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Kommentar Die eurasische Vision Russlands

Eine Union, die sich vom ukrainischen Lemberg bis nach Wladiwostok spannt. Das will Russland
Der Aufbau einer echten Union würde Jahre dauern, aber Putin hat einen langen Atem, meint Nouriel Roubini
Der Aufbau einer echten Union würde Jahre dauern, aber Putin hat einen langen Atem, meint Nouriel Roubini
© Getty Images

Nouriel Roubini ist Vorsitzender von Roubini Global Economics und Professor an der Stern School of Business der New York University. Sie können ihm hier auf Twitter folgen.

Der eskalierende Konflikt zwischen der westlich unterstützten Regierung und den durch Russland unterstützten Separatisten in der Ukraine lenkt die Aufmerksamkeit auf eine grundlegende Frage: Welche langfristigen Ziele verfolgt der Kreml? Das sofortige Ziel des russischen Präsidenten Wladimir Putin mag darauf beschränkt sein, die Kontrolle über die Krim und etwas Einfluss auf die Ukraine zurück zu erlangen, aber seine langfristigen Ziele sind viel kühner.

Gleichzeitig sind sie leicht erkennbar: Putin hat einmal die berühmte Aussage gemacht, der Zusammenbruch der Sowjetunion sei die größte geopolitische Katastrophe des zwanzigsten Jahrhunderts gewesen. Also ist sein langfristiges Ziel, diese in irgend einer Form nachzubilden, vielleicht als übernationale Union von Mitgliedstaaten wie im Fall der Europäischen Union.

Dies ist nicht überraschend: Russland mag sich zwar im Niedergang befinden, hat sich aber immer selbst als Großmacht gesehen, die von Pufferstaaten umgeben sein sollte. Unter den Zaren hat das russische Imperium nach und nach seine Macht ausgeweitet. Unter den Bolschewiken gründete das Land dann die Sowjetunion und erhielt damit einen Einflussbereich, der sich auf den größten Teil Zentral- und Osteuropas erstreckte. Und heute, unter Putins ähnlich autokratischer Regierung, plant Russland, im Laufe der Zeit eine riesige Eurasische Union aufzubauen.

Putin will quasi eine russische EU schaffen - inklusive eigener Währung

Die EAU ist zwar lediglich eine Zollunion, aber die Erfahrungen mit der Europäischen Union legen nahe, dass eine erfolgreiche Freihandelszone mit der Zeit zu größerer wirtschaftlicher, monetärer und schließlich politischer Integration führt. Russlands Ziel ist nicht, eine weiteres Nordamerikanisches Freihandelsabkommen zu gründen, sondern eine weitere EU, in der der Kreml alle wichtigen Machtinstrumente in der Hand hat. Der Plan ist klar: mit einer Zollunion beginnen – der zunächst Russland, Belarus und Kasachstan angehören – und später dann die meisten der ehemaligen Sowjetrepubliken an Bord holen. In der Tat sind nun Armenien und Kirgisien im Spiel.

Nach der Einführung einer allgemeinen Zollunion, wachsen die Verbindungen im Handels-, Finanz- und Investitionsbereich bis hin zu dem Punkt, dass ihre Mitglieder ihre Wechselkurse aneinander angleichen. Und dann, vielleicht zwei Jahrzehnte nach der Gründung der Zollunion, gründen ihre Mitglieder eine echte Währungsunion mit einer gemeinsamen Währung (dem eurasischen Rubel?), die als Rechnungs-, Zahlungs- und Wertanlagemittel verwendet werden kann.

Wie die Erfahrungen der Eurozone zeigen, muss für eine dauerhafte Währungsunion auch eine vollständige Bank-, Fiskal- und Wirtschaftunion eingeführt werden. Und sobald die Mitglieder ihre Souveränität über Haushalts-, Banken- und Wirtschaftsfragen aufgeben, könnten sie, um die demokratische Legitimität sicher zu stellen, irgendwann eine partielle politische Union benötigen.

