustig, weil die Anfahrt des Kanzlers von kilometerweiten Treckerschlangen begleitet wurde. Das Getöse der protestierenden Bauern konnte das Knallen der Schießübungen, das in der Heide immer wieder zu hören ist, zeitweise mühelos übertönen. 

Ganz schön was los im ländlichen Unterlüß. Der Kanzler ist gekommen, er hat seinen Verteidigungsminister Boris Pistorius, ebenfalls bei der SPD, mitgebracht und die dänische Regierungschefin Mette Frederiksson. Gastgeber Armin Papperger ist natürlich auch dabei. Er leitet den Rüstungskonzern Rheinmetall, der hier seine größte Produktionsstätte hat. 

Spatenstich nach Plan: Scholz hebt extra aufgeschüttete Erde aus

Klar, laut den versammelten Entscheidungsträgern wird das Örtchen in der Pampa zum Zentrum der Zeitenwende. Scholz sagt, „dass hier von Unterlüß ein Signal ausgehen soll für dieses Land“. Später nehmen alle vier jeweils eine nagelneu glänzende Schippe in die Hand und heben ein bisschen extra dafür aufgeschüttete Erde aus, es ist der symbolische Spatenstich für die neue Munitionsfabrik.

Diese soll schon ab 2025 produzieren und in mehrfacher Hinsicht für die Zeitenwende stehen. Erstens natürlich mit der Schnelligkeit, mit der sie kommt, falls es denn klappt mit dem „Deutschland-Tempo“, das Scholz ausgerufen hat. Zweitens weil sie signalisieren soll, dass Deutschland verstanden hat, man müsse sich selbst um seine Verteidigung kümmern und – mit anderen europäischen Nato-Ländern – auch die Güter dafür herstellen. Drittens geht es um die Ukraine. Das angegriffene Land braucht zwar jetzt Schießmittel – „der Bedarf an Artilleriemunition ist überwältigend“, ruft die dänische Regierungschefin mit bebender Stimme –, und sie braucht sie nicht erst 2025. Aber irgendwo muss man ja mal anfangen.

Viertens, will man den europäischen Partnern bedeuten, dass Deutschland vorausgehe und sie sich auch mal bewegen sollen, so jedenfalls das Bild, das der Kanzler verbreitet. Deutschland tut und macht und liefert an die Ukraine, die anderen jetzt bitteschön auch, so stellt er es dar. Fünftens soll sich die Bestellung von Rüstungsgütern ändern, was heißt, dass der Staat (oder die Staaten) als Besteller praktisch auf Dauer die Auslastung der neuen Fabriken für die Rüstungsgüter garantiert. Denn das, so sagt es Scholz, habe man ja jetzt gelernt, dass man Waffen und Munition nicht einfach mal irgendwo einkaufen könnte, wenn man sie braucht, wie zum Beispiel einen VW Golf, der dann mit höchstens fünf Monaten Lieferzeit vor der Tür steht. 

Wenn der Staat eine Zeitlang nichts bestellt, gibt es auch nichts mehr zu kaufen, wenn er was braucht – jedenfalls nicht aus heimischer Produktion. Das ist dann ähnlich wie mit den Fiebersäften für Kinder, die nicht da waren, als sie gebraucht wurden. Und dieses staatliche Bestellversprechen ist auch der Grund, warum der private Konzern liebend gerne investiert. Jedenfalls wirkte Papperger von Rheinmetall, dessen Unternehmen ohnehin zu den großen Profiteuren der neuen Zeit gehört, sehr entspannt im Lichte der Ankündigungen seines Hauptkunden. Und sagte über dessen Einkäufer, Verteidigungsminister Pistorius, zu Scholz: „Sie haben uns mit Boris Pistorius einen Mitstreiter gegeben und einen Menschen, dem wir vertrauen.“

Munition in Großserie

Siebtens geht es darum, dass für die neuen Bedarfe die Munition anders produziert werden muss. Nicht mehr in Kleinserien, sondern dauerhaft, weil die Entscheider eben erwarten, dass die Schießmittel auf Dauer gebraucht werden und die Notwendigkeit zu dem, was Pistorius „Kriegstüchtigkeit“ genannt hat, nicht mehr aufhört. „Wir müssen weg von der Manufaktur hin zur Großserienfertigung“, verlangt der Kanzler.

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Papperger zeigt einen Film, wie das aussehen soll. Eine Fabrik mit vier Hallen und mehreren Produktionslinien, 500 Leute sollen hier zusätzlich arbeiten, 300 Mio. Euro werden investiert. „Full Shot made in Germany“, heißt es in dem Werbevideo und bedeutet, dass die gesamte Lieferkette quasi autark organisiert wird. Geschoss, Zünder, Sprengladung und Treibladung sollen aus Deutschland kommen, was aber zu Beginn noch nicht gelingen wird, sondern erst ab Jahr Drei. Allein der Munitionsbedarf der Bundeswehr wird in Rheinmetall-Zahlen auf 40 Mrd. Euro taxiert, dazu kommen noch die Bedarfe der Ukraine und die von Partnerländern. 

Trist ist der Februarniesel in der Heide, das Tösen der Riesentraktoren hat etwas Deprimierendes, die Einfamilienhäuser sehen wie Trutzburgen aus. Und doch hat die Region einen Boom vor sich, aber einen, in dem sie zum Wohl des ganzen Landes schuftet, wie ihnen der Kanzler sagt. 

Scholz schreitet an den ausgestellten Waffenmodellen entlang. Zahlreiche hohe Militärs sind gekommen, aus mehreren Ländern. Und vor den Toren wohl ein Dutzend Vertreter lokaler so genannter Friedensinitiativen, die statt Munition etwas fordern, das sie Verhandlungen nennen. Man verfolgt den entschiedenen Blick des Kanzlers. Vielleicht denkt er daran, dass er sich das vor zwei oder drei Jahrzehnten auch anders vorgestellt hat mit dem Frieden. Jetzt ist die Zeitenwende bis nach Unterlüß gekommen und das heißt, sie bleibt.

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