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Weltwirtschaft China und der Westen: Die neue Mauer

Bei einem Besuch der Chinesischen Mauer im April 2019 stochert Peter Altmaier im Nebel.
Bei einem Besuch der Chinesischen Mauer im April 2019 stochert Peter Altmaier im Nebel.
© dpa
Deutschland und Europa justieren ihr Verhältnis zu Peking neu. Jahrzehnte war China vor allem ein gigantischer Markt – diese Haltung war zu naiv. Die Politik wird protektionistischer. Aber hat Europa schon eine Strategie?

Der Ort, an dem Chinas neuer Berlin-Botschafter seine erste öffentliche Rede hält, passt zum Thema. Im ehemaligen Staatsratsgebäude am Schlossplatz veranstaltet die Chinesische Handelskammer vor wenigen Wochen ihren Jahrestag. Wo einst Erich Honecker die DDR-Planwirtschaft lenkte, beklagt sich nun Botschafter Wu Ken darüber, dass die deutsche Politik zunehmend in den freien Markt eingreife. Chinesische Investoren würden benachteiligt, Konflikte herbeigeredet. „Leider sehen wir, dass China in Deutschland immer öfter als Bedrohung dargestellt wird“, sagt Wu. Das könne „die guten Aussichten der deutsch-chinesischen Beziehungen trüben“.

Duan Wei, Hauptgeschäftsführer der Handelskammer, wird später noch etwas deutlicher. „Das Geschäftsklima ist das schlechteste in der Geschichte“, erklärt er. „Wir fragen uns: Was wollen die Bundespolitiker? Wollen sie alle chinesischen Investitionen sperren? Sollen wir überhaupt nach Deutschland gehen? Kommen noch schlechtere Maßnahmen? Wo ist das Ende?“

Während die Chinesen über Restriktionen klagen, äußert auch die Gegenseite zunehmendes Unbehagen, freilich mit umgekehrten Vorzeichen. In Deutschland und der EU beschleicht immer mehr Ökonomen, Manager und Politiker das flaue Gefühl, die sträflich gutgläubigen Europäer hätten den gewieften Chinesen lange zu wenig entgegengesetzt.

„Viele sind beim Thema China viel zu naiv, übrigens nicht nur Unternehmen, sondern auch die Politik“, erklärt Michael Hüther, Direktor des Instituts der deutschen Wirtschaft. „Wir wollen eine gute Partnerschaft, dürfen aber nicht naiv sein“, fordert Manfred Weber, Spitzenkandidat der EVP bei der Europawahl. „Europa war sehr naiv, wenn es um den Handel und die Zusammenarbeit mit China ging“, sagt Pierre Gattaz, Präsident des französischen Arbeitgeberverbands MEDEF. „Richtig, lasst uns nicht naiv sein“, sekundiert sein deutscher Amtskollege, BDI-Chef Dieter Kempf.

Ohne Frage: Da haben sich Fronten gebildet. Was auch kein Wunder ist, denn im globalen Wirtschaftsringen bringt China heute ein erheblich höheres Gewicht auf die Waage als noch vor gar nicht langer Zeit. Einst als Raubkopierer belächelt, entwickelt das Land heute Spitzen-Hightech: Quantencomputer, künstliche Intelligenz, E-Autos, 5G. Chinas Konzerne bauen weltweit Bahntrassen, Kraftwerke und Häfen, die Pekings globalen Einfluss mehren. Der riesige chinesische Markt saugt so viele westliche Güter auf, dass die Abhängigkeiten sich für manche Branche umgekehrt haben. 2018 betrug der Handel zwischen der EU und China 573 Mrd. Euro, wovon ein gutes Drittel auf den deutsch-chinesischen Austausch entfällt.

