Nadine Oberhuber ist Wirtschafts- und Finanzjournalistin. Sie schreibt auf Capital.de über Geldanlagethemen
Mal angenommen, Sie hätten sich eines dieser schicken Smartphones in einer Filiale eines großen Elektronikmarkts gekauft, und es würde plötzlich in Rauch aufgehen. Viele Smartphones tun das ja heutzutage. Sie würden doch umgehend mit dem verbrannten Gerät in den Markt spazieren und es dort reklamieren, oder? Und Sie würden sicherlich einen mittelgroßen Aufstand veranstalten, wenn der Verkäufer im Elektronikmarkt antworten würde, er nehme das Gerät nicht zurück – er habe es ja schließlich nur verkauft und nicht gebaut. Ein Elektronikverkäufer würde das kaum wagen, doch bei Banken ist diese Antwort gang und gäbe.
Wenn Kunden bei ihnen Produkte kaufen, deren Wert sich später in Luft auflöst, dann argumentieren sie fast immer genau so: Dafür seien sie nicht verantwortlich, denn sie hätten die Wertpapiere nur vermittelt und nicht selber konstruiert. Für den Ausgang des Anlageprozesses und für eventuelle Totalverluste seien sie deshalb nicht zuständig. Damit müsse der Anleger dann schon alleine leben. Sie machen es sich also ziemlich einfach – zu einfach, entschied das Oberlandesgericht München jetzt in einer Leitsatzentscheidung, die mehrere hundert Anleger betrifft (Az: 5 U 129/16).
Der Prospekt allein reicht nicht aus
In dem verhandelten Fall ging es um einen gefloppten geschlossenen Fonds, mit dem auch viele deutsche Anleger ein Riesenrad in Singapur finanzierten. Das Unternehmen allerdings floppte, die Betreibergesellschaft steht mittlerweile unter Zwangsverwaltung und die Anleger erlitten einen Totalverlust. Als sie versuchten, eine Entschädigung von den Banken zu erstreiten, hörten sie von den Kreditinstituten sinngemäß die Antwort: Wir haben den Fonds nur vermittelt und alle dazu notwendigen Unterlagen – also die Prospekte – auch korrekt an die Anleger ausgereicht. Im Prospekt standen sämtliche Planzahlen zum Bau und Betrieb des Riesenradbaus – die aber eben nur vage Pläne waren. Welches Risiko tatsächlich in der Geldanlage steckte, hätten die Banken daraus selber nicht erkennen können. Ihnen sei also kein Vorwurf zu machen.
Das Gericht sieht das anders: Einfach nur den Prospekt auszureichen und sich auf die Zahlen darin zu berufen, reiche nicht, urteilten die Richter. Die Bank hätte in diesem Fall „prüfen und hinterfragen“ müssen, ob die genannten Planzahlen auch tatsächlich erreichbar seien. Vor allem, weil die verkaufende Bank nicht nur das Eigenkapital für den Riesenradfonds eingeworben habe, sondern auch noch ein Darlehen an die Projektgesellschaft in Singapur ausgab. Mit ihrem „banküblichen kritischen Sachverstand“ hätte sie also entdecken müssen, dass die Zahlen in den Prospekten doch arg optimistisch und ins Blaue hinein gerechnet waren. Zumal für das Riesenrad noch gar keine Baugenehmigung erteilt worden war und die Planungen für den Bau noch längst nicht beendet waren. Was im Übrigen nirgendwo im Prospekt zu lesen war.
Zumindest aber hätte sie, für den Fall, dass sie eben diese kritische Prüfung unterlassen habe, dem Anleger offen sagen müssen: „Wir verkaufen Ihnen hier eine Beteiligung, deren Inhalte wir selber noch nicht geprüft haben. Wir geben Ihnen dazu diesen Prospekt, wissen aber nicht, welchen Wahrheitsgehalt die Angaben darin haben.“ Ob irgendein Anleger dann wohl den Fonds gezeichnet hätte? Man darf das bezweifeln.
