Seit Jahren sind die Machtverhältnisse am Arbeitsmarkt dabei sich zu verschieben. Arbeitgeber müssen um die Gunst von Bewerbern buhlen, Arbeitnehmer können ihre Bedingungen bisweilen diktieren. Und selbst die aktuell schwächelnde Konjunktur ändert daran nichts – Unternehmen suchen weiter händeringend nach geeigneten Fachkräften.
Ihrer neuen Machtposition sind sich dabei viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer durchaus bewusst. Das unterstreicht eine neue Studie, für die Fachkräfte mit abgeschlossener Berufsausbildung befragt wurden. Demnach hat gut die Hälfte der Befragten das Gefühl, sich ihren Job aktuell aussuchen zu können. Besonders ausgeprägt ist die Ansicht unter Beschäftigten in der Pflegebranche – hier glauben das gut 74 Prozent.
Für die repräsentative Studie wurden 3.000 Personen durch das Marktforschungsinstitut Bilendi im Auftrag des Onlineportals Meinestadt.de befragt, die Ergebnisse liegen Capital exklusiv vor.
Den aktuellen Fachkräftemangel unterstrich zuletzt im Dezember 2022 etwa ein Report des Kompetenzzentrums Fachkräftesicherung, demnach waren deutschlandweit 1,2 Millionen Stellen für Qualifizierte unbesetzt. In den kommenden Jahren wird sich das Problem durch den demografischen Wandel zudem weiter verschärfen. Die Frühsommer-Konjunkturumfrage der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) zeigte jüngst, dass der Fachkräftemangel für Unternehmen zu einem immer größeren Geschäftsrisiko wird. Am meisten wird der DIHK zufolge im Eisenbahnverkehr gesucht, wo die Streiks zuletzt regelmäßiger und extremer geworden sind.
Weniger als ein Drittel nutzt die Voraussetzungen für sich aus
Andere Branchen, die händeringend Fachkräfte suchen, sind das Handwerk und die Pflege. Hier trifft das Gefühl, sich den Job aktuell aussuchen zu können, überdurchschnittlich häufig zu – im Handwerk sind es 55 Prozent der Fachkräfte. Den geringsten Anteil an Beschäftigten, die glauben, sich ihren Job aussuchen zu können, haben der Handel und die Logistikbranche, mit nur etwa 40 Prozent.
Branchenübergreifend gilt aber: Nicht einmal ein Drittel der Fachkräfte nutzt die guten Voraussetzungen auf dem Arbeitsmarkt offenbar aktiv aus, zum Beispiel um sich durch einen Jobwechsel beruflich zu verbessern. Bei den Teilzeitkräften liegt dieser Anteil bei nicht einmal einem Viertel. In der Logistik nutzen immerhin 37 Prozent die Voraussetzungen und in der Pflege 42 Prozent. Eigentlich könnten die Arbeitnehmer aber auch hier weitaus höhere Gehälter und bessere Arbeitsbedingungen fordern oder dafür gegebenenfalls den Job wechseln. Doch genau das bleibt gerade beim Großteil der Befragten noch aus.
„Das eher defensive Bewerbungsverhalten hinkt den aktuellen Verhältnissen auf den Arbeitsmärkten hinterher“, sagt Mark Hoffmann, CEO von Meinestadt.de. „Die Mehrheit der Fachkräfte scheint derzeit zufrieden im Job. Arbeitgeber sollten alles dafür tun, dass dies so bleibt.” Ansonsten stehe den Unternehmen der eigentliche Fachkräftemangel noch bevor.
Tatsächlich gibt über die Hälfte der Befragten an, der Begriff „Traumjob“ sei für ihre aktuelle Tätigkeit zutreffend. Fachkräfte im Handwerk sind mit 60 Prozent besonders zufrieden, auch Pflegefachkräfte kommen auf 56 Prozent.
Auswirkungen von Energiekrise und Inflation machen den meisten Angst
Gleichzeitig machen sich Fachkräfte in der Pflege und im öffentlichen Sektor angesichts der schrumpfenden Wirtschaft am wenigsten Sorgen, dass ihr Job dadurch in Gefahr sein könnte. Insgesamt tut das weniger als ein Viertel der Befragten. Trotzdem jagt die wirtschaftliche Entwicklung mit Energiekrise und Inflation branchenübergreifend fast drei Viertel der Befragten Angst ein.
Nur 18 Prozent verdienen laut der Umfrage ihrer Ansicht nach genug, um die Mehrkosten der Krise langfristig schultern zu können. Fachkräfte aus Handel und Handwerk sehen sich hier am stärksten betroffen. Unterstützung vom Arbeitgeber, etwa in Form von Bonuszahlungen, hat insgesamt nur ein Viertel der Befragten erhalten. Gut möglich, dass auf die Arbeitgeber vor diesem Hintergrund auch in Zukunft hohe Lohnforderungen zukommen.