Das Anschreiben der Dortmunder Versicherungsagentur kam im Mai lapidar daher. Betreff: Umwandlung Ihrer Unfall-Kombirente. Der Kunde möge die beiliegende Umstellungsmöglichkeit prüfen und den Antrag per Post zurücksenden – vielen Dank und einen schönen Tag noch.
Das eigentliche Anliegen der Axa fand sich erst auf Seite zwei. Weil die Kosten im besagten Tarif Jahr für Jahr stiegen, könne man das „Leistungsversprechen nicht mehr aufrechterhalten“. Es gebe zwei Möglichkeiten: Entweder der Kunde stelle seinen Schutz auf die hauseigene Existenzschutzpolice um – oder ihm werde gekündigt. Anders formuliert: Die Axa hat sich verkalkuliert, und ihre Kunden sollen nun sehen, wo sie bleiben. Und tschüss.
Für die 17.500 Versicherten, die von der Kündigung bedroht sind, ist die Abwicklung der Unfall-Kombirente bitter. Mit den Verträgen, die von 2006 bis 2010 verkauft wurden, sicherten sie sich für den Fall der Invalidität eine lebenslange Rente – also einen auf Jahrzehnte angelegten Existenzschutz, den sie anderswo nun womöglich nicht mehr bekommen. Das Umstellungsangebot der Axa bietet keine lebenslange Zahlung und auch insgesamt ein schlechteres Preis-Leistungs-Verhältnis.
Ein ernstes Problem
Der Sanierungskurs des Kölner Versicherungsriesen wirft ein Schlaglicht auf eine ganze Produktgruppe – und auf ein ernstes Problem. Auch andere Anbieter verkaufen seit zehn Jahren sogenannte funktionelle Invaliditätspolicen, die oft als Absicherung angeboten werden, wenn Kunden keine Berufsunfähigkeitspolice bekommen oder bezahlen können. Sie bieten allerdings nur einen reduzierten Schutz, zum Beispiel nach einem Unfall, bei dauerhaften Organschäden oder Krankheiten wie Krebs. Die Krux: Ein großer Teil der Tarife ist als Unfallversicherung konzipiert und kann deshalb vom Anbieter gekündigt werden. „Das ist ein reales Risiko für Kunden – und alles andere als verbraucherfreundlich“, urteilt Peter Grieble, Versicherungsexperte der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg.
Ein Rauswurf ist in Fällen wie bei Axa zwar formal rechtens. Doch der Kunde muss laut Grieble zumindest von Anfang an darüber aufgeklärt werden, worauf er sich da einlässt. Nach seiner Erfahrung fällt das Thema im Verkaufsgespräch aber regelmäßig unter den Tisch – zu schlecht fürs Geschäft.
Die Axa versucht sich nun erst einmal in Schadensbegrenzung. Man argumentiert, dass manche Versicherte nicht von der Kündigungsaktion betroffen seien – darunter knapp 1500 ältere Kunden ab 58 Jahren sowie alle, die bereits Leistungen beziehen. „Vollständig ausgenommen“ seien zudem 2000 Unfallrenten mit Beitragsrückgewähr – bei denen der Kölner Versicherer allerdings auch gar kein Kündigungsrecht hat.
Die Mehrheit der Kunden wird jedoch hinauskomplimentiert oder in die hauseigene Existenzschutzpolice umgebettet – laut Axa zu vergünstigten Konditionen und ohne Gesundheitsprüfung. „Das ist ja wohl auch das Mindeste“, urteilt Verbraucherschützer Grieble.
Wer sich zu einem hausinternen Umstieg entschließt, verliert einiges. Versprach die Axa ursprünglich, ihr innovatives Konzept biete „beruhigende Sicherheit“, so sollen die Versicherten nun auf wichtige Leistungen verzichten – vor allem auf die lebenslange Rente. Denn beim neuen Existenzschutz wird nur bis zum Alter von 67 Jahren gezahlt, im häufigen Fall einer Krebserkrankung maximal noch fünf Jahre lang. Zugleich steigt der Beitrag bei einer Monatsrente von 1000 Euro deutlich, teils von 20 auf 30 Euro im Monat – ein Prämienplus von 50 Prozent.
Selbstsicher kalkuliert
Vieles spricht dafür, dass die Axa schlicht viel zu selbstsicher kalkuliert hat. Das Unternehmen bestreitet, dass es sich verrechnet hat – vielmehr hätten sich Rahmenbedingungen wie die anhaltenden Niedrigzinsen und der medizinische Fortschritt „drastisch und nachhaltig verändert“.
Dafür sollen nun die Kunden geradestehen. Wie kann das sein? „Es ist das Geschäft der Versicherer, mit künftigen Risiken umzugehen“, sagt Grieble. „Ansonsten stellt sich die Frage: Wer rechnet denn da?“ Oft werde nach seinem Eindruck recht freihändig kalkuliert, und später heiße es dann: War leider nichts.
Anfällig für Fehleinschätzungen von Produktentwicklern sind naturgemäß besonders neue Angebote. Noch vor drei Jahren wiesen Experten in Fachaufsätzen darauf hin, dass die Versicherer für den neuen Invaliditätsschutz bislang „nicht über ausreichend geprüftes und bewertetes Datenmaterial“ verfügen.
