Kolumne Über die Freiheit zur Innovation

Innovationen brauchen Zeit und Raum
Innovationen brauchen Zeit und Raum
© You X Ventures
Warum sind manche Unternehmen innovativ und andere nicht? Markus Väth über die Bedeutung des Begriffs Freiheit für Innovation in der Wirtschaft

Wenn Sie „Innovation“ und „Mittelstand“ googeln, erhalten Sie über sechs Millionen Treffer. Es gibt Bücher über Innovation, Artikel, Workshops, „Best Practice“ - Versprechen und vieles mehr. Dennoch scheitern viele Unternehmen an ihren Bemühungen um Innovation. Warum? Oder andersherum gefragt: Was machen innovative Unternehmen richtig? Eine ungewöhnliche Antwort auf diese Frage finden wir in der Philosophie, genauer: im Begriff der Freiheit.

Effizienzdenken führt zum Gegenteil von Innovation

Innovation bedeutet nicht, sofort alles richtig zu machen. Innovation bedeutet, aus möglicherweise zahlreichen Fehlschlägen das Maximum zu lernen - bis der Durchbruch gelingt. Diese Freiheit, das Versuchen und Lernen ohne den Zwang zum sofortigen Return on Investment - das beherrschen jene Unternehmen, die erfolgreich innovieren. Alle anderen verstolpern ihr Potenzial, indem sie ihren klugen Köpfen Fesseln anlegen, Budgets kleinhalten, Kreativität mit kurzfristigen Renditeforderungen strangulieren.

So planen laut einer Studie der DZ Bank weniger als ein Drittel aller befragten Mittelständler, gezielt in Innovation zu investieren. Hingegen wollen sich über 90 Prozent darauf konzentrieren, ihre Effizienz zu steigern. Diese Dynamik führt zum gewohnten, ideenlosen, risikoarmen Optimierungsspiel und verkörpert genau das Gegenteil von Innovationsgeist. Freiheit, die intellektuelle Luft zum Atmen und zum spielerischen Austausch von Ideen, ist jedoch die wichtigste Voraussetzung für innovative Entwicklungen. Und dieses freie Atmen, dieser Mut zur Innovation anstelle eines effizienzgetriebenen Zitronenauspressens findet in den Köpfen der Entscheider statt. Oder eben nicht.

Freiheit ist als erstes Freiheit von Angst

Es gibt mehrere Faktoren, welche die Freiheitsgrade für Innovationen vergrößern. Der wichtigste, aber auch schwierigste Faktor ist die Herstellung von Angstfreiheit. Angst ist in der heutigen Wirtschaft – ebenso wie Geld – eine der wichtigsten Stellschrauben. Viele Unternehmen funktionieren nach der Regel: Wieso soll ich auf positive Motivation setzen, wenn ich meinem Umfeld auch Angst machen kann? Die hässliche Wahrheit, die Berater und Coaches gern verschweigen, lautet: Angst ist ein mächtiger Motivator. Natürlich kein politischer korrekter, aber ein faktisch praktizierter. Ein Unternehmen, das innovieren will, müsste daher als erstes einen kulturellen Musterbruch durchführen: weg vom „Führen durch Angst“ hin zu „Führen durch Mutmachen“.

Das ist natürlich leichter gesagt als getan. Aber es gibt Beispiele für diesen neuen Stil: So praktiziert Google ein Team-Konzept namens „Psychologische Sicherheit“. Durch Supervision, Team-Strukturierung und Schulung der Team-Mitarbeiter wird ein Arbeitsklima erreicht, dass sich durch Vertrauen und Wagemut auszeichnet. Ein idealer Nährboden für innovatorische Ideen. Wer das als Gruppentherapie verlacht, hat die Zeichen der Zeit nicht erkannt. Google ist eines der erfolgreichsten Unternehmen des Planeten, da sollte man solche Initiativen aufmerksam verfolgen.

