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Venezuela „Die Lage in Venezuela ist wie nach einem Krieg“

Jorge Castañeda, ehemaliger mexikanischer Außenminister, heute Professor für Politik und Lateinamerikastudien an der New York University
Jorge Castañeda, ehemaliger mexikanischer Außenminister, heute Professor für Politik und Lateinamerikastudien an der New York University
© Getty Images
In Venezuela spitzt sich die Lage zu. Nach Ansicht des Lateinamerikaexperten Jorge Castañeda muss Präsident Maduro zurücktreten, bevor das Land mit viel Geld wieder aufgebaut werden kann. Ein Interview über linke und rechte Populisten in Lateinamerika

Capital: Professor Castañeda, Lateinamerika gibt derzeit jede Menge Rätsel auf. Brasilien, die größte Wirtschaftsmacht, wählt einen rechtspopulistischen Präsidenten. Mexiko, die zweitgrößte, wählt einen Linkspopulisten. Venezuela, das Land mit den größten Ölvorkommen der Erde, steht seit Jahren am Abgrund. Der Rest der Welt, auch Unternehmen und Investoren, fragen sich: Wohin steuert Lateinamerika?

JORGE CASTAÑEDA: Im Prinzip ist das, was wir heute erleben, eine kategorische Ablehnung der letzten 15 Jahre. Zu Beginn des Jahrhunderts hatten viele Staaten linksgerichtete Regierungen – mehr oder weniger erfolgreiche. All diese, mit Ausnahme von Evo Morales in Bolivien, wurden inzwischen abgewählt.

In Venezuela und Nicaragua sind die Sozialisten noch an der Macht.

Aber diese haben sich autokratischer Praktiken bedient, um an der Macht zu bleiben. Was jedenfalls folgte, waren rechte Regierungen, doch viele wurden ebenfalls abgewählt. Nicht unbedingt wegen ihrer Misserfolge, sondern weil die Leute genug haben von politischen Parteien und allen Formen repräsentativer Demokratie. Ob nun links oder rechts, ob nun erfolgreich oder nicht.

Wie auch in ihrem eigenen Land Mexiko.

Richtig, da wurden die Rechten abgestraft. In Brasilien die Linken. Triumphiert haben vermeintliche Outsider.

Brasiliens Präsident Jair Bolsonaro ist das Gegenteil eines Outsiders. Er ist seit 30 Jahren Hinterbänkler im Kongress und hatte bis zu seiner Wahl nichts bewirkt.

Die Neuen sind nicht unbedingt Outsider, aber sie werden so gesehen oder präsentieren sich so. Ich nenne sie Outsider-Regime oder Ablehnungs-Regime.

Sind sie nicht klassische Populisten?

Mit wenigen Ausnahmen haben diese neuen Outsider-Regime bisher nicht versucht, demokratische Institutionen zu zerstören oder autokratische Mittel eingesetzt.

Sie stellen also keine Gefahr für die Demokratie dar?

Doch, das Risiko besteht, sowohl in Mexiko als auch in Brasilien. Und womöglich auch in Bolivien, wo es autokratische Tendenzen gibt, aber Präsident Evo Morales hat die noch nicht komplett umgesetzt.

Gibt es eine Lösung für Venezuela?

Am Verhandlungstisch nicht. Der Dialog ist sinnlos. Ansonsten aber ist das Ende Maduros so nah wie nie zuvor. Eine Lösung kann nur so aussehen, dass Maduro geht und es Neuwahlen gibt.

Alle Optionen sind auf dem Tisch, heißt es zunehmend, auch eine militärische.

Eine militärische Intervention der USA wäre ein kolossaler Fehler.

Und wenn es sich um die Intervention der Nachbarstaaten Brasilien und Kolumbien handelt?

Das ist etwas anderes. Solche Auseinandersetzungen können beinahe zufällig entstehen auf Grund von Grenzstreitigkeiten, kleinerer Scharmützel wegen Migranten oder humanitärer Hilfe.

Auch militärische Drohungen helfen also nicht?

Militärische Drohungen sind unvermeidbar unter einem Präsidenten Donald Trump. Man kann nicht darauf setzen, dass er still bleibt. Und die pure Drohung ist kein schlechter Schritt – gerade Richtung venezolanisches Militär. Die Generäle müssen verstehen, dass die Kosten, Maduro im Amt zu halten, zu groß sind – ob nun als Folge von Wirtschaftssanktionen, Straßenkämpfen oder der Ablehnung humanitärer Hilfe. Die militärische Führung muss sich entscheiden: Die Zeit ist gekommen, das Grauen zu beenden.

