Jahrzehntelang galt in der Ökonomie der berühmte Satz von Wirtschafts-Nobelpreisträger Milton Friedman wie ein unumstößliches Dogma: „Inflation ist immer und überall ein rein monetäres Phänomen“. Bekämpft werden muss die Teuerung demnach auch ausschließlich durch die Zentralbanken mit deren geldpolitischen Mitteln wie Zinserhöhungen. Doch spätestens mit Russlands Überfall auf die Ukraine zeigt sich, dass das Mantra des Inflationspapstes für die derzeitige Inflationskrise so uneingeschränkt nicht gilt. Weil ein großer Teil des Problems zu lange unberücksichtigt geblieben ist: Das Gewinnstreben von Firmen, die die Preise nicht erhöhen, weil sie müssen, sondern weil sie es in dieser Ausnahmesituation können.
90 Prozent der Teilnehmer einer Umfrage der Finanzagentur „Bloomberg“ unter Hunderten Investoren sind überzeugt, dass Unternehmen in den USA und Europa seit Beginn der Pandemie im Jahr 2020 ihre Preise über ihre eigene Kostenbasis hinaus erhöht haben. Die Befragung zeigt: Auch unter Finanzmarktteilnehmern beginnt sich die Sicht zu verfestigen, dass für die schlimmste Inflationswelle seit dem Zweiten Weltkrieg nicht nur angespannte Lieferketten, hohe Staatsausgaben in der Krise oder Lohnsteigerungen verantwortlich sind. Sondern auch der historisch einmalige Anstieg von Konzerngewinnen.
Aus Sicht der Umfrageteilnehmer hat sich vor allem der Einzelhandel mit besonders dreisten Erhöhungen hervorgetan: Hier sehen 67 Prozent der Befragten eine besonders opportunistische Preisstrategie während der Pandemie. „Die einzigartigen Umstände der Pandemie - schwere Einschränkungen des Angebots gefolgt von einer nie dagewesenen staatlich getriebenen Nachfrage - sind der Grund für die Ausweitung der Profitmargen“, schreibt „Bloomberg“. Nach Zahlen der US-Statistikbehörde BEA lagen die Nachsteuergewinne der US-Konzerne 2022 bei über 16 Prozent der Bruttowertschöpfung - und damit auf dem höchsten Niveau seit den 60er Jahren.
Preisschocks als Ausrede für Profitgier
Zwar geht immerhin eine knappe Mehrheit der Befragten davon aus, dass die Konzerngewinne mittelfristig wieder auf das Level vor der Pandemie sinken werden. Aber mehr als die Hälfte glaubt, dass es bis zu zwei Jahre dauern wird, bis die Inflationsrate wieder ein stabiles Niveau von zwei Prozent erreicht. Die entscheidende Frage ist, welche Mittel geeignet sind, das Ziel zu erreichen, wenn die Gründe für diese Inflationswelle offenkundig über die ökonomische Standardtheorie hinausgehen.
Isabella Weber, Volkswirtin an der University of Massachusetts, Amherst, argumentiert, dass viele Firmen die Schocks dramatischer Ereignisse wie der Pandemie oder Putins Einmarsch in die Ukraine als Ausrede nutzen, um ihren Kunden unangemessen in die Tasche zu greifen. Durch ein Zusammenspiel sich überlappender Krisen und Lieferengpässe seien temporäre Monopole entstanden, die in Schlüsselbranchen zu marktbeherrschenden Stellungen einiger Firmen geführt haben, die diese dann ausgenutzt hätten, um die Preise zu erhöhen. Und viele Firmen hätten auf den Preisschock reagiert, indem sie selbst die Preise stärker erhöht hätten als ihre Kosten gestiegen seien.
In dieser Situation „ist der übliche Instrumentenkasten der Notenbanken, der im Wesentlichen aus Zinserhöhungen besteht, nicht das Mittel der Wahl um die derzeitige Inflation zu bekämpfen“, sagt Weber zu ntv.de. Weber, eine Erfinderin der Gaspreisbremse, findet, dass es ähnliche Preisdeckel „vielleicht auch für Lebensmittel, für den Transport oder den Getreidepreis gebraucht“ hätte.
Der Meinung, dass die Inflationsbekämpfung nicht allein Aufgabe der Zentralbanken und ihrer Geldpolitik sein sollte, sind inzwischen immerhin auch ein Viertel der von „Bloomberg“ Befragten. Sie schlagen statt Zinserhöhungen als alternative Lösungen höhere Steuern und striktere Wettbewerbsregeln vor. Denn wenn Firmen einmal ihre Preismacht entdeckt haben, dürften sie diese kaum freiwillig wieder aufgeben. „Wer wird sich selbst eine Gehaltskürzung verordnen, kurz nachdem er eine Erhöhung bekommen hat?“, schreibt „Bloomberg“. In einigen Branchen, in denen klar Preisexzesse stattfinden, halten einige Befragte sogar radikale Übergewinnsteuern für gerechtfertigt. Eine unverblümte Empfehlung: „Besteuert sie bis zur Bewusstlosigkeit.“
Dieser Text ist zuerst bei ntv.de erschienen.