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Kolumne Zyperns Stunde Null

Wer so klein ist wie die Insel im Mittelmeer braucht einen großen Bruder. Die Zyprer haben nun die Wahl: Europa, Russland oder die Türkei.

Zypern hat so Einiges mitgemacht. Über das Inselchen in exponierter Lage im östlichen Mittelmeer, an der Schnittstelle von Europa und Asien, stolperte im Laufe der Jahrhunderte so ziemlich jeder Machthaber, der vorbeikam - und die meisten langten zu. Zypern wurde besetzt, erobert, kolonialisiert, verhökert, verschenkt, besiedelt, ausgebeutet. Richard Löwenherz war da und nahm die Staatskasse mit. Die Templer führten ein sehr kurzes Intermezzo auf und der Herrschaft der Venezianer folgte die der Osmanen. Schließlich kamen dann die Briten. Und zum krönenden Abschluss, als alles endlich einmal ganz gut aussah, wurde die Insel 1974 entzwei geschnitten.

Insofern kann man optimistisch sein, dass die Zyprer auch den Sturm überstehen, der mit den jüngsten Entscheidungen der europäischen Partner über sie hereingebrochen ist. Während die Eurozone ja längst schon eine Krise weiter ist, hat für die Inselbewohner der Schlamassel erst angefangen. Um mindestens zehn Prozent wird die Wirtschaft in diesem Jahr voraussichtlich schrumpfen – Griechenland ist selbst in seinem schlimmsten Krisenjahr 2011 mit „nur“ sieben Prozent minus davongekommen.

Die Zyprer haben nun die Gelegenheit, wieder einmal zu beweisen, dass eine Katastrophe eine Chance ist. So wie sie es nach der Okkupation des Nordteils durch die Türkei gemacht haben. Die Republik kämpfte sich aus dem Wirtschaftsabsturz, den die Teilung ausgelöst hatte, mühsam heraus und wurde 2004 mit dem triumphalen Sieg des EU-Beitritts belohnt. Im Überschwang der Gefühle ließen die Griechen gleich noch das Referendum zur Wiedervereinigung mit dem türkischen Norden platzen. Goldene Zeiten in der europäischen Familie schienen anzubrechen, was brauchte man da die Türken noch.

Aber Zypern wäre eben nicht Zypern, wenn damit die Geschichte zu Ende gewesen wäre. Stattdessen hat die Eurozone das finanzklamme Mini-Mitglied wieder herabgestuft zu dem, was es über Jahrhunderte war: Spielball fremder Mächte. An Zypern haben IWF und Deutschland ausgetestet, inwieweit sich die Kosten für Rettungspakete auf Bankkunden abwälzen lassen. Aus ihrer Sicht dürfte es ein hinreichend erfolgreiches Experiment gewesen sein. Das Haftungsprinzip für Sparer ist etabliert.

Für die europhilen Zyprer aber war das Erlebnis ernüchternd. Es herrscht mental die Stunde Null: Laut wird darüber diskutiert, ob ein Austritt aus dem Euro nicht die bessere Lösung wäre. Und noch steht im Raum, ob sich Zypern nicht doch in die Arme Russlands flüchtet, auch wenn der Versuch des früheren Finanzministers Michalis Sarris, in Moskau Geld einzusammeln, erst einmal gescheitert ist. Zypern müsste für die Moskau-Variante allerdings mehr opfern als die erhofften Gewinne aus dem Gasfeld im Meer: Es würde sich in die Abhängigkeit eines Regimes begeben, das traditionell nicht zimperlich in seinen Einflusssphären vorgeht.

Daneben gibt es einen dritten Weg: die Wiedervereinigung. Vorsichtig haben beide Seiten begonnen, sich anzunähern. Ein Durchbruch täte nicht nur der Wirtschaft der geteilten Insel mit ihren gerade mal rund 1,1 Millionen Einwohnern gut. Er könnte Zypern einen neuen Freund bescheren: die Türkei. Die Zyprer könnten ihre anstrengende Obstruktion eines türkischen EU-Beitritts aufgeben, die Türken ihre entsprechenden Störmanöver. Zypern würde einen Partner gewinnen, dessen Küste gerade mal 70 Kilometer entfernt ist, und dessen Wirtschaft boomt. Dann könnte man sich auch leichter einigen, wem die Rechte an den potentiell riesigen Gasvorkommen gehören – eine Voraussetzung, um geeignete Investoren zu gewinnen.

Umsonst werden die Zyprer das nicht bekommen: Sie werden Zugeständnisse machen müssen, vielleicht sogar weitergehend als das verschmähte Referendum 2004 vorsah. Doch sagen wir es mal so: Immerhin kann Zypern diesmal mitreden, wer künftig über die Geschicke des Landes entscheiden soll. EU, Russland oder Türkei.

Ines Zöttl schreibt jeden Mittwoch über internationale Wirtschafts- und Politikthemen

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