Bernd Ziesemer ist neuer Capital-Kolumnist. Der Wirtschaftsjournalist war von 2002 bis 2010 Chefredakteur des Handelsblattes. Anschließend war er bis 2014 Geschäftsführer der Corporate-Publishing-Sparte des Verlags Hoffmann und Campe. Ziesemers Kolumne erscheint jeden Montag auf Capital.de. Hier können Sie ihm auf Twitter folgen.
Geschichten transportieren, wie die Historiker sagen, meist sowohl Inhalt als auch Subtext. Sie sprechen deshalb vom „Narrativ“ – und es gibt Tausende von Theorien darüber. Auch in der deutschen Energiewirtschaft hat sich in den letzten Jahren ein besonderes Narrativ durchgesetzt. Die Argumentation geht irgendwie so: Nach dem Atomunfall von Fukushima setzte Bundeskanzlerin Angela Merkel eine Energiewende durch, die seitdem alle deutschen Energiekonzerne immer stärker in die Verlustzone treibt und ihr angestammtes Geschäftsmodell zerstört. Der Subtext dieser Story: Wir, die Manager der Energieunternehmen, tragen keine Schuld an diesem Desaster.
Die Leidensgeschichte stimmt jedoch höchstens zur Hälfte. Die beiden größten Energiekonzerne leiden keineswegs nur unter ihrem Deutschland-Geschäft, sondern auch unter einer verfehlten Auslandsstrategie. Das gilt vor allem für Eon: Vor kurzem meldete der Stromriese einen Nettoverlust von 3,2 Mrd. Euro – den höchsten in der ganzen Unternehmensgeschichte. Prompt reagierten viele Medien mit einem Pawlowschen Reflex und redeten wieder viel über die deutsche Energiewende und ihre schlimmen Folgen.
In Wahrheit stammen die roten Zahlen jedoch zum größten Teil aus dem Auslandsgeschäft. Es geht dabei um gewaltige Abschreibungen auf Kraftwerke und Beteiligungen in ganz Europa. Allein in Schweden waren Wertminderungen von 990 Mio. Euro zu verkraften. Bei zahlreichen Verkäufen von Auslandsaktiva erzielte Eon deutlich weniger als den Buchwert. Deshalb waren 300 Mio. Euro in Spanien fällig, 200 Mio. Euro in Ungarn oder weitere 220 Mio. Euro in Russland.
Planverfehlungen und Probleme aller Art
Interessanterweise wechseln von Geschäftsbericht zu Geschäftsbericht die Begründungen für das schlechte Abschneiden in Ausland. Der Rubel-Verfall in Russland, die Pleite eines Partners in Brasilien, die schlechte Wirtschaftslage in Spanien – immer kommt dem Eon-Management irgendetwas im Ausland fürchterlich dazwischen. Im Endergebnis bleiben deshalb immer Verluste, Planverfehlungen und Probleme aller Art.
Beim Konkurrenten RWE sieht es nur geringfügig besser aus. Auch dort wiederholen sich die negativen Meldungen aus Großbritannien und den Niederlanden. Viel zu teuer eingekaufte Anlagen und Beteiligungen werfen nicht die versprochenen Gewinne ab. Deshalb geht es auch RWE im Ausland kaum besser als in Deutschland.
Mittlerweile kann man ein Fazit ziehen: Die großen Energiekonzerne haben die hohen Profite aus ihrem früheren Monopolgeschäft in Deutschland sehr schlecht jenseits der Grenzen angelegt. Und sie waren nicht in der Lage, die Herausforderungen dieses Geschäfts richtig zu managen. Man muss sogar befürchten: Sie sind es noch immer nicht. Aber das ist fast schon wieder eine neue Geschichte.