Es geht also nur über das Militär?

Ja. Das ist das, was in Venezuela 1958 mit dem Diktator Jimenez passierte, als das Militär und der Druck der Straße ihn zu Fall brachten. Bald danach gab es Wahlen und Venezuela genoss fast 50 Jahre lang Demokratie. Die Regierungen waren korrupt, ineffizient, inkompetent – aber demokratisch.

Müsste Maduro eine Amnestie in Aussicht gestellt werden?

Ja, ihm und seiner ganzen Mannschaft, diese korrupten hochrangigen Militärs, die in allen dreckigen Geschäften ihre Finger haben, im Drogenhandel, Ölgeschäft, Goldschmuggel. Eine Generalamnestie ist einerseits höchst fragwürdig, denn diese Menschen haben schlimmste Taten begangen. Andererseits mutig und intelligent, denn diese Verbrecher lassen nur so von der Macht ab – und mit einem Exilangebot aus Kuba oder Russland.

Die Wirtschaft Venezuelas liegt seit Jahren am Boden. Die Menschen hungern. Die Krankenhäuser sind ohne Medikamente. Wie lässt sich Venezuela wieder aufbauen?

Kurzfristig braucht das Land ganz schnell humanitäre Hilfe, denn die Not ist riesig: der Hunger, die Gesundheitsversorgung. Die Lage ist ernster als in vielen ärmeren Ländern, wo die Menschen zwar arm sind, aber nicht hungern.

Und mittelfristig? 80 Prozent der Venezolaner leben heute in Armut. Die Währung ist nichts wert. Die Inflation wird in diesem Jahr laut IWF 10 Millionen Prozent erreichen.

Die Lage in Venezuela ist wie nach einem Krieg. Nach einem Krieg brauchst du vor allem eine internationale Intervention, um die Hilfe zu verteilen. Das ist eine enorme Einmischung in interne Angelegenheiten, aber anders geht es nicht.

Ist ein schneller Wiederaufbau überhaupt möglich? Kein Land der Welt hat innerhalb weniger Jahre einen solchen Absturz erlebt. Die Wirtschaft ist um zwei Drittel geschrumpft. Eine Industrie existiert quasi nicht mehr.

Die unbequeme Wahrheit ist: Für den Wiederaufbau dieses Landes von der Größe Frankreichs und Deutschlands zusammen braucht man unfassbar viel Geld. Was Venezuela zum Teil erwirtschaften könnte angesichts der Öl- und Gasreserven, aber das meiste wird die internationale Gemeinschaft aufbringen müssen. Das ist ein schmerzhafter und leider kein schneller Prozess.

Viele internationale Unternehmen sind längst weg. General Motors, Kellogg, Pirelli, Fresenius, die Banken. Nur viele deutsche Unternehmen harren mit einer Notmannschaft aus, um im Fall des Neubeginns startbereit zu sein.

Die Dienstleistungsunternehmen kommen zurück, auch die Banken, aber ob die Industrieunternehmen zurückkehren, die bisher lokal produziert haben, ist fraglich. Venezuela ist mit seinen 30 Millionen Einwohnern kein ausgesprochen großer Markt. In ganz Lateinamerika gab es in den vergangenen 15 Jahren ohnehin diesen Prozess der Reprimarisation, also der Rückkehr zu Rohstoffexporten – vor allem nach China – und damit einhergehend einer Deindustrialisierung. Ob nun in Peru, Chile oder Argentinien. Und Venezuela lebt fast ausschließlich vom Öl.

Die Ölindustrie in Venezuela ist komplett veraltet. Der Output ist stark gefallen, von 3,5 Millionen Barrel pro Tag auf 1,5 Millionen. Und Erdöl, zumal qualitativ minderwertiges wie das Venezuelas, ist nicht gerade ein Zukunftsmarkt.

Vielleicht nicht langfristig, aber mittelfristig gibt es weiterhin genug Nachfrage nach Öl und Gas. Venezuela verfügt über die höchsten Erdölvorkommen der Welt, 300 Milliarden Barrel, und kann wieder an alte Erfolge anknüpfen, wenn es seine Anlagen modernisiert. Die Erdölunternehmen stehen in den Startlöchern. Die Experten sprechen von einem neuen Goldrausch.