China ist reicher, moderner und digitaler geworden, aber nicht im gleichen Zug liberaler, wie man es im Westen lange erwartet hatte. Auch zahlreiche erhoffte Wirtschaftsreformen sind ausgeblieben. Viele Sektoren des chinesischen Markts bleiben für ausländische Unternehmen und Produkte versperrt, während Chinas eigene Konzerne in die Welt ausschwärmen, Marktanteile erobern, Firmen schlucken, oft spottgünstig finanziert durch Staatsbanken, auch in Deutschland und der EU, wo man so stolz ist auf die Offenheit der eigenen Märkte.

Immer drängender stellt sich die Frage: Können wir uns das noch leisten? Wie könnte ein Ansatz aussehen, der Offenheit und Selbstbehauptung neu austariert? Ein Ansatz, der Chinas neuen Realitäten Rechnung trägt, ohne dabei Türen zuzuschlagen, wie Trump es in den USA tut?

Die erste Schlacht

Ein Rückblick. Die Sommersonne brennt mit 31 Grad über Augsburg, als Till Reuter am 11. August 2016 einen Besprechungsraum in der Kuka-Zentrale betritt. Der CEO des Roboterbauers trägt Maßanzug, er wirkt aufgeräumt, fokussiert, wie ein Mann auf der Höhe seines Schaffens. Seit genau einer Woche weiß Reuter, dass sein Plan aufgeht: Er hat die Übernahme von Kuka durch den chinesischen Midea-Konzern mit eingefädelt. Die beiden größten Eigner haben den Chinesen ihre Anteile angedient, der Deal ist eingetütet.

Ein Triumph für Reuter. „Als ich 2009 kam, war Kuka 250 Mio. Euro wert“, sagt er. „Heute sind es 4,5 Mrd. Euro.“ Die helle Aufregung, die der Deal in Deutschland auslöst, nimmt er gelassen: „Mir war klar, dass ein Angebot aus China sehr breit diskutiert werden würde.“ Das ist zurückhaltend ausgedrückt. Tatsächlich hat der Deal die politische Klasse des Landes in Alarmstimmung versetzt. Mit dem Fall Kuka beginnt Deutschland, anders auf China zu schauen.

Zu diesem Zeitpunkt sind chinesische Investitionen in Deutschland ein relativ neues Phänomen. Erst seit 2011 steigen die Summen und die Zahl der Deals deutlich. Deutsche Mittelständler wie Kiekert, KraussMaffei, Kion, Putzmeister fin- den sich plötzlich in chinesischer Hand – und berichten, als Capital ein Dutzend von ihnen besucht, durchweg von positiven Erfahrungen mit den Neueigentümern (Heft 06/2013). Die deutsche Öffentlichkeit empfindet diese frühen Übernahmen noch als verdaulich, weil die Betonpumpen, Türschlösser oder Gabelstapler, die hier hergestellt werden, in ihren Nischen zwar Standards setzen. Doch zu den Schlüsseltechnologien, von denen das Gedeihen der deutschen Volkswirtschaft abhängt, zählen sie nicht.

Bei Kuka, in jenen Tagen oft als „Industrieperle“ bezeichnet, ist das anders. Die Robotik gilt als Zukunftsbranche. Zudem drängt sich der Verdacht auf, dass sich Midea nicht nur aus Eigeninteresse einkauft, sondern damit auch die Politik der Regierung in Peking betreibt. Der Deal fügt sich nämlich aufs Schönste in deren Industriestrategie „Made in China 2025“, die festlegt, in welchen Branchen China die Weltspitze erobern soll – darunter auch die Robotik. Diese Branchen schirmt Peking gezielt vor ausländischer Konkurrenz ab und päppelt sie zusätzlich mit Milliardensummen. Erstmals diskutiert man in Deutschland deshalb nun die Frage: Sollen wir tatenlos zuschauen, wenn die Chinesen uns rechts überholen?

Offen wie ein Scheunentor

Der Staat soll die Finger von der Wirtschaft lassen – dieser Grundsatz der rheinischen Ordnungspolitik verpflichtete die Politik in Deutschland lange darauf, der Wirtschaft lediglich einen Rahmen zu setzen, ansonsten aber möglichst wenig einzugreifen. Dieses Prinzip zweifeln nun diejenigen an, die Deutschland unter chinesischem Beschuss wäh- nen. Tatsächlich hätte man in Berlin zu jenem Zeitpunkt aber gar nicht eingreifen könen, selbst wenn man es gewollt hätte. „Wir waren offen wie ein Scheunentor“, sagt ein wichtiger Mann aus dem Bundeswirtschaftsministerium (BMWi).