Risiken müssen benannt werden
Davon gingen im Übrigen auch schon andere Gerichte aus. Bereits in früheren Urteilen zum Thema Fondsprospekte und deren Inhalte, befanden die Richter: Wenn es größere Risiken in Bezug auf Anlageobjekte gibt, dann müssen entweder die Prospekte deutlich darauf hinweisen. Bei geschlossenen Immobilienfonds muss also etwa explizit gesagt werden, dass sich das Projekt noch in der Planungsphase befindet oder dass für Mietanpassungen ausländisches Recht gilt, dass sie also schwerer zu erzielen sein könnten als nach deutschem Recht. Oder dass der Wiederverkauf der Fondsanteile problematisch werden könnte. Denn das sind wesentliche Informationen und wichtige Grundlagen für die Investitionsentscheidungen, bei denen man davon ausgehen kann, dass ein Anleger den Fonds nicht gezeichnet hätte, wenn ihm diese Risiken klar gewesen wären. Steht es nicht ausdrücklich im Prospekt, muss der Berater dies klar benennen. Soweit die Theorie.
Machen Sie den Depotcheck für 2016! Ermitteln Sie die Renditeerwartungen
und das eingegangene Risiko
Ihres Depots:
www.capital.de/depotcheck.html
In der Praxis und bei der Auslegung wird es jedoch fast immer schwer. So stritten Anleger und Kreditinstitute zum Beispiel schon diverse Male darüber, wie deutlich ein Berater selber noch auf Risikohinweise im Prospekt eingehen muss, oder ob er sich ganz sparen kann, solche Risiken zu erwähnen, wenn sie bereits im Prospekt stehen – was ebenfalls einige Gerichte zulässig finden. In einem Fall, der vor Gericht landete, stand im Prospekt, dass die Fondsanteile zwar „jederzeit veräußerlich“ seien, aber „ein Markt hierfür zurzeit nicht vorhanden ist“. Kann man auf dieser Grundlage davon ausgehen, dass ein Kunde daraus die korrekten Schlussfolgerungen zieht? Also, dass er seine Anteile vorzeitig so gut wie nicht wieder loswird – weil er sie nirgendwo verkaufen kann? Manche Gerichte finden: ja, davon könne man bei diesem Satz ausgehen.
Prognoserechnungen waren Luftnummern
Die klagenden Anleger sahen das offenbar anders. Sie fühlten sich getäuscht, weil sie das „zurzeit“ so ausgelegt hatten, dass es zwar zum Zeitpunkt der Zeichnung noch keinen Markt gebe, sich der aber bestimmt bald entwickeln werde, weil ja weiter oben stand, dass die Anteile „jederzeit veräußerlich“ seien. Und diese „Missverständnisse“ sind nicht die einzigen Beispiele, weswegen sich Banken und Anlegerkläger regelmäßig vor Gericht herumschlagen. Vor allem wenn geschlossenen Fonds, vorwiegend Immobilienfonds, mal wieder ihre Prognosen nicht einhalten und in Schieflage geraten, streiten beide Parteien um ihr Recht.
Der Leitsatz des Oberlandesgerichts Münchens gilt nun für immerhin 200 Anleger, die hoffen dürfen, von Unicredit dafür entschädigt zu werden, dass sie ihr die Riesenradfonds gutgläubig abnahmen. Denn die hätte zwar den Fonds auch ohne genauere Projektprüfung vermitteln und verkaufen dürfen, hätte dann aber auch darauf hinweisen müssen, dass die Prognoserechnungen im Grunde nur eines waren: reine Luftnummern. Und es wäre noch viel mehr Sparern geholfen, wenn sich alle bewusst machen würden, dass sehr, sehr viele der Daten in den Fondsprospekten nichts anderes sind als heiße Luft. Dann würden zumindest nicht mehr so viele Anlegermillionen regelmäßig in Rauch aufgehen.
Newsletter: „Capital- Die Woche“
Jeden Freitag lassen wir in unserem Newsletter „Capital – Die Woche“ für Sie die letzten sieben Tage aus Capital-Sicht Revue passieren. Sie finden in unserem Newsletter ausgewählte Kolumnen, Geldanlagetipps und Artikel von unserer Webseite, die wir für Sie zusammenstellen. „Capital – Die Woche“ können Sie hier bestellen: