Kolumne Schulfach Wirtschaft - Beweislage mangelhaft

Christian Kirchner, Capital-Chefkorrespondent in Frankfurt
Christian Kirchner, Capital-Chefkorrespondent in Frankfurt
© Gene Glover
Kaum eine Forderung klingt so plausibel wie die nach mehr finanzieller Allgemeinbildung in der Schule. Es fehlen nur leider die Belege dafür, dass ein Schulfach Wirtschaft den Menschen tatsächlich hilft. Christian Kirchner über finanzielle Bildung

Wenn Sie in Gesprächen über Geldanlage in Deutschland zustimmendes Nicken ernten wollen, hier ein Vorschlag: Fordern Sie einfach ein Fach Wirtschaft oder die Verankerung von finanzieller Allgemeinbildung in allen Schulen. Beides müsste doch dafür sorgen, dass künftig Menschen seltener windigen Graumarktanbietern auf den Leim gehen, sich finanziell nicht übernehmen und ihr Geld rentabler anlegen.

Das klingt plausibel. Ich habe auch oft so argumentiert. Die Sache hat nur einen Haken: Starke Belege, dass mehr finanzielle Bildung in der Schule Menschen dabei hilft, in Geldfragen besser zu entscheiden – die gibt es nicht. Der Stand der Forschung ist bestenfalls diffus. Das reicht nicht für ein eigenes Fach.

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So überprüften US-Wissenschaftler, ob Menschen mit Schulbildung in Finanzfragen seltener pleitegehen – und das war nicht der Fall. In Ungarn testeten Forscher, welchen Einfluss Finanzbildung in weiterführenden Schulen hat. Ergebnis: Die Schüler wurden in der Theorie klüger, trafen aber praktisch keine besseren Entscheidungen.

Einzelfälle? Mitnichten. Die Forscher Daniel Fernandes, John Lynch und Richard Netemeyer haben für eine Metastudie alle 168 dazu erschienenen Arbeiten auf eine Frage durchforstet: Treffen Menschen bessere Entscheidungen in Finanzfragen, wenn man ihre Finanzbildung aktiv verbessert? Ihr Ergebnis: nein.

Wie Menschen in Gelddingen entscheiden, hängt von einer ganzen Reihe von Variablen ab – darunter auch von der Finanzbildung. Aber die lässt sich nicht so einfach heben, sodass sich dann – und das ist entscheidend – tatsächliche Verhaltensänderungen einstellen. Vereinfacht: Man kann lernen, dass ein Wucherkredit riskant ist, sich aber mit dem Kauf des Smartphones auf Pump dennoch ruinieren. Man kann auch das Prinzip von Nullzins und Inflation verstehen – und dennoch mit dem Girokonto für das Alter vorsorgen. Es sind eben noch andere Wirkungskanäle im Spiel, etwa die Bildung der Eltern, die Persönlichkeit, wie oft über Geld geredet wird, welche Erfahrungen Kinder mit Geld machen.

Wir müssen alle mehr über Geld reden

Das zu verstehen ist wichtig. Denn die Forderung nach einem Schulfach Wirtschaft verschiebt die Verantwortung – weg von jenen Orten, die am effektivsten für Finanzbildung und Verhaltensänderungen sorgen könnten: Familien, Freunden, der gesellschaftlichen Mitte. Wir müssen alle mehr über Geld reden – und nicht die Verantwortung den Schulen aufladen, die schon vor genug Herausforderungen stehen.

Nun könnte man argumentieren, dass die ganze Sache doch wenigstens einen Versuch wert sei, zumal in vielen Familien schlicht kein Finanzwissen da ist, das überhaupt weitergegeben werden kann.

Aber damit schließt sich der Kreis: Wer eine Forderung hat, die ökonomisch viel kosten wird (und mit anderen guten Ideen wie dem Schulfach Digitalisierung oder dem Schulfach Medienkompetenz konkurriert), der ist selbst in der Beweispflicht, ob sie auch effektiv ist.

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