Christian Kirchner ist Frankfurt-Korrespondent von Capital. Er schreibt an dieser Stelle regelmäßig über Geldanlagethemen. Hier können Sie ihm auf Twitter folgen
Auf dem Papier klingt das ganze wie die ideale Aktienanlage: Der neue „Uniglobal Vorsorge“ als Herzstück der Riester-Rente der genossenschaftlichen Union Investment kann die Aktienquote zwischen 51 am unteren und 120 Prozent am oberen Ende variieren. Bei Abwärtstrends nicht voll dabei, bei Aufwärtstrends umso stärker – wer will so etwas nicht, anstatt die Schwankungen der Aktienmärkte voll mitmachen zu müssen?
So gut das Konzept für die knapp zwei Millionen Riester-Fondskunden der Genossen auch klingt : Wenn variable Aktienquoten oder Absicherungsstrategien zur richtigen Zeit die Lösung aller Probleme bei der Aktienanlage wären, würde sie jeder anwenden. So leicht ist es aber nicht, ganz egal, wie ausgeklügelt die Mechanismen auch klingen mögen, mit denen Fondsmanager oder die von ihnen programmierten Handelssysteme Trends aufzuspüren versuchen.
Das gilt nicht nur für den „Uniglobal Vorsorge“, sondern für die vielen anderen Mischfonds auch, die Anlegern ein besseres Abschneiden als mit einer reinen Aktienanlage in Aussicht stellen. Immer wieder spült die Macht des Zufalls Manager und ihre Fonds nach oben, die rechtzeitig ihre Aktienpositionen reduziert haben – aber rechtzeitig wieder einsteigen und dies über zwei Börsenzyklen schaffen, daran scheitern fast alle.
Timingproblem de facto unlösbar
Der Grund ist ganz einfach: Die Kursgewinne an den Aktienmärkten werden in nur wenigen Tagen erwirtschaftet – ohne die fünf bis sieben wirklich starken Börsentage eines Jahres rutscht die Rendite der Aktienmärkte in den negativen Bereich, ohne die besten 20 Tage der letzten 20 Jahre haben Aktien nicht einmal Anleihen geschlagen. Und: Dummerweise fallen jene Tage mit sehr starken Kursgewinnen häufig zeitlich eng zusammen mit den Tagen der größten Verluste. Das macht das Timingproblem de facto unlösbar: Attraktive Aktienrenditen kann nur erwirtschaften, wer die Schwankungen und Verluste aushält. Deshalb heißt die Überrendite von Aktien gegenüber Anleihen schließlich auch Risikoprämie – und gehört zu Warren Buffetts besten Börsenbonmots, dass seine bevorzugte Halteperiode „ewig“ sei.
Auf dem Papier klingt es so, als habe ein Manager mit einer variablen Aktienquote einen Vorteil gegenüber seinem Kollegen, der stets voll investiert sein muss, um langfristig hohe Renditen zu erwirtschaften. Doch das ist ein Trugschluss, denn der stets voll investierte Manager hat die Zeit auf seine Seite. Der Manager mit einer variablen Quote muss hingegen bei seinen Entscheidungen stets zweimal richtig liegen: Beim Ausstieg vor Korrekturen – aber eben auch beim Wiedereinstieg vor Aufwärtsbewegungen. Er benötigt daher eine langfristige „Trefferquote“ seiner Markteinschätzungen von mehr als 70 Prozent um einen einfachen Aktienindex zu schlagen, ein in der Praxis langfristig quasi unerreichbarer Wert.
Lieber wenig Risiko
Doch warum versuchen sich dennoch so viele Gesellschaften an diesem Modell, obwohl sich die Gesetze der Mathematik nicht auf den Kopf stellen lassen?
Der erste Grund: Anleger schmerzen Verluste mehr, als sie Gewinne erfreuen. Wir sind daher bereit, hohe Renditechancen preiszugeben, wenn wir im Gegenzug ein klein wenig geringeres Risiko eingehen müssen.
Der zweite, recht banale Grund: Die Mischung aus Aktien und Anleihen oder Cash kann freilich auch ohne den Anspruch, den Aktienmarkt schlagen zu wollen, langfristig sinnvoller sein als eine reine Aktienanlage, etwa bei kürzeren Anlagehorizonten oder einer geringen Verlusttoleranz.
Der dritte Grund ist eher spieltheoretischer Natur: Im Reich der über 10.000 Investmentfonds alleine in Deutschland herrscht ein harter Wettbewerb, und Zuflüsse verzeichnet vor allem, wer Erfolge in der Vergangenheit vorzuweisen hat. Mit einer variablen Aktienquote – egal ob voll abgesichert oder gar mit Hebel investiert – haben Manager eine gute Chance, sich in Performanceranglisten an die Spitze zu katapultieren, anstatt im grauen Mittelfeld zu versacken, wo sie langfristig im Nullsummenspiel der Kapitalmärkte auch bestenfalls die Indexrendite minus Gebühren erwirtschaften.
Der vierte Grund ist ein eher spezifisches Problem der Riester-Fonds von Union Investment: Weil mit festverzinslichen Wertpapieren die vom Gesetzgeber geforderte Garantie der eingezahlten Beiträge samt Zulagen zu Rentenbeginn kaum noch sichergestellt werden kann, muss die Gesellschaft kreativ werden, wie man denn anderweitig weiter zumindest einen gewissen Teil der angelegten Gelder im langfristig rentablen Aktienmarkt investieren kann.
Produkte mit unsinnigem Risiko
Um es auf den Punkt zu bringen: Fondsgesellschaften sind weder Alchemisten noch Gutmenschen. Sie können die einfachen Gesetze der Finanzmärkte nicht – oder bestenfalls zeitweise – auf den Kopf stellen. Und sie wollen Geld verdienen. Über letzteres entscheiden nicht nur die Leistung, sondern oft auch das Marketing und die Innovationskraft. Es ist daher gerade im Retail-Markt schwer in Mode, Produkte so auszugestalten, dass sie zwar unter Rendite-Risiko-Aspekten schlicht Blödsinn sind, aber aus Sicht der Anleger wünschenswerte Eigenschaften aufweisen, etwa über klingende Namen (Multi Asset, Smart Beta, Income und Co) oder das Versprechen, selten bis nie Verluste aufzuweisen.
Aber wieso auch sollte die Finanzdienstleistungsbranche hier anders sein als etwa die Automobilbranche, wo sich Käufer auch für allerlei Zubehör oder schlicht den Markennamen und das Image viel Geld aus der Tasche ziehen lassen, anstatt mit praktischen und günstigen Autos zu fahren?