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Kolumne Der Deutschland-Dusel

Die Konjunktur zieht an - kommt jetzt das neue Wirtschaftswunder? Ehrlich gesagt: Im Moment haben wir einfach Glück. Von Christian Schütte
Christian Schütte
Christian Schütte
© Trevor Good

Christian Schütte schreibt an dieser Stelle über Ökonomie und Politik

Kurz vor diesen Ostertagen 2015 muss man das doch noch einmal ganz ausdrücklich festhalten: Der deutschen Wirtschaft geht es derzeit fantastisch. Die Konjunktur ist ausgezeichnet, das Land zeigt erste Anzeichen eines Booms wie es ihn seit Jahren nicht mehr gegeben hat.

Wissen das auch die Bürger? Die Nachricht von den guten Zeiten scheint sich allmählich herumzusprechen. Die Gründe für den Aufschwung werden allerdings leider ziemlich häufig missverstanden. Wenn es überhaupt eine populäre Theorie zu diesem Boom gibt, dann klingt sie so wie der 20 Jahre alte Hit von Grooveminister: "Das hamma uns verdient".

Schön wär´s.

Erfreuliche Nachrichten kamen in den vergangenen Tagen geradezu in Serie: Das Ifo-Institut meldet zum fünften Mal in Folge einen Anstieg des Geschäftsklimas; der Zugang zu Krediten ist laut Ifo für die Unternehmen derzeit so leicht wie noch nie seit Beginn der Erhebungen.

Vom Sachverständigenrat bis zum gewerkschaftsnahen IMK haben die Volkswirte ihre Wachstumsprognosen für Deutschland deutlich angehoben, die Beschäftigung steigt auf immer neue Rekordhöhen. Zugleich ist die Arbeitslosigkeit, die im März wieder unter drei Millionen sank, jetzt saisonbereinigt auf dem niedrigsten Stand seit fast einem Vierteljahrhundert.

Billiger Euro und billiges Öl

Der deutsche Einzelhandel meldete zuletzt den kräftigsten realen Umsatzanstieg in einem Februar seit dem Jahr 2000. Dazu passt dann noch als Sahnehäubchen eine neue Vergütungsstudie der Unternehmensberatung Towers Watson: In keinem anderen Land Europas sei der Mix aus hohen Gehältern und verfügbarer Freizeit so attraktiv wie in Deutschland.

Ein neues deutsches Wirtschaftswunder?

Ehrlich gesagt: Eher Deutschland-Dusel. Die große Schwäche dieses Aufschwungs ist schließlich, dass er bislang keineswegs auf irgendwelchen besonderen deutschen Innovationen, Produktivitätsfortschritten oder Reformen beruht. Er wird schlicht von zwei äußeren Kräften getrieben: Dem billigen Euro und dem billigen Öl.

Beides ist als Nachfrageturbo zwar sehr hilfreich. Selbst verdienter, dauerhafter Wohlstand sieht aber anders aus.

Verantwortlich für den exportfördernd schwachen Euro ist die Geldpolitik der EZB. Verantwortlich für das billige Öl ist letztlich eine technische Revolution, die in den vergangenen Jahren in den USA stattgefunden hat. Durch die Perfektionierung des Fracking ist Amerika zu einem neuen Erdöl-Großproduzenten aufgestiegen. Im Kampf der Ölanbieter um Marktanteile ist der Preis zuletzt steil abgestürzt. Den Verbrauchern bringt das billige Öl nun einen kräftigen Kaufkraftgewinn.

Die große Ironie ist, dass die Deutschen von diesen Entwicklungen profitieren - damit zugleich aber erbittert hadern. Als diese Woche ein Gesetzentwurf vorgestellt wurde, der das Fracking auch in Deutschland regeln soll, hagelte es Kritik aus allen Parteien: Das de-facto-Verbot dieser Technik sei noch immer nicht scharf genug.

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