Christian Kirchner ist Frankfurt-Korrespondent von Capital. Er schreibt an dieser Stelle regelmäßig über Geldanlagethemen. Hier können Sie ihm auf Twitter folgen
Eineinhalb Jahre vor der nächsten Bundestagswahl hat die Bundesregierung den Kampf gegen die Altersarmut zum großen Reformvorhaben noch für die laufende Legislaturperiode erhoben. Das ist ungewöhnlich – zu diesem Zeitpunkt werden größere politische Projekte in der Regel aufgrund des nahenden Wahlkampfs, verschleppt, vertrödelt oder zerredet. Das ist erfreulich, denn die absehbare prekäre Situation vieler Geringverdiener sowie die demografische Herausforderung dulden keinen Aufschub.
Liest man jedoch zwischen den Zeilen der Stellungnahmen der Regierungsvertreter, zeichnet sich für die Generation der heute unter 45-Jährigen nicht weniger als eine Katastrophe ab. Sie haben einerseits das Problem, in einem hauptsächlich umlagenfinanziertem System der sozialen Sicherung demografisch zu den Gekniffenen zu gehören: Heute finanzieren zwei Arbeitnehmer einen Rentner, in gut 20 Jahren wird es nur noch einer sein.
Sie gehören andererseits aber auch nicht zur Alterskohorte derjenigen, deren großes Wählerpotenzial es mit Wahlgeschenken zu heben gilt. Ohne die Unterstützung der geburtenstarken Jahrgänge zwischen 1950 und 1970, also den Babyboomern zwischen 45 und 65 ist nun kein „Rentenwahlkampf“ mehr zu führen, keine Rentenreform mehr möglich, ohne politischen Selbstmord zu begehen. Diese Kohorte umfasst nicht weniger als 40 Prozent aller Wahlberechtigten.
Riester-Rente hat Ziel fraglos verfehlt
Gut abzulesen ist die Perfidie der Argumentation, mit denen weiteren Reformen zu Lasten der Jüngeren vorgebaut werden soll, an der Riester-Rente. Ihre Einführung – übrigens unter einer rot-grünen Regierung – stellte 2001 einen Paradigmenwechsel dar, nämlich der Einführung einer (relativ kleinen) staatlich geförderten Vorsorge über die Kapitaldeckung, die eine (relativ kleine) Absenkung des umlagefinanzierten Rentenniveaus kompensieren sollte.
Dieses Ziel hat die Riester-Rente fraglos verfehlt, Schuld daran sind einige handwerkliche Fehler, und auch die Finanzdienstleistungsindustrie hat dazu beigetragen. Das heißt aber noch lange nicht – und darin liegt die große Gefahr einer möglichen Rentenreform – dass das System der Kapitaldeckung gescheitert ist und seine Kernidee in den Bereich der betrieblichen Altersvorsorge verbannt gehört. Genau darauf scheint es nun aber hinauszulaufen. Bei den Ideen, die nun kursieren, geht es darum, lieber das umlagenfinanzierte System zu stärken und „Riester“ erst verbal sturmreif zu schießen und dann womöglich ganz zu kippen.
Die Bundesregierung läuft große Gefahr, ähnlich einem kopflosen Kleinanleger zur Unzeit panisch zu werden – und dabei zu unterschlagen, dass auch ein umlagenfinanziertes Rentensystem mehr als nur ein demografisches Risiko birgt.
Nehmen wir etwa das Jahr 2000 als Anker – also das Jahr, als die Pläne für eine kapitalgedeckte und geförderte Altersvorsorge allmählich konkret wurden und schließlich in ein 2001 verabschiedetes Gesetz mündeten: In den 15 Jahren zuvor waren mit Aktien gemessen am Dax knapp 16 Prozent pro Jahr zu verdienen und mit Anleihen gut acht Prozent pro Jahr. Im 15-Jahre-Zeitraum zwischen 2000 und heute waren es nicht einmal drei Prozent pro Jahr mit Aktien und immerhin noch fünf Prozent pro Jahre mit Anleihen.
Nur über die Nachteile der Kapitaldeckung wird geredet
Selbst schlichte Gemüter müssten erkennen, dass es kein sonderlich kluges Timing ist, Menschen nach 15 sensationellen Kapitalmarktjahren den Einstieg in eine kapitalgedeckte Vorsorge nahezubringen, um sie dann nach 15 schlechten Jahren wieder – womöglich mit Gewalt – wieder abschaffen zu wollen.
Und: Selbst schlichte Gemüter müssten auch erkennen, dass ein umlagenfinanziertes System in Zeiten von Zinsen nahe Null und einer Rekordbeschäftigung ziemlich nahe am zyklischen Hoch in Sachen Vorteile steht. Aber es wird weder die demografische Herausforderung noch die unbestrittenen Risiken weghexen können.
