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Kommentar Die Kohle-Herausforderung

Mit großem Tempo verbraucht die Erde ihr Kohlenstoffbudget. Um die Erderwärmung unter Kontrolle zu halten, dürfen keine neuen Kohlekraftwerke gebaut werden. Von Andrew Steer

Die Kohle hat bei der Klimakonferenz der Vereinten Nationen in Warschau eine wichtige Rolle gespielt – und das zu Recht. Tatsächlich muss die Welt diese Diskussion führen.

Der Weltklimarat (IPCC) ist zu dem Schluss gekommen, dass wir dabei sind, unser „Kohlenstoffbudget“ – die Menge an Kohlenstoff, die wir freisetzen können, ohne unsere Chance zur Begrenzung der globalen Erwärmung auf zwei Grad Celsius zu vergeben – mit hohem Tempo aufbrauchen. Um den weltweiten Temperaturanstieg gegenüber dem Stand vor der Industrialisierung unter dieser Marke zu halten – dem anerkannten Kipppunkt, ab dem der Klimawandel gefährlich außer Kontrolle geraten könnte – dürfen wir laut IPCC nicht mehr als rund 1000 Gigatonnen Kohlenstoff freisetzen. Mehr als die Hälfte davon war bis 2011 freigesetzt. Wenn wir unser kohlenstoffintensives Verhalten nicht ändern, wird der Rest in etwa drei Jahrzehnten verbraucht sein.

Was die tolerierbaren CO2-Emissionen angeht, sprengt die Kohle das Budget. Eine Gruppe von 27 anerkannten Wissenschaftlern aller wichtigen Kontinente hat vor kurzem in einer gemeinsamen Erklärung erläutert, dass die Verbrennung der weltweit bekannten fossilen Brennstoffreserven etwa 3800 Gigatonnen CO2- oder 1053 Gigatonnen Kohlenstoff produzieren würde, wobei mehr als die Hälfte auf Kohle entfällt. Einfacher ausgedrückt: Wenn die Welt ihre bekannten Kohlereserven unter Einsatz heutiger Technologien verbrennt, dürfte sie den globalen Temperaturanstieg um deutlich mehr als zwei Grad in die Höhe treiben.

China handelt

Viele Regierungen und Finanzinstitutionen haben das erkannt. In den letzten Monaten haben die Weltbank, die Europäische Investitionsbank und die Export-Import Bank der USA Richtlinien verabschiedet, mit denen sie die Finanzierung neuer Kohlekraftwerke beschränken, sofern diese ihre CO2-Emissionen nicht abscheiden und speichern können. Fünf nordische Länder haben gemeinsam mit dem US-Wirtschaftsministerium die Finanzierung neuer Kohlekraftwerke im Ausland eingestellt, und weitere Länder könnten in Kürze folgen. Und in diesem Herbst hat die US-Umweltbehörde Emissionsstandards für neue Kraftwerke vorgeschlagen, die konventionelle Kohlekraftwerke unmöglich machen würden – ein wichtiger Schritt, der die Umweltverschmutzung durch Kohlenstoff verringern und Innovationen vorantreiben würde.

Und China hat aus Sorge über die mit der Kohleverbrennung verbundenen hohen Gesundheitskosten im Rahmen seines gerade verabschiedeten Programms zur Bekämpfung der Luftverschmutzung neue Kohlekraftwerke in drei Küstenprovinzen verboten. Auch haben die chinesischen Behörden Richtlinien beschlossen, der den Anteil der Kohle am Gesamt-Energiemix des Landes zu verringern soll.

Ebenfalls in Warschau - am anderen Ufer der Weichsel genau gegenüber der Stelle, wo die Verhandlungsführer über die Bausteine für ein weltweites Klimaabkommen bis 2015 verhandelten – traf sich die World Coal Association (WCA).

