Christoph Bruns ist Fondsmanager, Vorstand und Teilhaber der Fondsgesellschaft Loys AG.
An der Wall Street setzt sich derzeit die jahrelange Hausse beherzt fort, die im Frühjahr 2009 begann. Heute scheint es so, als habe der Brexit lediglich für ein zweitägiges Durchatmen gesorgt, bevor der marktbreite S&P 500 Index sich zu neuen Höchstständen aufschwang. Der Rest der Börsenwelt sieht der amerikanischen Kursrally staunend zu, denn viele hatten sich schon in ihrem Grundpessimismus fest eingerichtet.
Nach amerikanischer Lesart ist der Brexit ein weiterer Beleg für das Siechtum Europas. Zwar herrscht von Boston bis San Diego Kopfschütteln über die zwar stolze aber doch unkluge Entscheidung der Briten, aus der EU auszutreten. Jedoch verstärkt dieser Schritt den Eindruck einer fortgesetzten Kakophonie und Dekadenz, den man sich im Land der unbegrenzten Möglichkeiten von Europa gemacht hat.
Hinzu kommt, dass Amerikaner kaum fassen können, wie David Cameron so töricht sein konnte, ein EU-Referendum anzuberaumen. Insgesamt sieht man Cameron als Teil einer Gruppe von Regierenden, die in den von Wikileaks veröffentlichten diplomatischen Depeschen der USA als Windbeutel eingeschätzt wurden. Zum gleichen Reigen zählen ehemalige Führer wichtiger europäischer Staaten wie Romano Prodi, Silvio Berlusconi und Nicolas Sarkozy. Auch Francois Hollande, der dilettierende französische Präsident, wird als absolutes Leichtgewicht eingeschätzt.
Respekt vor Merkel
Dagegen schneidet Angela Merkel schon besser ab, denn Ihrem Auftritt wird in Washington durchaus Respekt entgegengebracht. Zwar wird hinter vorgehaltener Hand über die Merkelschen Dummheiten wie etwa die dauerhafte Griechenlandrettung, die ideologische Energiewende und ihre Flüchtlingspolitik gelächelt. Im Großen und Ganzen zollt man aber der überwiegend sachlich nüchternen Art der Bundekanzlerin Anerkennung. Es kommt noch hinzu, dass die Amerikaner von Merkel und der deutschen Politik genau wissen, dass diese in Finanzmarktfragen inkompetent und uninteressiert ist. Für die USA kommt aber vieles darauf an, die Dominanz auf den Finanzmärkten auszubauen. Über diese Schiene gelingt es nämlich vorzüglich aus den chronischen Haushalts-, Handelsbilanz-, und Leistungsbilanzdefiziten prächtige Vermögenszuwächse zu generieren.
Demgegenüber sind die Deutschen unsagbar stolz auf die permanenten Überschüsse auf diesen Gebieten. Ohne zu bemerken, dass die Vermögensbilanz seit vielen Jahren zugunsten der Amerikaner ausfällt, obwohl diese stets in der Defizitposition befindlich sind.
Weltkonzerne wie Google, Amazon und Tesla sind gar nicht vorstellbar ohne das Ökosystem Finanzmarkt, das in den USA sehr gut entwickelt ist. In Deutschland wundert sich etwa der Bundeswirtschaftsminister, warum deutsche Unternehmensgründer, zumal in den neuen Wirtschaftssegmenten, im Zweifel um amerikanisches Risikoeigenkapital bitten müssen. Die Kapitalmarktfeindlichkeit der deutschen Politik habe eben ihren Preis in gehörigen Wohlstandsverlusten und eine Änderung ist überhaupt nicht zu erwarten.
Keine Alternativen zur Eigenkapitalanlage
Die Sommerrally an der Wall Street verdankt sich ohne Zweifel auch der Erkenntnis, dass mit Zinserhöhungen auf absehbare Zeit in den USA nicht mehr zu rechnen ist. Wie man an der rassigen Fortsetzung der Jahrhunderthausse an den Bondmärkten sehen kann, hat der Brexit an der Zinsfront zu einer großen Erleichterung geführt. Mario Draghi, der eifrige Präsident der Europäischen Zentralbank, steht Gewehr bei Fuß, um gegebenenfalls zusätzliche geldpolitische Maßnahmen zu ergreifen. Nicht anders sieht es in Japan aus, wo mit einer gänzlich neuen Welle an Stimulationen zu rechnen ist. Und die armen Briten werden wohl nicht umhin kommen, ihre strauchelnde Wirtschaft durch niedrigere Zinsen und Steuern anzuregen.
Damit bleibt aber das Hauptargument für die verstärkte Aktiengewichtung bestehen, denn es gibt derzeit keine sinnvollen finanzwirtschaftlichen Alternativen zur Eigenkapitalanlage. Denn die Freunde des Immobilieninvestments mussten zuletzt einen herben Dämpfer hinnehmen, als nämlich die britische Immobilienfondsindustrie die Rücknahme von Fondsanteilen kurzerhand aussetzte. Deutsche Anleger haben diesen Kasus vor Jahren bereits durchexerziert bekommen. Der allgemeine Pessimismus bezüglich der Aktien, der freilich in Europa und hier vor allem in Deutschland besonders verbreitet ist, bildet derweil einen guten Nährboden für weiter steigende Notierungen an den Weltbörsen.
Aus Chicago Ihr
Dr. Christoph Bruns
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