In zwölf Monaten ist es soweit: Am 29. März 2019 verlässt Großbritannien die Europäische Union. Wie der Brexit konkret ablaufen soll, ist in weiten Teilen immer noch unklar. „Das Übergangsabkommen unterstreicht lediglich den Mangel an echten Fortschritten“, sagt Mark Phelps, Aktienspezialist beim Fondsanbieter Alliance Bernstein (AB). Dem Abkommen zufolge muss das Vereinigte Königreich zwar zunächst weiterhin die bestehenden EU-Regeln einhalten, hat aber kein Mitspracherecht bei Beschlüssen auf Unionsebene.
Unternehmen und Investoren wüssten immer noch nicht, wie ein endgültiges Abkommen aussehen und was es für sie bedeuten könnte, kritisiert Phelps. Man könnte annehmen, dass sich Anleger in diesem unsicheren Umfeld von britischen Wertpapieren besser fernhalten sollten. Einige Asset Manager sehen das allerdings anders. Sie prophezeien Investoren in Großbritannien im laufenden Jahr besonders spannende Anlagechancen – zumindest in einzelnen Bereichen.
Die Investmentboutique DJE Kapital legt Rohstoffinvestoren einen Blick in Richtung Vereinigtes Königreich nahe. Grund: Der Trend zum Elektroauto dürfte langfristig die Preise von Rohstoffen wie Lithium, Kobalt, Nickel und Kupfer in die Höhe treiben. In Großbritannien fänden Anleger in diesem Sektor besonders viele interessante Investment-Kandidaten, heißt es von DJE: „Der Markt ist günstig bewertet und wegen des Brexit unbeliebt.“ Wer auf Basis von Fundamentaldaten investiere, finde aktuell gute Einstiegschancen.
Auch Dividenden-Fans finden in Großbritannien ein günstiges Terrain vor, sagt Jörg de Vries-Hippen, Fondsmanager bei Allianz Global Investors. Wegen seines Volumens sei der britische Aktienmarkt schon traditionell der wichtigste Markt für europäische Dividendenjäger. Im vergangenen Jahr lag die Dividendenrendite britischer Aktien im Schnitt bei knapp vier Prozent. Damit boten sie innerhalb Europas nach portugiesischen, spanischen und finnischen Aktien die vierthöchste Ausschüttung im Verhältnis zum Aktienkurs. Deutsche Aktien verzeichneten 2017 eine durchschnittliche Dividendenrendite von 2,5 Prozent.
Natürlich können deutsche Anleger auch nach dem Brexit noch britische Aktien kaufen. Ob das eine gute Idee ist, muss sich allerdings noch zeigen. Wie sich der EU-Austritt auf die britische Wirtschaft auswirke, sei schließlich noch immer ungewiss, warnt AB-Mann Phelps. Insbesondere beim verarbeitenden Gewerbe wirft der Brexit nach Beobachtungen des Asset-Managers bereits seine Schatten voraus. Automobilhersteller gäben nicht mehr so viel Geld für Investitionen aus, berichtet er. „Die meisten Unternehmen hoffen auf das Beste und planen für das Schlimmste.“
Auch der Handelsstreit zwischen den USA auf der einen und der EU sowie China auf der anderen Seite lässt für Großbritannien Böses ahnen. „Ein relativ kleines Land außerhalb der großen Handelsblöcke ist nicht gerade in der stärksten Verhandlungsposition“, gibt Phelps zu bedenken. Sein Rat an Anleger: vorsichtig sein und selektiv vorgehen. „Der Schlüssel ist es, Firmen zu finden, die über nachhaltige Einnahmequellen und eine widerstandsfähige Marktposition verfügen“, sagt er. „Ebenso wichtig ist eine vorausschauende Unternehmensführung. Denn die letzten Phasen der Brexit-Verhandlungen werden noch spannend.“