Denn die Regierung kann außereuropäische Investments damals nur unterbinden, wenn zwei Kriterien erfüllt sind: Der zum Verkauf stehende Anteil muss mindestens 25 Prozent betragen, und das Zielobjekt muss sicherheitsrelevant sein. Geprüft werden dürfen also gerade mal Übernahmen von Firmen, die Waffen oder militärisch nutzbare Güter herstellen. Nicht einmal das ist immer gewährleistet, wie der Fall des deutschen Anlagenbauers Aixtron zeigt (Capital 09/2016). Das BMWi hat dessen Übernahme durch einen chinesischen Fonds bereits durchgewinkt, als die CIA interveniert – die Halbleiter, die mit Aixtron-Anlagen hergestellt werden können, lassen sich nämlich durchaus in Rüstungsgütern verwenden. Erst Obamas Veto blockiert die Übernahme.

Den Deutschen dämmert, dass sie das Scheunentor ein Stück schließen sollten. 2017 verschärfen sie ihre Außenwirtschaftsverordnung. Nun können auch Übernahmen vereitelt werden, die sogenannte kritische Infrastrukturen betreffen – etwa die Wasserversorgung, Mobilfunk- oder Stromnetze. Bei der Prüfschwelle von 25 Prozent bleibt es jedoch vorerst. Bis die Deutschen kurz darauf gezwungen werden, „Hardball“ zu spielen – so nennen es die Amerikaner, wenn sie Eigeninteressen mit robusten Methoden durchsetzen. Im BMWi bevorzugt man den Ausdruck „kreative Lösungen finden“.

Die Ordnungspolitik wankt

Gleich neben dem Berliner Hauptbahnhof ragt ein 13-stöckiger Turm in die Höhe, dessen Fassade aus gekreuzten Betonpfeilern wie ein überdimensionaler Maschendrahtzaun aussieht: die Zentrale von 50Hertz, einem von vier Betreibern überregionaler Stromnetze in Deutschland. Im Erdgeschoss liegt eine Leitwarte, die wie ein Atombunker gesichert ist. Sie würde selbst dann noch funktionieren, wenn das Gebäude einstürzt, heißt es bei 50Hertz.

In diesen Hochsicherheitstrakt will Anfang 2018 der Staatskonzern State Grid Corporation of China (SGCC) eindringen. Ein australischer Pensionsfonds hält damals 40 Prozent an 50Hertz, für 1 Mrd. Euro wollen die Chinesen die Hälfte davon kaufen. Sie bieten also für einen Unternehmensanteil von 20 Prozent, knapp unter dem Schwellenwert, bei dem das BMWi intervenieren darf. Einem 50Hertz-Insider kommt es damals so vor, als habe die Politik die Risiken gar nicht erkannt. „Bei vielen herrschte die Haltung vor: Die Chinesen können das Stromnetz ja nicht ausbuddeln und mitnehmen, und den Strom werden sie uns schon nicht abschalten.“

Doch das BMWi ist durchaus alarmiert. Weil es selbst nicht eingreifen kann, setzt es den belgischen Mehrheitseigner Elia unter Druck, sein Vorkaufsrecht wahrzunehmen. So kommt es. Der Vorstoß der Chinesen scheint abgewehrt – bis SGCC wenige Wochen später versucht, den Australiern ihr zweites 20-Prozent- Paket abzukaufen. Man kann das als Test der deutschen Entschlossenheit interpretieren. Oder als Affront.

