Vor allem Medizintechnik ist gefragt, wenn sich in Krankenhäusern, Arztpraxen und Pflegeheimen der Notstand anbahnt. Nehmen die Engpässe bei Atemschutzmasken, Schutzkleidung, Desinfektionsmitteln – bis hin zu Beatmungsgeräten – zu, kostet das Menschenleben.
Weltweit wenden sich Regierungen an die Industrie, um Lieferanten zu finden – auch solche, die mit dem Gesundheitswesen bislang wenig Berührungspunkte hatten. In Deutschland hat das Gesundheitsministerium den Verband der Deutschen Maschinen- und Anlagenbauer (VDMA) gebeten, einen Aufruf an die Mitglieder zu richten: „Coronavirus Covid19 - Lieferanten für Medizintechnik gesucht.“
Wo krisenbedingt die Produktion sowieso erlahmt, haben zahlreiche Unternehmen bereits Initiative gezeigt. Beispielhaft voran gingen in den vergangenen Tagen jene, die von Schnaps auf Desinfektionsmittel umsteigen: womöglich die naheliegendste Alternative. Textilhersteller stellen dringend benötigten Mundschutz her, doch wenn Masken den geltenden Anforderungen genügen sollen, sind nicht allein Hygieneschutzvorschriften zu beachten.
Stark gefragt ist auch die ausgebremste Autoindustrie mit stillstehender Montage. Aber wie Tesla, Volkswagen oder Rolls Royce statt Autos nun knappe Beatmungsmaschinen fertigen wollen, bleibt klassischen Herstellern von Medizintechnik wie Dräger ein Rätsel. Ob man sie unterstützen kann, hängt von der Bereitschaft ab, Wissen über Design und Software von Geräten zu teilen. Auch die Montage derartiger Maschinen muss unter angemessenen Bedingungen erfolgen. Allenfalls könnten Präzisionsfräsen und 3D-Drucker Teile zuliefern, heißt es.
In den USA soll für die Suche alternativer Bezugsquellen sogar ein Gesetz aus dem Krieg herangezogen werden, das dem Präsidenten erlaubt, die Industrie zu verpflichten. Die Beispiele hierzulande entspringen einer anderen Mentalität: Die meisten Unternehmen, die sich erfinderisch zeigen, tun es aus der Not heraus, oder um einen solidarischen Beitrag zu leisten. In das Licht eines Krisengewinnlers möchte dabei keiner rücken.
Hier sind einige Umdenker in Zeiten der Coronakrise:
Desinfizieren statt parfümieren
Seit Anfang März stellt der Autozulieferer ZF aus Friedrichshafen in China Atemschutzmasken her. Eine kleine Firmenübernahme ermöglicht die Produktion von täglich rund 90.000 bis 100.000 Stück. Sie werden aber für rund 14.000 Mitarbeiter in den etwa 40 Werken in China gebraucht, wo die Masken alle vier Stunden gewechselt werden sollen. Im Auftrag der bayerischen Landesregierung liefert der heimische Zulieferer Zettl Automotive, der sonst hauptsächlich Sitzbezüge fertigt, Atemschutzmasken an THW, Kliniken, Arztpraxen und Pflegeeinrichtungen. Der Vlies-Hersteller Sandler liefert Material für eine Million Schutzmasken, wie das Wirtschaftsministerium mitteilte.
Beim schwäbischen Bekleidungshersteller Trigema kann nach dem Ausfall von 50 Prozent des Absatzes mit der Produktion von Schutzausrüstung die Umstellung auf Kurzarbeit verhindert werden. Zumindest teilweise stellt Unternehmenschef Wolfgang Grupp auf Mund- und Nasenschutzmasken im Auftragsvolumen von mehr als 200.000 Stück um. Sie eignen sich – sobald zertifiziert – etwa für Krankenhaus-Personal bei der Essenverteilung. Die Schutzklassen, die Atemluft filtern und auf Spezialmaschinen aus besonderen Materialien gefertigt werden, sind damit aber nicht zu erreichen. Der Hemdenproduzent Eterna aus Passau näht im slowakischen Werk für die dortige Regierung ebenfalls Masken. Die Berliner Brautmodenfirma Bianco Evento hat ihr Sortiment um Gesichtsmasken und Kittel erweitert ¬– wie auch der Textilhersteller Zara.