Ist der Sozialismus in Lateinamerika mit dem Untergang Maduros nicht am Ende? Auch in Nicaragua wehren sich die Menschen gegen den Autokraten Daniel Ortega. Kuba sieht sich gezwungen, Reformen einzuführen. In Bolivien stehen Evo Morales schwere Wahlen bevor.

Ich bin mir nicht sicher, ob das sozialistische Länder sind – mit der Ausnahme Kubas. Es sind Regierungen, die eine linke oder sozialistische Rhetorik benutzen, aber Nicaragua unter Ortega ist kein sozialistisches Land, sondern eine korrupte Vetternwirtschaft. Eine Familie regiert gemeinsam mit der Wirtschaftselite das Land, um sich in die eigenen Taschen zu wirtschaften. Auch Bolivien ist nicht wirklich sozialistisch und auch Venezuela nicht. Nur Kuba.

Jedenfalls stehen diese vermeintlich sozialistischen Regierungen vor dem Fall.

Richtig. Venezuela ist kurz davor, Nicaragua auch, Bolivien womöglich im Oktober. Kuba ist ein einzigartiger Fall. Ein komplettes Desaster und das seit 60 Jahren, aber es überlebt immer wieder. Und jeder Experte lag mit Prognosen eines bevorstehenden Endes stets daneben.

In Brasilien scheint es Präsident Bolsonaro ernst zu meinen mit seiner rechten Revolution.

Das ist ein Zug alle dieser neuen Regierungen in Lateinamerika, Europa und den USA. Diese Führer versuchen tatsächlich das umzusetzen, was sie versprochen haben. Ob Trump, Orban oder die Italiener. Auch López Obrador in Mexiko und Bolsonaro in Brasilien. Bolsonaro bewaffnet das Volk. Er gibt der Polizei eine carte blanche, um Kriminelle zu töten. Er führt einen Kreuzzug gegen die linke Ideologie an Schulen, was immer das sein soll.

Sie nennen Bolsonaro einen Rechtsextremisten.

Er hat nichts getan, um das Prädikat zu widerlegen. Er bestätigt nur seine extremistische Ideologie.

Bolsonaro erfährt viel Unterstützung durch die Wirtschaft. Ich habe mich gerade mit deutschen Unternehmern in Sao Paulo getroffen – von Siemens, Bosch, der DZ-Bank – die seine Präsidentschaft sehr begrüßen.

Die Businessgemeinschaft ist begeistert angesichts seiner neoliberalen Politik: Privatisierungen, Reduzierung der Schulden, Rentenreform. Das ist allerdings schwerer umzusetzen als andere Versprechungen, für die seine Präsidialdekrete reichen. Es gibt viele praktische Widerstände und er hat im Kongress keine Mehrheit.

Die große, auch symbolische Frage lautet: Wird er den Ölgiganten Petrobras privatisieren, einst der größte Konzern Lateinamerikas?

Die Privatisierung von Petrobras ist schwieriger, als das Volk zu bewaffnen. Das Volk mag angesichts von 60.000 Morden pro Jahr eine drakonische Verbrechensbekämpfung gutheißen, die Privatisierung des Nationalheiligtums Petrobras eher nicht. Die Wirtschaft sieht das womöglich anderes, aber die entscheidet nicht.

Wie sieht die europäische Wirtschaft Bolsonaro?

Unternehmen und Investoren wollen nur Geschäfte machen, alles andere ist egal. Die Regierungen sehen das womöglich anders. Gibt es weitere Katastrophen wie die Dammbrüche beim Rohstoffgiganten Vale oder neue Gesetze zur Abholzung des Regenwaldes, dann werden vor allem Unternehmen mit Regierungsbeteiligung vorsichtiger werden. Sie wollen nicht Komplizen der Umweltzerstörung werden oder des Kampfes gegen indigene Gruppen im Amazonas.

Bolsonaro äußert sich da unmissverständlich: Er will die sogenannte „agricultural frontier“ bis tief ins Amazonasgebiet ausbauen.

Das wird für große internationale Spannungen sorgen. Es ist eins von denen Versprechen, die schwerer umzusetzen sein werden, wenngleich es diesen brasilianischen Nationalismus gibt: Das ist unser Amazonas. Wir machen da, was wir wollen.