So liefen denn der Axa wohl bei der Krebsabsicherung die Kosten davon. Die früheren Annahmen deckten sich nicht mit dem heutigen Schadensaufwand, räumt der Versicherer ein. Krankheiten würden heute öfter entdeckt als früher, und auch die Heilungschancen der Patienten seien gestiegen. Die Folgen dieser Entwicklungen benennt die Axa in einem Schreiben an ihre Vertriebe in aller Deutlichkeit: Das Verhältnis von Beitragseinnahmen und Leistungsausgaben sei „aus dem Gleichgewicht geraten“.
Die steigenden Ausgaben treffen auch andere Anbieter der Produkte, wie etwa die Janitos Versicherung, die bei älteren Tarifen jüngst zum Jahreswechsel die Beiträge anhob. Auch andere handhabten das schon so, schließlich sind höhere Prämien bei Sachversicherungen das übliche Mittel, um mit steigenden Ausgaben umzugehen.
„Erst freundlich, dann weniger freundlich, schließlich Reißleine“
Wie gründlich die Axa mit ihrem Produktkonzept danebenlag, zeigt sich daran, dass sie die Möglichkeit einer Beitragsanpassung für ihre Unfall-Kombirente gar nicht vorsah. So blieben ihr zum Ausgleich der galoppierenden Ausgaben schließlich nur noch die Eigenmittel des Unternehmens – oder eben die Sanierung per Kündigungsschreiben.
Über das harsche Vorgehen der Kölner sind nicht nur die Kunden erbost. Ihnen war bisher vielfach nicht einmal bewusst, dass sie mir nichts, dir nichts vor die Tür gesetzt werden können. Mit dem Verfahren hadern aber auch viele Vermittler, die ihre Kunden nun in den Axa-Existenzschutz umleiten sollen.
Es sei „überraschend“, dass die Axa wegen einer überschaubaren Zahl von Verträgen ihre Reputation gefährde, meint ein Makler. Es laufe wie immer, kommentiert ein anderer: Erst müsse der Vertrieb ran, dann komme noch ein letztes Umstellungsangebot direkt von der Kölner Zentrale inklusive formeller Kündigung. „Erst freundlich, dann weniger freundlich, schließlich Reißleine.“
Was also tun? Ein Makler sagt, er werde allen Betroffenen empfehlen, den Schutz der Unfall-Kombirente so lange wie möglich aufrechtzuerhalten und erst zum spätesten Termin auf den Axa-Existenzschutz umzustellen. Letzteres sollten zudem nur kranke oder ältere Versicherte tun, die anderswo keinen Schutz mehr bekämen.
Mehr Möglichkeiten haben junge Kunden, die eventuell auf andere Anbieter ausweichen können. Ihnen raten Verbraucherschützer, sich am Markt umzusehen. „Wer die Möglichkeit hat, sollte prüfen, ob sich nicht etwas Besseres findet“, sagt Rita Reichard von der Verbraucherzentrale NRW in Düsseldorf. Den besten Schutz biete nach wie vor eine Berufsunfähigkeitspolice.
Ein Weckruf
Die Causa Axa ist zugleich ein Weckruf für zigtausend weitere Kunden, die ähnliche Policen bei anderen Unfallversicherern besitzen – mal unter dem Namen „Unfallrente Plus“ (Gothaer), mal unter „Golden IV Exklusiv“ (LV 1871). Viele dieser Angebote behalten sich ebenfalls ein Kündigungsrecht für den Fall vor, dass der Tarif komplett oder teilweise abgewickelt wird. Beitragssteigerungen sind inzwischen oft sogar automatisch vorgesehen.
Wer prüfen will, ob auch der eigene Schutz betroffen sein könnte, sollte zunächst einmal nachschauen, ob dessen Anbieter in den Unterlagen als Sachversicherer firmiert – ob dort also statt „XY Lebensversicherung“ schlicht „XY Versicherung“ steht. Ist das der Fall, lohnt sich ein Blick ins Kleingedruckte, um vor Überraschungen gefeit zu sein.
Tatsächlich ist es bei Sachversicherungen gar nicht selten, dass Anbieter aus Policen aussteigen. In der Wohngebäude- und Rechtsschutzversicherung gab es schon mehrere Kündigungswellen, weil die Anbieter ihre Bestände sanierten. Jüngst kündigte auch der ADAC an, wegen einer strategischen Neuausrichtung rund 59.000 Verträge von Deutschen mit Wohnsitz im Ausland zu kündigen – vor allem Auslandsreise- und Rechtsschutzpolicen.
Bei der wichtigen Arbeitskraftabsicherung jedoch gab es so etwas bislang nicht. Insofern begeht die Axa hier einen Kulturbruch. Der langfristige Invaliditätschutz war bisher vorwiegend Sache der Lebensversicherer, die bei Berufsunfähigkeitspolicen jedoch kein Kündigungsrecht besitzen. Auch bei neueren Angeboten wie der Körperschutzpolice der Allianz ist ein Rauswurf nicht möglich.
Diese Sicherheit hat allerdings ihren Preis: Die Prämien sind je nach Leistungsumfang des Produkts mitunter drei- bis zehnmal so hoch wie beim erweiterten Unfallschutz. Wer so viel Geld nicht ausgeben kann oder will, muss wohl oder übel mit der Unsicherheit leben, vom Versicherer rausgeworfen werden zu können – oder man wählt von vorneherein ein Angebot ohne diesen Fallstrick.
Immerhin: Die Axa verzichtet bei ihrem Existenzschutz, der nunmehr dritten Produktgeneration, auf das Recht zur Kündigung.