Die Umsetzung eines solchen Plans mag die Überwindung ernster Probleme und den Einsatz großer finanzieller Ressourcen über viele Jahrzehnte erfordern. Aber der erste Schritt besteht in einer Zollunion, und im Fall der Eurasischen Union müsste sie die Ukraine umfassen, Russlands größten westlichen Nachbarn. Dies ist der Grund, warum Putin den ehemaligen Präsidenten Viktor Janukowitsch so unter Druck gesetzt hat, die Idee eines Assoziierungsabkommens mit der EU aufzugeben. Deshalb hat Putin auch auf den Sturz von Janukowitschs Regierung mit der Übernahme der Krim und der Destabilisierung der östlichen Ukraine reagiert.

Zusammen mit China könnte Russland sein eigenes Zahlungssystem entwerfen

Durch die jüngsten Ereignisse wurden die westlich und in Richtung Markt orientierten Einflüsse in Russland geschwächt und die staatskapitalistischen, nationalistischen Kräfte gestärkt. Letztere drängen nun auf eine schnellere Einführung der EAU. Die Spannungen zwischen Russland und Europa sowie den Vereinigten Staaten wird eine Verschiebung der russischen Energie- und Rohmaterialexporte – und der entsprechenden Pipelines – in Richtung Asien und China zur Folge haben.
Ebenso sind Russland und seine BRICS-Partner (Brasilien, Indien, China und Südafrika) dabei, eine Entwicklungsbank zu gründen, die als Alternative zur den westlich gesteuerten Institutionen des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank dienen soll. Die Enthüllungen über die elektronische Überwachung der USA könnte Russland – und andere illiberale Staaten – dazu bringen, den Internetzugang einzuschränken und eigene, national kontrollierte Datennetzwerke einzurichten. Es gibt sogar Gespräche darüber, dass Russland und China ein alternatives internationales Zahlungssystem gründen könnten, um das SWIFT-System zu ersetzen, mit dem die USA und Europa finanzielle Sanktionen gegen Russland durchsetzen.

Die Gründung einer vollständigen EAU – die in den Bereichen Handel, Finanzen, Wirtschaft, Zahlungssysteme, Kommunikation und Politik immer weniger vom Westen abhängig ist – könnte lediglich ein Wunschtraum sein. Aufgrund fehlender Reformen und ungünstiger demografischer Entwicklungen hat Russland zu wenig potenzielles Wachstum und zu geringe finanzielle Ressourcen, um eine Fiskal- und Transferunion ins Leben zu rufen, die für die Einbringung anderer Länder erforderlich ist.

Dieser Konflikt kann Jahrzehnte dauern

Aber Putin ist ehrgeizig und könnte noch Jahrzehnte im Amt bleiben – ebenso wie andere zentralasiatische Autokraten. Und ob wir es mögen oder nicht: Auch wenn Russland für erfolgreiche Produktion und Zukunftsindustrien nicht dynamisch genug ist, bleibt es doch weiterhin eine rohstoffproduzierende Supermacht.

Revisionistische Mächte wie Russland, China oder der Iran scheinen bereit, sich der weltweiten wirtschaftlichen und politischen Ordnung, die die USA und der Westen nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion aufgebaut haben, entgegen zu stellen. Aber jetzt macht eine dieser revisionistischen Mächte – Russland – einen aggressiven Vorstoß, um seinen Einflussbereich in Richtung eines neuen Weltreichs zu vergrößern.
Leider könnten die Sanktionen der USA und Europas gegen Russland, auch wenn sie nötig sind, die Überzeugung Putins und seiner nationalistischen und slawophilen Berater noch verstärken, dass Russlands Zukunft nicht im Westen liegt, sondern in einem separaten Integrationsprojekt im Osten. Auch wenn US-Präsident Barack Obama meint, dies sei nicht der Beginn eines neuen Kalten Krieges, könnten die aktuellen Trends doch schon bald eine andere Einschätzung nötig machen.

Aus dem Englischen von Harald Eckhoff - Copyright: Project Syndicate, 2014

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