Die deutsche Politik ist in der Bredouille. Zwar hat Elia erneut das Vorkaufsrecht, doch die Belgier können keinen weiteren Milliardendeal stemmen. Also startet die Bundesregierung ein Manöver, wie man es eher aus China kennt: Sie setzt die bundeseigene Bank KfW in Bewegung, an die Elia das zweite Paket unmittelbar nach Erwerb weiterreicht. „Das war notwendig, um ein klares Haltesignal zu senden“, sagt Matthias Machnig, damals Staatssekretär im BMWi und an der Operation beteiligt. Auch der 50Hertz-Insider urteilt: „Wir haben zum ersten Mal eine Grenze aufgezeigt. So etwas machen die Chinesen täglich.“

Die Teilverstaatlichung durch die KfW soll nur eine „Brückenlösung“ sein. Dennoch empfinden nicht wenige Beamte im BMWi und Kanzleramt sie als ordnungspolitischen Tabubruch. Dem freien Spiel der Marktkräfte bleibt hier nichts überlassen – die Regierung spielt Hardball. Entscheidend, sagt der Insider, sei der Amtsantritt des neuen Wirtschaftsministers gewesen, der in diese Zeit fiel: „Peter Altmaier hat beherzt entschieden und das politische Risiko auf sich genommen.“

Bei der Entwicklung der neuen Chinapolitik wird Altmaier noch eine Rolle spielen. Zunächst wird unter seiner Ägide die Außenwirtschaftsverordnung weiter verschärft. Die Prüfschwelle für Investitionen sinkt von 25 auf zehn Prozent, zudem bringen Deutschland, Frankreich und Italien ein EU-Investment-Screening auf den Weg, das auch „kritische Technologien“ wie Halbleiter oder Robotik als sicherheitsrelevant definiert. Übernahmen können zudem blockiert werden, wenn eine fremde Regierung sie subventioniert.

Seit April 2019 sind diese neuen EU-Regeln in Kraft. Es sind Anti-China-Gesetze, auch wenn niemand sie so nennen will. Auf dem Feld der Investitionskontrolle schaffen sie annähernd Waffengleichheit. Schon ihre schiere Existenz zeigt Wirkung: 2018 sinken die chinesischen Investitionen in Deutschland von 13,7 Mrd. Dollar im Vorjahr auf 10,7 Mrd. Dollar. Rund 9 Mrd. davon entfallen auf ein einziges, spektakuläres Investment: Geelys Einstieg bei Daimler, der mancherorts endgültig die Alarmglocken schrillen lässt.

Anfang Februar lädt Peter Altmaier die Hauptstadtpresse in den holzgetäfelten Eichensaal des BMWi. Es ist ein besonderer Tag für den Minister – er will sich als der Mann pro- filieren, der China die Stirn bietet. Bisher ging es bei den Initiativen der Regierung um Abwehr, doch Altmai- er drängt es in die Offensive. Das Regime in Peking fördert mit seiner Industriestrategie „Made in China 2025“ gezielt Schlüsselbranchen. Warum soll das nicht auch in Deutschland gehen? „Die ganze Welt macht brachiale Industriepolitik, nur wir sind die Deppen“, sagt ein Stratege im BMWi.

In den Wochen zuvor hat Altmaier quasi im Alleingang an seinem Konzept gefeilt. Hätten seine Beamten das Papier geschrieben, sagt er im Rückblick, wäre es „flach wie ein Kiesel“ geworden. Altmaier aber will einen Felsen ins Wasser werfen. Der Anteil der Industrie an der Bruttowertschöpfung soll in Deutschland auf 25 Prozent, in der EU auf 20 Prozent steigen. Solche Zielvorgaben kennt man eher aus Chinas Planungsbüros, nicht aus dem Haus eines Ludwig-Erhard-Nachfolgers. Mehr europäische und nationale Champions sollen entstehen, teils auf staatliche Initiative hin und mit höheren Beihilfen, etwa im Bereich künstliche Intelligenz. Zu diesem Zweck will Altmaier auch das EU-Kartellrecht ändern. Um künftig Zwangslagen wie bei 50Hertz zu vermeiden, schlägt er zudem einen Fonds vor, der ausländischen Interessenten europäische Unternehmen wegschnappen kann.

