Christian Schütte schreibt an dieser Stelle jeweils am Dienstag über Ökonomie und Politik.
Geschichte wiederholt sich nicht. Aber sie reimt sich bekanntlich. Guido Westerwelle muss es in dieser Woche vorkommen als habe sich die Historie für ihn einen ganz besonders höhnischen Spottvers ausgedacht.
Über den jungen Westerwelle kann man in der Biographie von Majjid Sattar nachlesen, dass er sich mit allen Wahlkämpfen seiner FDP identifiziert habe – außer mit dem des Jahres 1994. Der sei für ihn fürchterlich gewesen.
Den Wahlkampf 1994 führte die FDP nämlich als eine reine Leihstimmenkampagne: „Wer Kohl will, muss Kinkel wählen“ hieß die Parole damals. Die Partei hatte eine zermürbende Serie von Wahlpleiten in den Ländern hinter sich, sie wurde überall von den Grünen überholt. Bis zum letzten Tag musste die FDP um den Rettungsring aus dem Unionslager und um den Wiedereinzug in den Bundestag zittern.
Mühsame Erneuerung
Als sie diese traumatische Wahl so gerade eben überlebt hatte, wurde Westerwelle neuer Generalsekretär. Er führte sie - ab 2001 dann als Parteichef - auf einen langen, mühsamen Erneuerungsweg, der schließlich im Rekordergebnis von 14,6 Prozent bei der Bundestagswahl 2009 gipfelte. Guido Westerwelle griff nach dem Außenministeramt und wurde Vizekanzler.
Heute ist alles wieder wie 1994. Nur diesmal noch viel schlimmer.
Spätestens seit der Bayern-Pleite vom Sonntag ist klar, dass die Liberalen nur noch mit Unterstützung aus dem Lager der Unionswähler sicher in den Bundestag einziehen können. Den alten Film von 1994 hatte die Parteiführung schon vergangene Woche aus dem Archiv gekramt: Helmut Kohl, der seinerzeit die FDP-Leihstimmenkampagne mit dezenten Hinweisen unterstützt hatte, traf sich diesmal mit Rainer Brüderle für einen ganz und gar undezenten Wahlhilfeaufruf.
Das Problem ist nur, dass die Lage jetzt noch viel gefährlicher ist als 1994. Im Unterschied zu Helmut Kohl verzichtet Angela Merkel ja nicht nur darauf, irgendwelche Signale der Verbundenheit auszusenden. Anders als Kohl ist sie auf die FDP überhaupt nicht angewiesen: Sollte Schwarz-Gelb scheitern, dann wird Merkel für sich eben Schwarz-Rot organisieren. Oder vielleicht sogar doch einmal Schwarz-Grün. Das ist alles ein bisschen unbequemer, aber trotzdem machbar. Die politischen Schützengräben früherer Tage hat die Kanzlerin in den vergangenen Jahren systematisch zugeschüttet. Kohlsche Sozenfresserei war vorgestern.
Merkel braucht die FDP nicht
Auch aus Wählersicht hat die FDP damit an Bedeutung verloren. Wer Merkel zwar im Kanzleramt halten, ihr aber eine Kurskorrektur mit auf den Weg geben will, der hat heute die große Auswahl: Für mehr Linksdrall gibt es die SPD oder die Grünen, für den Protest von rechts die Alternative für Deutschland. Die AfD, die am Sonntag erstmals antritt, ist zwar kein potenzieller Regierungspartner - zieht sie in den Bundestag ein, dann kommt es wahrscheinlich zur Großen Koalition. Aber die Union wird sich dann ständig bemühen müssen, ihre konservative Flanke zu sichern.
Die FDP steht für die Fortsetzung von Schwarz-Gelb – und das heißt im Wesentlichen: Für die Fortsetzung der aktuellen Version von Angela Merkel. Denn eine eigene Handschrift hat Gelb in dieser Koalition kaum gezeigt.
Der Absturz und das heutige Elend der FDP begannen praktisch direkt nach der Wahl 2009, in den Koalitionsverhandlungen. Die Partei lieferte nicht, was sie versprochen hatte, ihr Vertrauensvorschuss war in kürzester Zeit futsch. Die Verantwortung dafür trug Westerwelle, der schließlich auch als Parteichef gehen musste. Die aktuelle Doppelspitze Philip Rösler/Rainer Brüderle hat es seither nicht geschafft, den Trend wieder entscheidend zu drehen.
Der Partei bleiben jetzt nur noch zwei Argumente, die bei wohlwollenden Wählern ziehen könnten: „FDP – für ein Weiter-so-mit-Merkel.“ Und: „FDP – für eine konsequent liberale Stimme in Deutschland.“ Dummerweise passt beides aber nicht einmal richtig zusammen.
Guido Westerwelle ist inzwischen in seinem eigenen Wahlkreis mit einer expliziten Zweitstimmenkampagne vorgeprescht.
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