Freiheit bedeutet reales Experiment

Angstfreiheit im Kopf allein reicht natürlich nicht. Innovationen brauchen buchstäblich Raum und Zeit für Experimente. Moderne Methoden wie das Design Thinking nennen das „Prototypen bauen“. Prototypen sind nichts anderes als zu Material und Form geronnene Ideen in einem frühen Stadium. Befragt man erfolgreiche innovatorische Unternehmen, heißt es immer wieder: Unser Unternehmen gab uns Zeit, Räume und Budget. Ob diese Räume nun „Lab“ oder „Spin-Off“ heißen, ist egal. Es mag banal klingen, aber nicht wenige Unternehmen strangulieren ihre Innovatoren, indem sie ihnen eben wenig Zeit, kein Budget und kleine Räume geben. Wer einmal versucht hat, in einem fensterlosen, stickigen Raum ein „Creative Meeting“ abzuhalten, kennt das Problem. Und dieses ist eben nicht punktuell, sondern strukturell: Es fehlt die Freiheit, das Vertrauen, der weite Atem. Alles liegt unter einer kleingeistigen Decke der finanziellen Verlustangst.

Fragt sich denn niemand, warum Menschen, die in ihrer Freizeit neugierig sind, Risiken eingehen und kreative Lösungen finden, am Arbeitsplatz auffallend oft den Kopf einziehen, Dienst nach Vorschrift machen und jede Idee vermissen lassen? Die strukturelle Kultur des operativen Klein-Klein und ein schlechter Ruf des Begriffs „Experiment“ lassen jede innovatorische Tätigkeit implodieren, bevor sie begonnen hat.

Freiheit bedeutet Kooperation

Die Zeiten des einsamen Genies, das in seinem Kabuff sitzt und nach einer langen Phase des Brütens „Heureka“ ruft, sind vorbei. Ideen und Innovationen entstehen heute im Team, durch gemeinsam Erfinden, Beurteilen, Verbessern. Das ist nicht nur sachdienlich, sondern unterstützt den evolutionären Trieb des Menschen zur Kooperation. Denn im Gegensatz zu veralteten Theorien und Ideen ist der Mensch dem Menschen eben nicht (nur) ein Wolf. Die moderne Psychologie weiß, dass Menschen nicht nur Konkurrenz-, sondern auch Kooperationsverhalten als belohnend, ja beglückend empfinden können. Daher liegt der letzte wichtige Impuls zur Innovation in einer starken Vernetzung der Mitarbeiter im Unternehmen. Erhöhen Sie die intellektuelle und innovatorische Reibungsfläche! Schaffen Sie Foren zum Austausch, zur Präsentation von Ideen! Schaffen Sie Strukturen zum kollektiven Lernen!

Aber das funktioniert nur, wenn eine weitgehend angstfreie Kultur herrscht. In der Vernetzung liegt gleichzeitig eine große Chance und eine große Gefahr: Austausch verstärkt die dominante Kultur – im Guten wie im Schlechten. Besteht der kulturelle Beitrag der Führungskräfte zu einem Gutteil aus Angst und deren Produktion, wird das Innovation lähmen. Haben Führungskräfte hingegen „Freiheit im Kopf“, fällt es ihnen leichter, Freiheit bei ihren Mitarbeitern zuzulassen. So entsteht eine innovatorische Spirale: Freiheit führt zu Mut, Mut führt zu vielfältigeren Ideen, ein größeres Ideenspektrum mit höherer Wahrscheinlichkeit zur bahnbrechenden Innovation.

Innovation beginnt somit nicht an der Werkbank, nicht einmal im Kopf des Mitarbeiters. Innovation beginnt im Kopf der Führungskraft, bei ihrer Sehnsucht nach Freiheit. Denn nur wer sich nach der Lösung auf der anderen Seite der Mauer sehnt, kann diese durchbrechen.

Markus Väth
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Markus Väth ist einer der profiliertesten New-Work-Coaches im deutschsprachigen Raum und seit mehr als zwölf Jahren in den Themen New Work, Management und Führung tätig. Darüber hinaus hat er mehrere Sachbücher im Bereich Psychologie und Management verfasst und ist Co-Founder eines Think Tanks zur Zukunft der Arbeit.

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