Aus Wirtschaftsforschungsinstituten, Medien und Verbänden kommt heftiger Gegenwind. Altmaiers Industriestrategie, heißt es, setze die Wirtschaft politischer Willkür aus, zudem bevorzuge sie Großkonzerne auf Kosten des Mittelstands. Doch es kommt auch parteiübergreifender Zuspruch: Der SPD- Politiker Machnig etwa findet die Strategie des CDU-Manns „ein bisschen hilflos, aber notwendig“.

Zur Wahrheit gehört auch, dass die Wirtschaft in ihrer Kritik Reflexen folgt, die sie an anderer Stelle längst überwunden hat. So sorgte der BDI im Januar mit einem Grundsatzpapier für Wirbel, das im „Systemwettbewerb“ zwischen China und der EU für eine „ehrgeizige Industriepolitik“ in Europa plädiert. Das Papier fordert, die künstliche Intelligenz voranzubringen und die EU-Fusionskontrolle zu lockern, um mehr europäische Champions zu schaffen. Und da soll es keine Überschneidungen mit Altmaier geben?

Klang es anfangs noch danach, als könnten die Pläne des Ministers sang- und klanglos in der Schublade verschwinden, so zeigten sich Wirtschaftsvertreter nach einer Aussprache mit Altmaier im Mai besänftigt. Konsultationen haben begonnen, um das Konzept zu überarbeiten. Im Herbst soll es laut BMWi als Regierungsstrategie beschlossen werden.

Auf der Seidenstraße

Umgeben von Zypressen, inmitten terrassierter Gärten steht am Nordosthang des Monte Mario in Rom die Villa Madama. Im 16. Jahrhundert in Auftrag gegeben vom späteren Papst Clemens VII., dient sie heute Italiens Regierung als Rahmen für Ereignisse besonderer Art. Ende März ist hier Xi Jinping zu Gast. Unter den zufriedenen Blicken des chinesischen Präsidenten unterzeichnet Italiens Vize-Premier Luigi Di Maio eine Absichtserklärung: Als erstes G7-Land schließt sich Italien der Seidenstraßen-Initiative an. Wie bereits der griechische Hafen Piräus sollen Genua und Triest zu chinesischen Drehscheiben in der EU ausgebaut werden.

Xi hat es einmal mehr geschafft, ein europäisches Land in sein globales Wirtschaftsnetzwerk zu locken. Schon öfter ist es China gelungen, die EU zu spalten. So haben Griechenland und Ungarn, von chinesischen Investitionen geködert, Peking vor Kritik abgeschirmt. China hat gar eine eigene europäische Ländergruppe namens 16+1 geschaffen, in der die Volksrepublik ihre Politik mit 16 mittel- und osteuropäischen Staaten abstimmt, darunter elf EU-Länder.

Von Rom aus reist Chinas Staatschef weiter nach Paris. Als seine Limousine auf dem Kies vor dem Élysée-Palast bremst, wartet auf dem Treppenabsatz nicht nur der Gastgeber. Zum Staatsbesuch hat Frankreichs Präsident zwei weitere Gäste geladen. An Emmanuel Macrons Seite schreiten die Bundeskanzlerin und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker die Stufen hinab, um dem Chinesen die Hand zu schütteln.

Es ist eine demonstrative Geste, die Xi nach seinem Spaltungsversuch in Italien zeigen soll: Zwischen uns Europäer passt kein Blatt. Man erwarte „Respekt vor der Einheit und den Werten der EU“, verkündet Macron später. Und setzt hinzu: „Die Zeit der Naivität ist vorbei.“

Paris setzt damit den Ton für den jährlichen EU-China-Gipfel, der zwei Wochen später in Brüssel stattfindet. Die EU wird den Chinesen hier bemerkenswerte Zugeständnisse abringen – es ist ein Lehrstück dafür, wie sich Verhandlungen mit Peking erfolgreich führen lassen.