Am schnellsten mobilisierten Unternehmen, die den wachsenden Bedarf an Desinfektionsmitteln erfüllen wollen. Der Chemiekonzern BASF beliefert Kliniken und holte sich dafür eine Ausnahmegenehmigung des rheinland-pfälzischen Gesundheitsministeriums. Der Konsumgüterhersteller Beiersdorf hatte zuvor angekündigt, 500 Tonnen medizinisches Desinfektionsmittel in seinen europäischen Werken herzustellen: zunächst vorrangig für Krankenhäuser, medizinisches und Pflegepersonal sowie für Polizei und Feuerwehr. Die Zulassung für Handdesinfektionsmittel besorgte sich auch der Neuburger Mittelständler Sonax, der sonst Autopflegeprodukte herstellt – zunächst für Bayern, dann auch für Deutschland.
Selbst Luxusgüterhersteller wie LVHM, Givenchy und Christian Dior, oder die Kölner Klosterfrau Healthcare (Mäurer & Wirtz), schwenken von Parfums auf Handhygiene um. Brauereien wie Beck’s, zum Braukonzern AB Inbev gehörend, helfen ebenfalls desinfizieren. Und Getränkeriesen wie Diageo, Pernot Ricard oder der heimische Jägermeister steuern reinen Alkohol bei, weil Ethanol knapp zu werden droht. Auch die Südzucker-Tochter Cropenergies wird im Zuge der Corona-Krise statt Kraftstoffalkohol mehr Neutralalkohol erzeugen.
Auf die besonders hohe Nachfrage nach Akkus für Beatmungsgeräte hat die BMZ Gruppe reagiert. Das Unternehmen ist vor allem bekannt für die Produktsparten Powertools (z.B. Akkuschrauber), Energiespeicher (für Photovoltaik- und WindkraftAnlagen) sowie Tonnen schwere Akkus etwa für Bagger oder Gabelstapler. BMZ kann für die Medizintechnik auf einen hohen Lagerbestand zurückgreifen und will die Akkuproduktion steigern.
Die britische Regierung ist bereits an Autobauer wie Ford, Honda und Rolls-Royce herangetreten, um sie zur Herstellung von Gesundheitstechnik einschließlich Beatmungsgeräten heranzuziehen. Der deutsche Hersteller Dräger produziert momentan fast doppelt so viele Geräte wie vor der Coronakrise. Was Ausweichmöglichkeiten auf die Kfz-Industrie angeht, ist das Unternehmen jedoch skeptisch. Die Kerntechnologie, Elektronik und Softwaresteuerung der Pneumatik, unterscheide sich wesentlich von dem Herstellungsbetrieb eines Autobauers.
Präzisionsfräsen und die 3D-Drucktechnik können bei der Herstellung komplexer Teile helfen, sagen Experten. Dafür müssen Hersteller aber ihr Wissen und Design bereitstellen. Als weitere Herausforderung gilt die Montage derartiger Maschinen unter für die medizinische Industrie angemessenen Bedingungen. Der Volkswagen-Konzern, der auch Gesichtsmasken spendet (s. Foto) hat eine Taskforce gegründet, die eine mögliche Herstellung von Geräten oder von Teilen für die Medizintechnik prüfen soll, etwa Kunststoffteile aus dem 3D-Drucker.
Auch 3D-Drucker in Irland könnten bald Leben retten. Hunderte Ingenieure, Produktdesigner und medizinisches Fachpersonal haben sich dort zum Projekt Open Source Ventilator (OSV) zusammengetan. Ihr Ziel: Ein kostengünstiges, leicht zu montierendes Beatmungsgerät für Corona-Patienten zu entwickeln. Die irische Gesundheitsbehörde soll den Prototypen in den nächsten Tagen prüfen. Die traditionellen Hersteller von Beatmungsgeräten arbeiten seit Ausbruch der Corona-Krise am Anschlag. Sie werden von Unternehmen wie dem Ventilatorenhersteller EBM-Papst (Foto) beliefert.