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Daniel Saurenz Wer hat recht am Aktienmarkt?

Börsenhändler in New York
Börsenhändler in New York: Trotz Rezessionsgefahr ist die Stimmung an den Aktienmärkten gut
© IMAGO / Xinhua
Am Anleihemarkt wird seit Monaten eine Rezession fest eingeplant. Ganz anders die Lage bei den Dividendenwerten: Selbst steigende Zinsen werden ignoriert, die Kurse steigen kräftig und zwingen immer mehr Anleger in den Markt. Ein Spiel mit dem Feuer

Steigende Zinsen bremsen den Konsum und erschweren die Refinanzierungsbedingungen für die Unternehmen – diesen Wirkungszusammenhang lernt jeder im Fach Volkswirtschaft. Theorie und Praxis weichen aber nicht selten zumindest für eine gewisse Zeit voneinander ab. Und genau mit dieser Situation sehen sich derzeit viele Investoren an den Finanzmärkten konfrontiert. „Die Lage ist beinahe grotesk: Inzwischen summieren sich die Zinsschritte der US-Notenbank Fed auf 450 Basispunkte. Dazu kommt die Bilanzreduzierung von 95 Mrd. Dollar pro Monat. Im Windschatten lässt es den Dax aber nicht einknicken“, sagt Jürgen Molnar vom Broker RoboMarkets.

Eine so schnelle Zinswende hat es seit den 80er-Jahren nicht mehr gegeben. „Und ein Ende ist angesichts der nur leicht sinkenden Inflation nicht in Sicht“, sagt Dennis Austinat Deutschland-Chef der internationalen Multi-Asset-Plattform Trive. „Notenbank-Chef Powell warnte in dieser Woche, dass das angepeilte Zinsniveau höher sein werde als bislang vom Markt erwartet. Auch das Tempo der Zinserhöhungen könnte verschärft werden“, ergänzt er. Bisher hatte man eher auf gegenteilige Worte gehofft.

Zinsen signalisieren Rezession

Am Anleihemarkt sprang die Rendite der zweijährigen Staatsanleihen mit fünf Prozent auf das höchste Niveau seit 16 Jahren. Am langen und von der Fed nur wenig beeinflussten Ende wie den zehnjährigen sind es nur knapp vier Prozent. Die Differenz zwischen den Renditen zweijähriger und zehnjähriger Staatsanleihen liegt zum ersten Mal seit September 1981 unter minus 100 Basispunkten oder einem Prozentpunkt“, sagt Norbert Betz, Leiter der Handelsüberwachung der Börse München/Gettex. „Neben anderen Signalgebern wie den Frühindikatoren gilt eine solch inverse Zinskurve als guter Rezessionsindikator“, so Betz weiter.

Je stärker die Notenbanker nun straffen, desto größer die Gefahr einer harten Landung und somit Rezession der Wirtschaft. Eigentlich müsste der Aktienmarkt daher in den Keller rauschen. Tatsächlich liegt der Nasdaq 100 seit Jahresbeginn zehn Prozent im Plus, der Dow nur leicht im Minus. 

Teure Aktien

Wer die Märkte aus dem Blickwinkel der Bewertung untersucht, kann darüber nur den Kopf schütteln. Mit einem KGV von 18 ist der S&P 500 teurer als im Durchschnitt der vergangenen zehn Jahre. Vor allem zum Anleihemarkt scheint der Markt jedes Gleichgewicht verloren zu haben. Denn als Aktionär partizipiert man nicht nur an Gewinnen, sondern trägt auch Verluste sowie unternehmensbezogene Risiken mit. Daher liegt die geforderte Rendite einer Aktie immer über der Verzinsung einer risikolosen Anlage wie US-Staatsanleihen.

Diese sogenannte Risikoprämie ist zuletzt mit rund 160 Basispunkten allerdings auf das tiefste Niveau seit rund 20 Jahren gefallen. Normalerweise beträgt der Aufschlag rund 300 bis 350 Basispunkten. Darüber hinaus liegt die Dividendenrendite des S&P 500 bei nur 1,7 Prozent, während sechsmonatige Anleihen eine Rendite von mehr als fünf Prozent bieten. Erstmals seit 20 Jahren weisen US-Aktien somit keinen Renditevorteil mehr auf trotz höherer Risiken.

Zugegeben: Märkte können länger irrational bleiben, als liquide – das wusste schon John Maynard Keynes. Und die gern zitierte Stärke in den ersten Monaten von Vorwahljahren zeigt sich bisher auch 2023. Doch je mehr sich die Kurse von ihren durchschnittlichen Bewertungsrelationen nach oben entfernen, desto gefährlicher die Fallhöhe. Mittel- und langfristig wird sich die Zinsrally in der Realwirtschaft niederschlagen. Als Anleger sollte man daher aktuell vorsichtig agieren.

Daniel Saurenz betreibt mit seinem Team das Börsenportal Feingold Research. Es bietet täglich einen Börsenbrief an, den Sie für 14 Tage kostenfrei testen können. Melden Sie sich unter info@feingold-research.com an oder probieren Sie den Börsendienst unter diesem Link aus. Trainingstage und Coachings finden Sie NEU unter feingold-academy.com

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