Ich habe mit vielen Brasilianern über die Abholzung des Regenwaldes gesprochen, vor allem mit Arbeitern und Arbeitslosen. Diese Menschen sind sehr wohl für die Erschließung neuer Agrarflächen und den Bau neuer Kraftwerke. Sie wollen, nach Jahren der schweren Krise, nur Jobs.

Ich verstehe diese Logik. Brasilianer wollen Jobs, aber das ist nicht der einzige Faktor. Der internationale Druck ist groß. Es verhält sich wie mit dem Pariser Klimaabkommen: Bolsonaro hat den Rückzug Brasiliens daraus angekündigt, ihn aber nicht umgesetzt.

Dennoch: Rohstoffgewinnung, Soja und Fleischproduktion scheinen auch weiterhin Basis der brasilianischen Wirtschaft zu bleiben. Was wurde aus den Plänen einer großen Industrienation?

Ein Grund für das Nichtzustandekommen war die große Rohstoffnachfrage aus China, die jetzt etwas abflaut. Ein anderer Grund war die Überbewertung des brasilianischen Real und die Überflutung mit chinesischen Produkten, was jetzt auch endet. Aber es ist weiterhin sehr schwer, eine Weltklasseindustrie aufzubauen, wenn man einen solch protektionistischen Markt hat wie Brasilien.

Hohe Importsteuern, viel Bürokratie, keine Steuerabkommen, Freihandelsabkommen....

Ja, Der Markt ist riesig, auch die Mittelklasse stark, aber er ist eben geschützt. Es wird schwer für Brasilien, wettbewerbsfähig zu werden, ohne sich gleichzeitig zu öffnen. Und diese Öffnung kann sehr schmerzhaft sein.

Gibt es überhaupt ein Erfolgsmodell in Lateinamerika?

Mexiko hat sich in den achtziger und neunziger Jahren sehr geöffnet, aber die Resultate waren nicht großartig. Es gibt dort in der Autoindustrie sehr wettbewerbsfähige Unternehmen, aber sie haben wenige Jobs geriert und kein „backward linkage“ geschaffen, also ein neues Netz lokaler Industrien und Zulieferer. Auch die Löhne stiegen nicht an. Keines der Länder hat es bisher zur erfolgreichen Industrienation geschafft, obwohl man annahm, dass NAFTA und andere Freihandelsabkommen das ermöglichen würden.

Was ist mit Chile?

Chile ist sehr erfolgreich, aber vor allem ein Rohstoffexporteur. Immer noch: Zellulose, Obst, Kupfer. Das machen sie gut und für ein Land von 18 Millionen Menschen reicht das auch.

Ein Land in der Dauerkrise ist Argentinien.

Anscheinend für immer und ewig, ja.

Auch unter dem konservativen Präsidenten Mauricio Macri entkommen sie der Krise nicht. Hohe Inflation, Schuldenkrise, Massenproteste. Warum schafft es Argentinien nie?

Das fragen sich die Argentinier spätestens seit den 1940er Jahren und haben nie eine gute Antwort gefunden. Ich habe sie auch nicht. Viel zu tun hat es mit dem reichen Boden. Es ist der Fluch des Reichtums. Das Land ist so riesig und die Bevölkerungzahl relativ klein, 45 Millionen. Also tappen die Argentinier immer wieder in diese Falle, vom Land zu leben. Sie waren nie gezwungen, sich die Frage zu stellen: Wo wollen wir wirtschaftlich eigentlich hin? Jahr für Jahr verschieben sie diese Antwort, Regierung nach Regierung. Immerhin ist Argentinien nun schon seit 1983 eine Demokratie. Das ist ein ziemlicher Erfolg. Das Wirtschaftschaos haben sie damit nicht gelöst.

Schreckt Lateinamerika Investoren und Unternehmen nicht auch ab, weil das Gesamtimage einfach zu schlecht ist: Korruption, Verbrechen, Inkompetenz.

Das generelle Image ist tatsächlich: Krisen, Verbrechen, Korruption, Drogen. Das ist nicht ganz falsch. Es gibt aber auch viel Positives: Diese Länder sind mit wenigen Ausnahmen alle Demokratien – in einer Region, wo sie bis vor 40 Jahren kaum existierten. Der zweite große Schritt: das Entstehen einer Mittelklasse. In fast allen dieser Länder stellt die Mittelklasse die knappe Mehrheit. Sie ist nicht vergleichbar mit der deutschen Mittelklasse, aber die Menschen haben Häuser, Kühlschränke, Fernseher, feste Jobs, Urlaub. Das ist ein riesiger Erfolg für einen Kontinent, wo die Mittelklasse immer in der klaren Minderheit war.

