
Madeleine Hofmann ist Journalistin und beschäftigt sich mit dem Thema Generationengerechtigkeit. Twitter: @madhofmann
Der Rentendialog ist in vollem Gange. Andrea Nahles bespricht mit Interessengruppen das Rentenkonzept, das sie im November vorlegen will. Gleichzeitig bastelt die Union nun an ihrem ganz eigenen Vorschlag. Von einem produktiven wechselseitigen Austausch kommt in der Bevölkerung wenig an. Man hört vor allem Einzelne laut schreien. Die Gewerkschaften zum Beispiel. Und den bayerischen Ministerpräsidenten. Auch wenn sie sich auf den ersten Blick nicht so wohlgesinnt gegenüber zu stehen scheinen, haben die Schreihälse eines gemeinsam: Ihr Machterhalt hängt vorwiegend von den älteren Generationen ab. Schon bei der Bundestagswahl 2013 stellten die über 60-Jährigen ein Drittel aller potentiellen Wähler. Bis zur nächsten Bundestagswahl ist es weniger als ein Jahr. Und da die CSU gerade zusehen musste, wie ihre Schwester in den letzten Monaten bundesweit unterirdische Wahlergebnisse erzielte, will sie sich wappnen. Wenn das schon nicht mit seinen Ideen zur Flüchtlingspolitik klappt, hofft Horst Seehofer, mit der Ausweitung der Mütterrente wenigstens noch die Stimmen von älteren Damen abzugreifen. Kostenpunkt? Egal.
Panikmache vor der Altersarmut
Unter den Mitgliedern der DGB-Gewerkschaften befinden sich mittlerweile mehr Vorruheständler als Berufseinsteiger. Wenn man mehr Arbeitsjahre hinter als vor sich hat, will man sich schon einmal auf hohe Renten freuen - und auf diese bitte möglichst nicht mehr zu lange warten. Eine Anhebung des Renteneintrittsalters kommt für die Gewerkschaften also nicht in Frage - eine Erhöhung des Rentenbeitrags schon. Denn diejenigen, die bald in Rente gehen, bekommen das nicht mehr so schlimm zu spüren und die Jüngeren werden einfach abgelenkt: mit der Panikmache vor der Altersarmut. Nur: Genau das ist die größte Lüge in diesem Renten-Kampf, denn vorhandene und zukünftig drohende Altersarmut kann gar nicht durch höhere Rentenbeiträge verhindert werden. Altersarm sind Menschen, die statt einer Rente im Alter Grundsicherung beziehen. Das betrifft vor allem diejenigen, die wenig in die Rentenkasse eingezahlt und dadurch keine Ansprüche erworben haben: zum Beispiel Menschen, die krankheitsbedingt wenig arbeiten konnten oder die lange arbeitslos waren. Um die muss man sich besser kümmern. Doch wenn sie keinen Anspruch auf staatliche Rente haben, bringt es ihnen auch nichts, wenn das Rentenniveau steigt. Arm bleibt dann arm. Nur diejenigen, die nicht arm sind bekommen noch mehr.
Solidarität mit den Jungen statt Rentengeschenke
Statt Altersarmut zum Vorwand für Rentenerhöhungen zu nehmen, die nur einer bestimmten Bevölkerungsgruppe zugutekommen, brauchen wir dringend nachhaltige Investitionen in Armutsbekämpfung. Während nämlich im letzten Jahr drei Prozent der über 65-Jährigen Grundsicherung bezogen, waren gleich 14,7 Prozent der Kinder und Jugendlichen im Jahr 2012 auf Hartz IV angewiesen. Doch wer denkt schon an Investitionen in Familie und Bildung, wenn die Kassen für teure Rentengeschenke leergeräumt wurden? Genau das macht die aktuelle Rentendebatte zu einem unverantwortlichen und ungleichen Kräftemessen. Ja, wir müssen dringend über unser Rentensystem sprechen. Seit langer Zeit zeichnet sich ab, dass es dem demographischen Wandel nur mit Anpassungen standhalten kann. Doch unser Rentensystem beruht auf dem Generationenvertrag. Junge, arbeitende Generationen zahlen Beiträge in die Rentenversicherung ein. Davon werden die Älteren ausbezahlt. Genauso können sich die heute Einzahlenden darauf verlassen, dass nachkommende Generationen wiederum für ihre Rente einzahlen werden. Eigentlich. Durch den demographischen Wandel ist dieses System ins Wanken geraten. Vor allem durch die geburtenstarken Jahrgänge der um 1964 Geborenen, die ab 2028 in Rente gehen und selbst viel weniger Kinder bekommen haben als ihre Eltern.
Verantwortung für die ganze Bevölkerung
Die Babyboomer bilden eine sehr große Wählergruppe. Ihnen kommen kurzfristig beschlossene Rentenerhöhungen am meisten zugute. Dass der erhoffte Rentenwohlstand auf dem Rücken der jungen Generationen ausgetragen wird, nehmen sie in Kauf. Die Jungen müssen die teuren Geschenke bezahlen und können selbst nicht damit rechnen, später welche entgegenzunehmen. Stattdessen werden sie mit immer höheren Beiträgen belastet. Denn man darf nicht vergessen: Zu den höheren Rentenbeiträgen die – wie derzeit diskutiert – das steigende Rentenniveau finanzieren sollen, kommen auch noch die in einer alternden Bevölkerung steigenden Abgaben für Kranken- und Pflegeversicherung. Der wissenschaftliche Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums hat errechnet, dass Arbeitnehmer dann ab 2040 insgesamt mehr als 50 Prozent ihres Einkommens an die Sozialversicherungen abtreten müssten. Vom Rest sollen sie dann noch Familien gründen bzw. ernähren, Eltern pflegen und zusätzlich privat vorsorgen – ein Ding der Unmöglichkeit und vor allem eine unzumutbare und rücksichtslose Last. Aufgebürdet von Politikern auf Stimmenfang. Als Geschenk für ihre alten Wähler. Der Generationenvertrag aber basiert auf Solidarität – und die ist nicht einseitig. Über die Zukunft des Generationenvertrags muss einvernehmlich zwischen den Generationen entschieden werden. Sie ist kein Thema für den Wahlkampf, denn sie bedarf eines nachhaltigen Konzepts. Politiker sind stets getrieben von der Angst, nicht wiedergewählt zu werden. Daher ist es nachvollziehbar, dass sie sich der vielversprechendsten Wählergruppe zuwenden. Doch bei all der Klinkenputzerei, dürfen Politiker nicht vergessen, dass sie in ihren Ämtern Verantwortung tragen - nicht nur für eine Wählergruppe, sondern für die gesamte Bevölkerung.
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