Diskutiert wird aber merkwürdigerweise vor allem über die Nachteile der Kapitaldeckung. Die übliche Argumentation der Kritiker kapitalgedeckter Systeme brachte SPD-Vizechef Ralf Stegner in dieser Woche einmal mehr auf die griffige Formel, sie taugten nicht, weil sie mit „Börsencrashs per Du seien“. Das klingt logisch, gab es doch in den letzten 15 Jahren gleich zwei Börsencrashs, die an den Nerven der Anleger zehrten. Das gibt, wie auch die Niedrigzinsen, den Anhängern einer noch stärkeren Orientierung am Umlageverfahren Oberwasser.
Und doch ist es nichts anderes als ein Täuschungsmanöver. Natürlich sind Kapitalmärkte per se riskant. Aber auch ein Umlageverfahren birgt Risiken, und zwar vor allem politischer Natur. Etwa die, das eben nicht nur brav und stumpf eine Generation für die andere zahlt. Sondern dass die Politik von Zeit zu Zeit, wie sie es seit den 70er-Jahren praktiziert, regelmäßig in die Rentenkasse greift und Lasten und Auszahlungen umverteilt. Nach der jüngsten Rentenreform etwa aus dem Jahr 2014 müssen die Beitragszahler bei steigenden Beiträgen und sinkenden Leistungen bis 2030 230 Mrd. Euro zusätzlich aufbringen. Oder die Politik führt eine Besteuerung ein oder erhöht sie. Oder sie verändert die Anerkennung von Ausbildungszeiten.
Kurz: In einem langfristigen Betrachtungszeitraum sinken die Risiken am Kapitalmarkt. Umgekehrt gilt, dass in einem langfristigen Betrachtungszeitraum die politischen Risiken in einem umlagenfinanzierten System zunehmen, weil jederzeit jemand massiv in das System eingreifen könnte.
Politische Risiken des Umlageverfahrens
Es ist auch keineswegs so, dass Krisen alleine an kapitalgedeckten Systemen zehren. Der Ökonom Axel Börsch-Supan hat 2009 errechnet, in welchem Ausmaß die Finanzkrise von 2008 mit nicht weniger als einem Jahrhundertcrash an den Renditen des Altersvorsorgevermögens in Deutschland gezehrt hat. Er kam auf einen Wert von maximal 0,1 Prozentpunkten beim Altersvorsorgevermögen und 0,2 Prozentpunkten beim Finanzvermögen.
Was in der aktuellen Debatte indes gerne unter den Tisch fällt ist die Tatsache, dass wirtschaftliche Einbrüche wie im Jahr 2008 nicht nur die Halter von Kapitalanlagen in Mitleidenschaft ziehen. Sondern natürlich auch – und 2008 sogar in stärkerem Maße – die gesetzliche Rentenversicherung. Durch die steigende Arbeitslosigkeit, Lohnstagnation, Kurzarbeit verschlechtert sich das Verhältnis von Beitragszahlern zu Empfängern, werden Entgeltpunkte abgewertet – hier bezifferte Börsch-Supan 2009 die Renditeeinbußen auf 0,1 bis 0,3 Prozentpunkte.
Die Vergesslichkeit hinsichtlich der Risiken des umlagefinanzierten Rentensystems ist aber auch kein Wunder, schließlich haben wir Rekordbeschäftigung. Es sind drei Millionen Arbeitnehmer mehr am ersten Arbeitsmarkt tätig als noch im Jahr 2000, als die damalige Bundesregierung die richtigen Schlüsse (wenngleich mangelhaft in der Umsetzung) aus der demografischen Herausforderung zog: dass eine Mischung aus einem umlagenfinanzierten und einem kapitalgedeckten System der Altersvorsorge vielleicht nicht die schlechteste Lösung ist, um Altersarmut zu verhindern und der demografischen Herausforderung zu begegnen. Und vor allem: sich vor den spezifischen Nachteilen beider Systeme zu schützen, ganz im Sinne einer gesunden Diversifizierung.
Natürlich stehen bei der Debatte um Vorsorgesysteme meist auch ganze Ideologien im Raum – massive Lobbyinteressen sowieso. Das gilt vor allem für die Versicherungsbranche, deren Lage mit jedem Quartal mit Niedrigzinsen brenzliger wird. Sonderlich viel Hoffnung sollten sich die heute unter 45-Jährigen allerdings nicht machen: Sie haben mehr zu verlieren als zu gewinnen bei der Rentenreform, wenn – was sich abzeichnet – vor allem wahltaktische Überlegungen die Debatte um die nächsten Schritte prägen wird.