Welches Land kann man Investoren empfehlen?

Wenn sie langfristig planen: Brasilien und Mexiko auf Grund der Größe. Mexiko hat die Verbindung zur USA, in Brasilien ist es die schiere Größe und Rohstoffvielfalt. Aber wenn es nur um die nächsten fünf bis zehn Jahre geht, dann lieber Chile, Uruguay oder Costa Rica. Diese drei sind gleichzeitig die Länder, die den größten Anteil an Auslandsinvestitionen aufweisen können. An der Spitze liegt Costa Rica.

Was ist mit dem größten Investitionshemmnis – der Korruption?

Es gibt tatsächlich sehr viel Korruption, aber, anders als in der Vergangenheit, keine Straflosigkeit mehr. Die Schuldigen wandern ins Gefängnis. In manchen Fällen geht die Staatsanwaltschaft zu weit wie im Fall Lula in Brasilien. In anderen Ländern passiert zu wenig wie in Mexiko. Und manchmal bleiben die schlimmsten Fälle ohne Folgen – wie in Venezuela. Aber schaut man sich die gesamte Region über die letzten zehn Jahre an, dann ist klar: als korrupter Unternehmer oder Politiker kommst du nicht mehr so leicht davon. Du wirst geschnappt.

Nicht unbedingt in ihrem Land Mexiko.

Nein, die Straflosigkeit ist leider weiterhin die Norm, aber auch hier war die Wahl von López Obrador jetzt eine Reaktion auf die Korruption seines Vorgängers Pena Nieto. Das Volk will den Wandel.

López Obrador galt lange als Investorenschreck, ein Linkspopulist alten Schlags. Was bedeutet seine Wahl für Mexiko?

Wie Bolsonaro und Trump will er seine Wahlversprechen halten. Einige waren albern, etwa das Versprechen, den neuen Flughafen in Mexico-Stadt nicht zu bauen. Andere waren sinnvoll, etwa den Mindestlohn anzuheben und an der US-Grenze sogar zu verdoppeln. Beständig ist er. Doch leider sind viele seiner Versprechen Fehler.

Welche?

Die Idee, dass er eine Zugstrecke bauen will, ist kindisch. Die Idee einer neutralen Außenpolitik ist provinziell und kindisch. Ein so großes Land wie Mexiko kann das nicht machen. Er hält sich aus Venezuela raus, widerspricht Trumps Aggressionen nicht, beim Thema Migration macht er sogar die Drecksarbeit für Trump. Das sind alles Fehler, aber er hat es so versprochen und zieht es durch.

Was bedeutet der neue NAFTA-Deal für Mexiko, jetzt USMCA genannt?

Den hat er nicht ausgehandelt, nur begleitet. Die Frage ist, ob der Vertrag überhaupt so in Kraft treten wird. Er muss noch durch das Repräsentantenhaus in Washington, wo die Demokraten jetzt die Mehrheit haben. Das wird dauern, es wird Veränderungen geben, man wird das Paket wieder aufschnüren müssen. Und vielleicht wird Trump davon wieder Abstand nehmen, wenn er nicht kriegt, was er will.

Eine Katastrophe für Mexiko ist der neue Vertrag aber nicht?

Nein. Eine Katastrophe wäre es gewesen, überhaupt keinen Vertrag zu haben. Es ist ein Deal, der weniger attraktiv für ausländische Investoren ist, als es NAFTA war. Und NAFTA war auch schon nicht besonders attraktiv für sie. Schon da bekam Mexiko nicht genug ausländische Investitionen. Das wird jetzt noch weniger.

Was bedeutet das für die deutschen Investoren?

Audi, Mercedes und Volkswagen betrifft es am stärksten. Teile des Vertrages sehen vor, der US-Autoindustrie zu helfen – zum Nachteil der japanischen und europäischen Unternehmen. Jedes Auto muss mehr nordamerikanischen Content haben, das heißt, die Deutschen müssen mehr Autoteile in Mexiko, USA oder Kanada herstellen oder höhere Tarife zahlen. Es ist kein guter Deal für die Europäer, vor allem für die Deutschen nicht.

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