Und zu verhandeln gibt es einiges. Die EU kann ihre Industriepolitik und Investitionskontrolle anpassen, aber den Zugang zum chinesischen Markt, die Vergabe öffentlicher Aufträge in China oder den Joint-Venture-Zwang kann sie nicht regulieren, sondern nur durch Absprachen mit Peking beeinflussen. Auch der US-chinesische Handelsstreit und die Debatte um den 5G- Netzwerkausrüster Huawei rücken den Umgang mit China mit Nachdruck auf die Agenda. „Es herrscht die Wahrnehmung vor, dass wir uns mit den Chinesen in einer Krisensituation befinden“, sagt eine hohe EU-Beamtin. „Ich glaube nicht, dass das Gefühl der Dringlichkeit bald verschwindet. Es ist ein wenig wie damals die Griechenlandkrise – es ist ein Leitmotiv.“

So kommt es, dass die EU-Regierungschefs im Vorfeld des Gipfels – man glaubt es kaum – ihre allererste Grundsatzdiskussion über China führen. Europas Staatenlenker sind frustriert, weil Peking der Trump- Administration Konzessionen in Aussicht stellt, die EU dagegen nicht ernst zu nehmen scheint. „Sie haben sich auf knallharte Schlussfolgerungen verständigt“, resümiert die hohe EU-Beamtin. „Dahinter konnten sie beim Gipfel nicht zurückfallen.“ Für das Treffen in Brüssel gilt nun: Lieber gar kein Abschlussdokument als ein fauler Kompromiss.

Bevor die EU-Größen auf Chinas Premier Li Keqiang treffen, ringen Unterhändler tagelang miteinander. Die Verhandlungen verlaufen zäh, doch diesmal hat die EU die besseren Karten. Sie präsentiert sich geschlossen – und profitiert zudem davon, dass sich China keinen Zweifrontenkrieg leisten will. „Die Chinesen wollten den USA zeigen, dass man mit einem kooperativen Partner zu vernünftigen Ergebnissen kommen kann“, sagt ein EU-Diplomat.

Im Gipfelpapier steht erstmals ein Zieldatum für ein Investitionsabkommen. Verhandelt wird darüber seit 2013. Die Chinesen haben den Prozess stets verschleppt, weil sie nichts zu gewinnen haben – sie genießen ja schon vollen Marktzugang in der EU. Nun lassen sie sich auf das Jahr 2020 festnageln. Die Europäer setzen zudem durch, dass im Papier erstmals Industriesubventionen und erzwungene Technologietransfers als Problem benannt werden. Man könnte glauben, die Zeit der Naivität sei tatsächlich vorbei.

Eine Brücke an der Adria

Es schüttet wie aus Kübeln, als Li Keqiang und der kroatische Premier Andrej Plenković eine Baustelle inspizieren. Trotz des Wetters werden die Pressefotos später beste Laune versprühen, ein strahlen- der Li schüttelt einer Ingenieurin mit Schutzhelm die Hand. Auf dem Rückweg vom EU-China-Gipfel in Brüssel hat sich der Premier für seinen Stopp in dem kleinen EU-Land stolze drei Tage Zeit genommen, unter anderem für die Besichtigung der Brückenbaustelle von Pelješac.

Gemeinsam drücken Li und Plenković einen gläsernen Knopf, als symbolischen Start für den zentralen Bauabschnitt der Adria-Brucke, die einmal den Süden Kroatiens mit dem Kernland verbinden soll. Ein chinesisches Konsortium errichtet das Bauwerk. Obwohl die EU 85 Prozent der Finanzierung übernimmt, bezeichnen kroatische Medien die Brücke als Teil der Neuen Seidenstraße. Li nennt sie sogar ein „Modellprojekt im Rahmen der 16+1“.

Die von China angeführte Ländergruppe versammelt sich tags darauf in der kroatischen Hafenstadt Dubrovnik. Um genau zu sein, müsste man jetzt von 17+1 sprechen, denn in Dubrovnik wird ein neues Mitglied aufgenommen: Griechenland. Das Kräftemessen zwischen China und der EU hat gerade erst begonnen.

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