Grauer Kapitalmarkt Warum Sachwertanlagen alles andere als harmlos sind

Die Pleite des Container-Vermieters P&R kann für die Anleger teuer werden
Die Pleite des Container-Vermieters P&R kann für die Anleger teuer werden
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Investoren wünschen sich Sicherheit und Anlagen, die man anfassen kann. Gut so, aber warum versenken sie dann trotzdem so oft ihr Geld mit gewagten Produkten? Weil die Finanzbranche gut darin ist, die als harmlos zu verpacken

Angenommen Sie träumen davon, im Alter eine eigene Immobilie zu bewohnen, würden Sie dann in einen Bauträger investieren, der vorwiegend Luftschlösser baut? Was für eine blöde Frage, denken Sie jetzt vielleicht, und wohl niemand würde diese Frage ernsthaft mit „ja“ beantworten. Wer investiert schon in Traumtänzer und Wolkenkuckucksheime? Nun, in Wirklichkeit tun das sehr viele Bundesbürger und es werden sogar stetig mehr. Das liegt an zweierlei: Erstens daran, dass die Vermittler, die solche Anlagen verkaufen, die Eingangsfrage etwas subtiler formulieren, etwa so: „Sie möchten Ihr Geld in Sachwerte investieren? Also nicht bloß in irgendwelche Wertpapiere, deren Kurse sich im nächstmöglichen Börsencrash zerlegen werden, sondern in Dinge, die man wirklich anfassen kann? Dann investieren Sie bei uns, das ist absolut sicher.“ Klingt ja schon viel besser. Und genau deshalb funktioniert es auch.

Denn mit exakt diesen beiden Argumenten rennen die Vermittler bei den Sparern offene Türen ein. Die sind nämlich – zweitens – von genau diesen Wünschen beseelt: Zuallererst wollen sie ihr Geld sicher angelegt wissen. So sagen überwältigende 93 Prozent der Befragten in einer aktuellen repräsentativen Umfrage des Marktwächterteams der Verbraucherzentrale Hessen , dass sie beim Anlegen Gewissheit haben wollen, dass ihr Geld nicht komplett verlorengehen kann. 72 Prozent stimmen überdies der Aussage zu, sie wollen kein hohes Risiko mit ihrem Investment eingehen. Außerdem wollen sie ihr Erspartes am liebsten so investieren, dass sie einen greifbaren Gegenwert dafür bekommen, also beispielsweise einen Anteil an einer Immobilie oder einen Schiffscontainer. Und spätestens an dieser Stelle kommt man ins Grübeln.

P&R-Pleite schockt Anleger

Für wie greifbar halten Sie einen Schiffscontainer? Solche Frachttransportboxen sind aus Metall und man kann sie von einem Schiff zum anderen wuchten, schon klar. Doch wie greifbar sind die Geschäftsmodelle dahinter? Schon hier wird es extrem viel komplizierter. Die Geschichte der insolventen Containerfirma P&R hat im vergangenen Jahr eine Schockwelle durch die Anlegerschar geschickt. Auch bei ihr dachten viele Anleger, sie hätten in greifbare Sachanlagen investiert – aber es kam ganz anders. Was der Strudel, der sich bei ihrem allmählichen Untergehen bildet, noch alles mitreißen wird, ist längst nicht abzusehen. Bisher sieht das Ausmaß des Skandals so aus: Rund 54.000 Anleger hatten über einen Zeitraum von 40 Jahren Geld in das Containerunternehmen gesteckt. Rund 3,5 Mrd. Euro kamen insgesamt zusammen. Davon sollen, jedenfalls laut P&R selbst, etwa 1,6 Millionen Frachtcontainer gekauft worden sein.

Das Geschäft funktionierte laut Firmenangaben so: Die Anleger erwarben mit ihrem Kapital jeweils direkt einen Container. Der wurde dann von der Firma umgehend zurückgemietet, damit diese die Boxen für den internationalen Warenverkehr zur Verfügung stellen und wiederum an Logistikfirmen weitervermieten konnte. Die Frachtcontainer schipperten einige Jahre auf Schiffen um die Welt, warfen durch ihre Vermietung Einnahmen ab, die dann regelmäßig bei den Anlegern ankommen sollten. Zudem lockten die Initiatoren damit, dass am Ende der Laufzeit die Container verkauft würden und der Containereigner dann den Verkaufserlös erhielte. Jahrelang funktionierte das dem Anschein nach auch. Zumindest flossen Gelder.

