In Deutschland gibt es wohl kaum jemanden, der die Proteste gegen Sultan Erdogan in der Türkei ohne Wohlwollen verfolgt. Regelmäßig ploppt ja hierzulande die Frage auf, ob das westliche Demokratiemodell eigentlich noch zeitgemäß ist. Da ist es höchst ermutigend, dass junge Leute, Wirtschaftsboom hin oder her, sich mit dem "türkischen Modell" eines erfolgreichen, aber zunehmend autoritären Regierungschefs nicht zufrieden geben. Sie fordern gelebte Demokratie. Beteiligung, Bürgerrechte, Freiheit.
Mit ähnlichem Wohlwollen oder besser Begeisterung haben wir vor nicht allzu langer Zeit den Beginn des arabischen Frühlings verfolgt. Auch in Syrien. Die Leute, die dort friedlich gegen den Diktator Baschar al-Assad aufstanden, konnten auf die moralische Unterstützung des Westens zählen. Auf viel mehr allerdings auch nicht.
Seitdem ist unendlich viel Furchtbares geschehen. Rund 100 000 Menschen sind in den vergangenen zwei Jahren ums Leben gekommen. Lullen wir uns doch nicht damit ein, das sei einer dieser "normalen" Kriege, wo zwei Parteien symmetrisch gegeneinander kämpfen. In Syrien fand und findet ein Gemetzel statt: an den jungen Leuten, den mutigen Staatsbürgern, die für ihre Rechte aufgestanden sind. Und damit letztlich auch für unser Demokratiemodell. 100 000 getötete Menschen, gemessen an der Einwohnerzahl entspräche das 400 000 Toten in Deutschland. Dresden ungefähr, wenn es noch ein paar Monate so weiter geht. Und das wird es. Mit jedem neuen Bericht, jeder Nachricht, jedem dieser grauenerregenden Bilder möchte man am liebsten den Kopf in den Sand stecken und vergessen, nichts mehr hören und sehen.
Und genau das tun wir. Wir könnten laut und leidenschaftlich darüber diskutieren, was zu tun ist oder auch nicht: Flugverbotszone, Waffenlieferungen, Schutzzonen, Bomben auf den Präsidentenpalast. Viele der Bedenken gegen eine Intervention sind richtig und legitim, manches von der Entwicklung widerlegt: Der befürchtete Flächenbrand in der Region, der gegen eine Intervention sprach, lodert längst. Iran, Libanon, Irak, Saudi-Arabien, Katar, alle stecken drin. Deutschland will keine Waffen liefern, weil ja die Gefahr besteht, dass die bei Al-Kaida landen. Also warten wir ab, bis das ganze Land zum idealen Rückzugsgebiet für Terroristen degeneriert ist. Es gibt Gegenargumente, zum Beispiel völkerrechtlicher Art. Aber eigentlich wollen wir über das Pro und Contra gar nicht streiten. Ich auch nicht. Was dort geschieht, deprimiert mich. Am Ende wird jede Entscheidung sich als falsch erweisen. Intervention genauso wie Nicht-Intervention. Also besser nicht hingucken.
Darum danke Herr Liefers. Sie haben mich daran erinnert, dass mich etwas angeht, was dort passiert. Sie haben ihre Popularität eingesetzt für eine Sache, bei der für Sie nichts zu holen ist. Sie hätten sich auch eine Gala für Hochwasseropfer veranstalten können – auch das verdienstvoll, und für Sie ohne persönliches Risiko. Hätte jeder gut gefunden. Anders als Ihr völlig undifferenziertes Einstehen für die Opfer des Assad-Regimes. Ihre blauäugige Forderung nach einer Flugverbotszone. Ihr naiver Glaube an Verantwortung in der Welt. Sie haben sich angreifbar gemacht. Es war absehbar, dass Sie dafür eines auf die Mütze kriegen.
Ich gehöre nicht zu denen, die generell ein politisches Engagement von Künstlern fordern. Im Gegenteil, ich finde ich es albern, dass Leute Gehör finden, nur weil man ihr Gesicht kennt. Wieso soll ein Argument mehr Gewicht haben, wenn es von einem Prominenten kommt?
Liefers Vorstoß aber ist mutig. Er hat für sich die Frage beantwortet, die sich jeder stellen muss, der die Proteste im Gezi-Park wohlwollend verfolgt. Und was ist mit Syrien?
Ines Zöttl schreibt jeden Mittwoch über internationale Wirtschafts- und Politikthemen. Ihre letzten Kolumnen: Obamas Sündenfall und Zyperns Stunde Null
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