Die WCA spricht sich für den Einsatz „hocheffizienter emissionsarmer Technologien zur Kohleverbrennung aus, um die Klimaemissionen aus Kohlekraftwerken weltweit zu senken. Doch dieser Ansatz würde noch immer zu viel vom CO2-Budget aufbrauchen. Selbst die modernsten und fortschrittlichsten konventionellen Kohlekraftwerke setzen über 15 Mal mehr CO2 pro Stromeinheit frei als erneuerbare Energien und mehr als doppelt so viel wie effiziente Gaskraftwerke.

Keine neuen Kohlekraftwerke

Und doch ist Kohlekraft global nach wie vor ein Renner. Das World Resources Institute schätzt, dass weltweit etwa 1200 Kohlekraftwerke mit einer Gesamtbetriebskapazität von mehr als 1400 Gigawatt in Planung sind. Werden sie gebaut, verbraucht die Welt unweigerlich einen großen Teil des verbleibenden Kohlenstoffbudgets für eine kohlenstoffintensive Infrastruktur mit einer Lebensspanne von 40 bis 50 Jahren.

Laut der Internationalen Energieagentur läuft der aktuelle Trend beim Kohleverbrauch auf ein Szenario hinaus, das zu einem Temperaturanstieg von sechs Grad führen würde. Das ist eine Zukunft, die das Leben auf der Erde, so wie wir es kennen, radikal und unwiederbringlich verändern würde.

Der OECD-Generalsekretär hat daher ein Moratorium für den Bau konventioneller Kohlekraftwerke vorgeschlagen. Schließlich stehen sehr viel kosteneffektivere Technologien zur Stromerzeugung zur Verfügung. Erneuerbare Energien wie Sonne und Wind können schon jetzt in vielen Teilen der Welt mit fossilen Brennstoffen konkurrieren und können rasch ausgebaut werden.

1000-Mrd.-Dollar-Schaden

Zudem lassen die meisten Wirtschaftsmodelle die mit Kohle und Kohlenstoffverunreinigung in Verbindung stehenden externen Effekte unberücksichtigt. So schätzt ein aktueller Bericht von Trucost, dass die Stromerzeugung mit Kohle weltweit Schäden in Höhe von etwa 1000 Mrd. Dollar durch Klimawandel und Luftverschmutzung verursachen könnte. Viele Kohlekraftwerke wären nicht konkurrenzfähig, wenn sie diese Kosten einrechnen müssten.

Natürlich bietet Kohle auch weiterhin Millionen von Menschen eine verlässliche Stromquelle – und der Übergang zu kohlenstoffarmen Technologien wird nicht über Nacht passieren. Wir müssen den Zugang zu diesen Technologien schnell ausweiten und zugleich den Menschen helfen, die für ihren Lebensunterhalt auf die Kohleindustrie angewiesen sind. Während wir den Klimawandel intensiv bekämpfen, müssen wir dabei zugleich pragmatisch vorgehen.

Das gleiche gilt für die Kohleindustrie. Die WCA sollte sich zu zusätzlichen Maßnahmen verpflichten, die dazu beitragen, dass die Emissionen sichere Grenzen nicht überschreiten. Ein Moratorium für konventionelle Kohlekraftwerke wäre ein intelligenter Ansatzpunkt. Dies würde der Welt zeigen, dass die Kohleindustrie die wissenschaftlichen Implikationen der gegenwärtigen Muster bei der Energienutzung wirklich verstanden hat und bereit ist, mehr Verantwortung für die Bekämpfung des Klimawandels zu übernehmen.

Die Kohleindustrie und die Teilnehmer der Klimakonferenzen müssen dazu beitragen, bis 2015 ein faires, ehrgeiziges Klimaübereinkommen für die Welt zu schließen. Lassen Sie uns gemeinsam die Ärmel hochkrempeln und einen realisierbaren Kurs hin zu einer sicheren und effektiven, kohlenstoffarmen Wirtschaft abstecken.

Aus dem Englischen von Jan Doolan

Copyright: Project Syndicate, 2013.
 www.project-syndicate.org

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