Seit dem vergangenen Jahr ist aber klar: Viele der kommunizierten und tatsächlichen Zahlen stimmen nicht überein. Wie sollten die Anleger das von außen erkennen? Die Wahrheit ist: Sie konnten es kaum. Es gab Warnungen von wenigen Finanzexperten, doch der Rest kam erst heraus, als die Firma 2018 Insolvenz anmeldete. Seitdem ermitteln Anwälte, Staatsanwälte und Insolvenzverwalter, wie viele der angeblichen 1,6 Millionen Container es wirklich gab. Und wie viele nur auf dem Papier existieren. Bisher ist diese Frage bei rund einer Million Frachtboxen zumindest ungeklärt, nur 600.000 sind wohl tatsächlich greifbar. Die nächste Frage, die sich daraus ergibt ist: Wer sind nun überhaupt die Besitzer dieser bestehenden Boxen? Wenn es doch so viele Anteilseigner aber nur so wenige existente Teile gibt. Alles in allem ist zumindest die Zuordnung des Kapitals zu den tatsächlichen Sachwerten noch schwer.

Werden die Anleger zur Kasse gebeten?

Kommt aber noch schlimmer: Den Containerkäufern droht nicht nur ein Verlust ihrer Einlagen – also genau das, was 93 Prozent der Bundesbürger beim Sparen unbedingt verhindern möchten - oder zumindest weiter Teile ihres Kapitals. Sondern mittlerweile ist auch fraglich, ob sich auch Finanzämter in Stellung bringen, denn jahrelang haben die Anleger mit solchen Beteiligungsmodellen Steuern gespart, weil sie die Erträge nicht voll versteuern mussten, sondern die Abnutzung der Container als Abschreibung dagegen rechnen konnten. Kann der Fiskus nun die gesparten Steuern zurückfordern, da es die Abnutzung ja nie gegeben hat? Dann kämen größere Summen auf die Anleger zu, warnen erste Anwälte: Denn bei rund zehn Prozent der Einlagesumme soll die Steuerersparnis gelegen haben und viele Beteiligte haben fünf- oder sechsstellige Summen investiert. Zusätzlich wären auf diesen Betrag noch sechs Prozent Zinsen jährlich zu entrichten, die sozusagen als Verzugszinsen erhoben würden. Zwar ist strittig, ob solche Forderungen auch gezahlt werden müssen, zumindest dann, wenn die Anleger diese Steuerersparnis selbst nicht in betrügerischer Absicht geltend gemacht haben, sondern wenn sie einfach nur gutgläubig waren. Es bedeutet trotzdem Ärger und Einspruchsverfahren.

Die noch viel größerer Frage aber ist zurzeit: Kann auch der Insolvenzverwalter Rückzahlungen von Anteilseignern fordern ? Es geht um jene Auszahlungen, die in den vier Jahren vor der Insolvenz stattgefunden haben. Also die Erträge, die Anleger als regelmäßige Renditen kassiert haben. Insgesamt könnte es um eine dreistellige Millionenhöhe gehen. Müssten Sparer diese „Scheingewinne“ nun zurückzahlen, wäre das für viele eine Katastrophe. Schließlich dürften die wenigsten das Geld auf Konten geparkt haben, die meisten haben es vermutlich längst woanders investiert oder anderweitig ausgegeben. So viel zum Stichwort „greifbare Anlagen“ und sichere Erträge.

Vorsicht Luftschlösser!

Nun werden viele Leser sagen: Die P&R-Anleger haben eben extremes Pech gehabt, dumm gelaufen. Aber es gibt ja so viele andere Investments, bei denen man die dahinterstehenden Sachwerte mit Händen greifen und das Risiko auch besser einschätzen kann. Von daher wird so etwas ja nicht jedem passieren. Und jetzt kommt die alles entscheidende Frage: Sind Sie sicher, dass es Ihnen auch nicht passieren kann? Bevor Sie vorschnell ja sagen, überlegen Sie genau, welche Papiere und Beteiligungen Sie in Ihrem Depot haben. Und wie genau Sie tatsächlich definieren können, was ein Genussschein oder ein Nachrangdarlehen ist, oder was im Falle der Insolvenz eines der Emittenten auf Sie zukäme. Wenn Sie nur Sparbücher, Aktien und offene Investmentfonds haben: Gut. Dann hält sich Ihr Risiko in Grenzen.

Aber denken Sie einmal über diese Zahlen nach: Rund 1,1 Mrd. Euro haben deutsche Anleger allein im vergangenen Jahr in den Bereich der alternativen Investmentfonds gesteckt, also in geschlossene Fonds, sagt die Ratingagentur Scope. Im Jahr zuvor waren es noch 400 Mio. Euro weniger. Nun war die Branche in den Jahren zuvor erheblich größer, noch vor der Finanzkrise sammelte sie 13 Mrd. Euro jährlich von Investoren ein. Von daher kann man den Deutschen attestieren, sie seien schon vorsichtiger geworden. Zudem unterliegen diese Geschlossenen Fonds seit einigen Jahren einer gewissen Aufsicht durch die Bundesbehörde BaFin, die nun zumindest das getrennte Anlegen der Gelder bei Verwahrstellen verlangt. Das hat den Markt ein wenig bereinigt und es vielen Anbietern mit weniger lauteren Methoden schwerer gemacht. Soweit so gut.

