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Kommentar Die große Stimulation

Wäre es nicht besser, SPD und Union würden die kommenden Jahre einfach nur verhandeln statt zu regieren? 
Von Horst von Buttlar
Verhandeln statt regieren: Die Große Koalition könnte einfach so weiter machen
Verhandeln statt regieren: Die Große Koalition könnte einfach so weiter machen
© dpa

Stellen Sie sich vor, dieses gespenstische Schauspiel geht einfach so weiter. SPD, CDU und CSU verhandeln, ab und zu dröhnt Horst Seehofer aus Bayern, dass er keine Maut für homosexuelle Pkw-Nutzer will. Und Andrea Nahles und Ursula von der Leyen schlagen irgendwann eine Mütterlebensleistungsolidarzusatzrente in Höhe von 8,50 Euro vor. Alle zwei Wochen mahnt Volker Kauder, dass das alles so nicht weiter geht, und Sigmar Gabriel sagt, dass müsse er erst mit der SPD-Basis besprechen, ob das alles so nicht weitergeht. Wolfgang Schäuble lässt jeden Freitag seine knurrigen Beamten die Wunschungetüme ausrechnen und plant einen neuen Rettungsschirm, der diese Ideen auffangen soll.

Wer sich diese Verhandlungen anschaut, die diese Woche nun plötzlich enden sollen, die immer mehr wie eine Drohung über dem Land liegen, die nichts verheißen, außer, dass vielen ganz schlecht ist, wie schlecht diese Gespräche sind, der kommt zu einem merkwürdigen Gedankenspiel: Wäre es nicht besser, diese Ansammlung von Menschen würde einfach weiterverhandeln, als eine Art Volkstheater, und gar nicht regieren?

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Horst von Buttlar

Das klingt nach Politikverachtung hoch zehn; was mir immer fern gelegen hat – reines Geschimpfe auf „die Politik“ ist „nicht hilfreich“, um es mal im Kanzlerinnendeutsch zu sagen. In der „Zeit“ kritisierte Peter Dausend, dass die Große Koalition niedergemacht wird, noch bevor sie gebildet ist – und zwar von einer „großen Koalition der Vorab-Nörgler“. Doch, so der Autor, „die Deutschen haben am 22. September weder der Mittelstandvereinigung der Union noch dem linken Flügel der SPD zur absoluten Mehrheit verholfen – und schon gar nicht dem Arbeitgeberverband.“

Diese Kritik an den Kritikern ist nachvollziehbar, und hat Angela Merkel scheinbar so gut gefallen, dass sie den Gedanken einen Tag später auf einer Wirtschaftstagung paraphrasierte: „Die Wähler haben weder dem Wirtschaftsflügel der CDU die absolute Mehrheit gegeben, noch dem linken Flügel der SPD“, sagte sie in Berlin. Wenn die Kanzlerin ihre Verteidigung schon von der „Zeit“ stibitzen muss, sollte man sich ein wenig Sorgen machen.

Wunsch nach einer Deutschland-Simulation

Mal ehrlich: Wer hofft gerade, dass diese Koalition damit anfängt zu regieren? Nun gut, die „Bild“ hofft es angeblich. „Regiert endlich!“, hat sie vergangene Woche auf der zweiten Seite trompetet, und mich durchfuhr es: wirklich? Man wünscht sich eine Deutschland-Simulation, ein Land, dass ohne diese Milliardenideen einfach weitermacht – und eines, dass nun beglückt wird mit einem Entwurf, der irgendwie zu entstehen scheint und keiner weiß mehr, ob es ein gesteuerter Prozess ist oder nicht. Ein Koalitionsvertrag, zusammengetragen wie ein Erpresserbrief, aus lauter Schnipseln, die irgendwo mal jemand hineingefordert hat. Hundert Punkte sind angeblich noch offen, 50 Milliarden sind zu viel, die Sozialkassen, eben noch prall gefüllt, in wenigen Jahren alle. Welchem Land würde es in zwei Jahren besser gehen? Dem richtigen Deutschland oder dem simulierten?

Das ist ja naiv, wird manch gewiefter Hintergrundgesprächsführer nun sagen, so ist „Politik“ nun mal. Nein. Irgendwas ist diesmal anders. Denn wenn diese Haltung Politikverachtung ist, dann in einer neuen Dimension, denn die Großkoalitionäre mögen sich ja selber nicht mal. Einige scheinen sich geradezu zu fürchten vor dem eigenen Regieren. Die Wähler schauen eh mit zunehmendem Grauen, was da geplant wird, neue Allianzen von warnenden Stimmen haben sich formiert – Gewerkschaften und Arbeitgeber Seit’ an Seit’, ein halbes Dutzend Verbände mahnen im Chor. Das ist anders als das übliche Lobbygeschrei, mit den ewigen Horrorszenarien. Zwar werden einem Experten schnell vorrechnen, dass die Sozialkassen auch ohne Koalitionswünsche bald leer sind – aber ist dieser Hinweis nicht auch „wenig hilfreich“?

Im Kern liegt das Problem an einer Art Persönlichkeitsstörung aller drei Parteien – die CSU, die Horst Seehofer verspeist hat wie Kronos seine Kinder, ist größenwahnsinnig geworden. Die SPD ist manisch-depressiv und projiziert ihren Minderwertigkeitskomplex in die Verhandlungen, indem sie sich doppelt so groß macht, wie sie ist. Und die CDU, die immer öfter klagt, dass sie nicht zu kurz kommen will, weil sie doch eigentlich die Größte ist, zeigt erste asthenische Züge. Dieses geringe Selbstbewusstsein nach diesem Wahlergebnis ist schon merkwürdig.

Merkel ohne Plan

Mitte Dezember will Angela Merkel sich das dritte Mal zur Bundeskanzlerin wählen lassen. Die Frage wird sein, von wem – und was der Plan für diese dritte Legislaturperiode ist.

Ich sehe einfach keinen.

Vielleicht passt sie gerade in dieses Land, wie der geschlagene Peer Steinbrück in einem lesenswerten Interview ebenfalls in der „Zeit“ festgestellt hat: „Sie ist nicht anstrengend“, sagte er mit Blick auf ihre Popularität. „Merkel provoziert nicht, sie ist wie du und ich. Und sie trifft auf eine mentale Verfassung der Republik, die dazu passt.“

Entwürfe für erste Ruck-Reden im Jahr 2016 werden entgegengenommen.

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