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Kolumne Warum die Korrektur an den Märkten riskant ist

Das Marktumfeld birgt eine Reihe von Besonderheiten, die Anleger umso genauer beobachten sollten, je kürzer ihr Anlagehorizont ist. Von Christian Kirchner
Christian Kirchner
Christian Kirchner
© Gene Glover

Christian Kirchner ist Frankfurt-Korrespondent von Capital. Er schreibt an dieser Stelle regelmäßig über Geldanlagethemen

Erstens: Die Europäische Zentralbank kann mit quantitativen Lockerungen niemanden mehr überraschen

EZB-Präsident Mario Draghi hat seit August mehrfach präzisiert, unter welchen Bedingungen er sich noch radikalere Maßnahmen vorstellen kann, um Deflationssorgen zu bekämpfen. Im Mittelpunkt stehen dabei die mittelfristigen Inflationserwartungen der Kapitalmarktteilnehmer – und weil die immer weiter sinken und das notenbankpolitische Waffenarsenal der Krisen- und Deflationsbekämpfung ansonsten weitgehend leer ist, gelten Anleihenaufkäufe im großen Stil spätestens 2015 als wahrscheinlich. Sollten die Zinsen der Peripheriestaaten nun weiter klettern, wären derartige quantitative Lockerungen also keine Überraschung mehr, sondern eher ein Vollzug.

Zweitens: Die extrem niedrigen risikofreien Zinsen machen Risikokontrollsysteme empfindlicher als in vergangenen Krisen

Gerade einmal 0,8 Prozent Zinsen bringen zehnjährige Bundesanleihen noch ein, die Geldmarktzinsen sind bereits nahe Null oder gar negativ. Das gab es noch nie – und ist an sich ein Argument für eine langfristige Anlage in rentablere Anlageformen wie etwa Aktien.

Die niedrigen Zinsen bringen kurzfristig aber unerwünschte Nebeneffekte: Kursverluste und Schwankungen verstärken sich rasch selbst, ganz ähnlich einer Resonanzkatastrophe, in der eine Brücke eine immer größere Schwingung aufweist. Denn je niedriger die risikolosen Zinsen, desto rascher rotieren Geldverwalter und Handelssysteme auch raus aus Aktien und hinein in sichere Anlagen, um Verluste zu begrenzen und Gewinne zu sichern.

Es ist mit risikolosen Anlagen schlicht kaum noch möglich, potenzielle Verluste über Zinserträge aufzuholen. Plastisch formuliert: Wer 100 Euro in eine Aktie investiert hat, die kurzfristig zehn Prozent an Wert verliert, konnte in den letzten Jahrzehnten diesen Verlust durch einen Wechsel in Anleihen binnen zwei oder drei Jahre verlässlich wieder aufholen. Heute benötigt er dafür zehn bis fünfzehn Jahre, wird also tendenziell früher Verluste begrenzen – und die Verluste und Schwankungen so weiter verstärken.

Drittens: Der schwache Euro birgt einen Interessenskonflikt für Politik und Notenbanken

Einige Monate lang lebten wir Europäer in der besten aller Welten: Der Euro verlor gegenüber dem US-Dollar an Wert (was die Wettbewerbsfähigkeit der Eurozone stärkte), und die Renditen von Euro-Staatsanleihen fielen (was die Zinslasten der Länder drückte). Ein solches Zusammenspiel kann es auf Dauer kaum geben: Entweder fassen Investoren weltweit Vertrauen in die Eurozone, kaufen Euro-Staatsanleihen und lassen so auch den Eurokurs klettern – mit entsprechenden negativen Folgen für die Wettbewerbsfähigkeit.

Oder sie verlieren das Vertrauen, verkaufen Staatsanleihen, und der Euro verliert an Wert. Das mag wirtschaftlich willkommen sein, kann aber rasch in einer Verkaufswelle oder gar erneuten Euro-Vertrauenskrise führen. So oder so: Einen Preis wird die Eurozone letztlich zahlen müssen.

Viertens: Die Aktienmärkte sind (leider) ein guter Konjunkturindikator

Für Panik besteht zwar kein Anlass, auch wenn der Deutsche Aktienindex Dax die Kursgewinne eines Jahres binnen weniger Tage abgegeben hat. Leider wissen die Akteure an den Aktienmärkten aber deutlich besser Bescheid über den künftigen Konjunkturverlauf als Ökonomen mit ihren Wachstumsprognosen. Denn der Dax ist selbst ein sehr guter Konjunkturindikator. Seit 1960 zog er in insgesamt 25 Jahren um mindestens zehn Prozent an. Keinem dieser 25 Jahre folgte ein Jahr mit einer schrumpfenden Wirtschaft.

Allerdings büßte der Dax auch in zehn Jahren mindestens zehn Prozent ein - und in sieben dieser zehn Fälle hat sich das Wirtschaftswachstum im Folgejahr mindestens halbiert. Der aktuelle Zwischenstand per Freitag früh: Seit Jahresbeginn ging es um 10,5 Prozent abwärts mit dem Dax. Grund zur Panik ist das freilich nicht (erst recht nicht für langfristig orientierte Investoren) – wohl aber zur Vorsicht.

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