Es heißt aber nicht, dass bei solchen unternehmerischen Beteiligungen wie Immobilienfonds und Flugzeugfonds, Windpark- und Solarfonds das Geld nicht dennoch an der einen oder anderen Stelle verpufft. Das kann schnell gehen, wenn sich die Anbieter mit ihren Prognosen verkalkuliert haben, wenn Erträge nicht fließen wie gedacht, weil Transportmärkte oder Passagierzahlen einbrechen; weil der Wind nicht dauernd weht oder Offshore-Windparks Jahre brauchen, bis sie ans Stromnetz angeschlossen werden können; Büroetagen nicht wie geplant vermietbar sind; oder die Reparaturkosten von Häusern, Flugzeugen und Solarparks am Ende höher sind als gedacht. Man muss den Initiatoren solcher Fonds nicht gleich unlautere Absichten unterstellen, aber mit allzu großzügigen Ertragsprognosen haben schon etliche für die Anleger üppige Luftschlösser gebaut – und viele haben längst nicht die versprochenen Renditen geliefert oder sogar hohe Verluste gemacht. Eine ganze Flotte von insolventen Schiffsfonds zeugt davon . Etliche Medienfonds waren am Ende von der Rolle und mussten abgewickelt werden. Bei vielen geschlossenen Immobilien- und Hotelfonds bröselten die Einalgen der Anleger dahin. Und das ist nur jener Bereich, den die Aufsicht inzwischen reguliert hat.

Ganz hinten auf der Gläubigerliste

Welche Summen zusätzlich in den Bereich der grauen Kapitalmarkts fließen, bei dem die Anbieter gar keine Erlaubnis der Aufsichtsbehörde benötigen oder bei dem sie nur wenige Vorgaben erfüllen müssen – etwa das Existieren eines Prospekts –, lässt sich kaum ermitteln. Aber es dürften ebenfalls beachtliche Mengen sein, davon zeugen die vielen platzierten Genussscheine, Nachrangdarlehen, Direktinvestments, Edelmetallsparpläne, Baum- und Minenpapiere, Crowdinvestments und Unternehmensbeteiligungen, die laufend angeboten werden. Immer wieder verkaufen sie sich glänzend nach dem oben beschriebenen Prinzip: Sie prahlen damit, „sichere Geldanlagen“ zu sein, etliche behaupten von sich, so sicher und verlässliche wie ein Sparbuch Erträge zu generieren, nur eben viel höhere. Mit Zinsen weit über dem Marktniveau (das derzeit bei rund einem Prozent liegt) werben sie. Denn es gibt ja schließlich reale Gegenwerte: Anteile an Firmen oder Häusern, Gold, Bäume oder die Beteiligung an einer ganz neuen Geschäftsidee.

Was viele Anleger, die hier investieren aber vergessen: Was genau erwerben sie eigentlich mit ihrem Kapitaleinsatz? Gehört ihnen damit wirklich ein Anteil an dem gebauten Haus oder ein gepflanzter Baum? Und wenn ja, können sie daraus wirklich ganz sicher Erträge ziehen oder beides notfalls selber nutzen? In den allermeisten Fällen lautet die Antwort: Nein, sie können es nicht. In den allermeisten Fällen tun sie sich sogar schon schwer, die tatsächliche Konstruktion solcher Produkte zu erkennen – selbst wenn 60 Prozent aller Befragten der Verbraucherzentrale-Umfrage antworteten, sie würden sich sehr gut mit Finanzprodukten auskennen. Dennoch investieren viele von ihnen in solche Dinge und tun dabei vor allem eines: Sie verleihen klassisches Risikokapital, gehen vielleicht sogar unternehmerische Beteiligungen ein, bei denen sie schlimmstenfalls an den Verlusten beteiligt werden oder sogar ihren Einsatz ganz verlieren können, wenn die Firma pleite geht. Weil sie eben keine direkten Teilhaber sind, sondern irgendwo weit hinten in der Gläubigerliste stehen. Sie werden echte Wagnisfinanzierer und träumen damit die Träume derjenigen, die oft erst einmal ganz große Luftschlösser bauen. Und jetzt noch einmal zur Frage vom Anfang: Wenn Sie wirklich einen Anteil an einer Immobilie besitzen, ein Schiff vermieten oder in etwas Greifbares investieren wollen ... wäre es dann nicht an der Zeit, zu erkennen, dass man Luft nicht anfassen kann?

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