Ich gebe zu: Der Begriff „radikal“ hat momentan ein schlechtes Image. Als „radikal“ gelten zum Beispiel Aktivisten, Rechts- oder Linksradikale (sic!) und ganz generell Menschen, die über die Meinungen anderer hinwegpoltern wie Nashörner über eine Erdmännchen-Siedlung. Radikale sind Menschen, die ihre Vorstellung der Welt unbedingt durchdrücken wollen – sei sie noch so traumtänzerisch oder gemeingefährlich.
Dabei liegt im Begriff „radikal“ noch eine ganz andere Bedeutung verborgen. „Radikal“ stammt vom lateinischen „radix“, die Wurzel. Etwas Radikales zeigt somit auf die Essenz einer Sache, auf deren Wesen, auf das, worum es im Grunde geht. Radikalität wird somit zur Suche nach einem Wesenskern. Auch Johann Wolfgang von Goethe ließ seinen „Faust“ Radikales denken: „Dass ich erkenne, was die Welt im Innersten zusammenhält“, hat sich hier als berühmtes Zitat überliefert.
Warum es Zeit wird für Radikal Arbeiten
Wir brauchen es heute eine Nummer kleiner als Goethe und sein „Faust“, aber es wird auch für uns Zeit, zurückzukehren: zur Wurzel, zur Essenz – und zwar bei unserer Arbeit. Deswegen sollten wir eine neue Bewegung ausrufen: Radikal Arbeiten. Radikal Arbeiten, die Reduzierung der Arbeit auf ihren Kern wird aus mehreren Gründen notwendig:
- Fachkräftemangel: Wir haben seit längerem in Deutschland zu wenige Menschen für zu viel Arbeit. Dieser Trend wird sich in den kommenden Jahren nicht umkehren, sondern womöglich noch verschlimmern. Wir müssen uns daher fragen, wie wir Menschen für Arbeiten klug einsetzen. Anders formuliert: Welche Berufe und Tätigkeiten sind für uns gesellschaftlich relevant?
- Zeitmangel: In der Arbeit selbst fehlen uns mitunter Ressourcen; die am meisten beanspruchte Ressource ist Zeit. Wir brauchen daher eine Produktivitätsoffensive innerhalb der uns zur Verfügung stehenden Arbeitszeit: weg mit unnötigen Meetings und unnötiger Bürokratie. Menschen wollen wirksam sein in ihrer Arbeit.
- Geldmangel: Selbst gutgehende Unternehmen müssen sich heutzutage fest anschnallen. Steigende Zinsen, Inflation, steigende Energiepreise und andere Kosten treiben die Ausgaben in die Höhe. Reine Stellen- oder Kostenstreichung reicht als Gegenmaßnahme nicht aus; wir brauchen einen radikalen Blick auf Unternehmensstrategien, auf Prozesse und Wertschöpfung.
- Veraltete Organisationen: Wir verwenden in Unternehmen noch zu oft überkommene Organisations- und Führungsmodelle. Das hat einerseits mit jahrzehntelanger Sozialisation in alten Schul- und Arbeitsumgebungen zu tun, andererseits mit der Angst vor Erneuerung. Wir brauchen Organisationen, deren Anpassungsfähigkeit mit der Veränderung der Welt Schritt halten kann.
Daran erkennen Sie Radikal Arbeiten
Wir sollten die Art, wie wir arbeiten, überdenken und konsequent verändern. Der Punkt ist: Woran erkenne ich Radikal Arbeiten? Radikal Arbeiten stellt fünf Fragen, die möglichst mit „Ja“ beantwortet werden sollten.
- Ist die Tätigkeit notwendig? Bullshit-Jobs sollten wir nicht länger tolerieren.
- Ist die Tätigkeit attraktiv? Für sinnvolle Jobs sollte es gute Arbeitsbedingungen und anständige Bezahlung geben.
- Ist die Tätigkeit machbar? Radikales Arbeiten sollte den Einzelnen fordern, ihn zur Entwicklung anregen – ihn aber auch nicht ausbrennen lassen.
- Ist die Tätigkeit human? Radikales Arbeiten berücksichtigt psychische und physische Bedürfnisse des Menschen.
- Ist die Tätigkeit sinngebend? Radikales Arbeiten trägt zu einem größeren Ganzen bei, hat im weitesten Sinne gesellschaftliche Relevanz.
Unsere wirtschaftliche und politische Situation erfordert ein neues Umgehen mit der Ressource Arbeitskraft. Unsere Gesellschaft braucht Veränderung, Veränderung braucht Fortschritt, und Fortschritt braucht Resultate. Radikal Arbeiten bündelt Ressourcen, spiegelt gesellschaftliche Relevanz und trägt zu unternehmerischem Fortschritt bei. Radikal Arbeiten ist die Perspektive einer neuen Arbeitsphilosophie. Fangen wir heute damit an.