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Zinsen Das El-Niño-Risiko für die Inflation

EZB-Präsidentin Christine Lagarde spricht bei einer Pressekonferenz
Wie geht es weiter: EZB-Präsidentin Lagarde wird am Mittwochnachmittag Hinweise geben
© Christoph Hardt / IMAGO/Panama Pictures
Wegen fallender Inflationsraten dürften die beiden wichtigsten Notenbanken schon bald ihre Zinserhöhungen auslaufen lassen. Doch das Wetter könnte EZB und Fed einen Strich durch die Rechnung machen

Geldpolitik braucht Geduld. Rund ein Jahr dauert es erfahrungsgemäß, bis sich eine Straffung durch eine Notenbank in der Inflationsrate niederschlägt. Die aktuelle Inflationswelle zeigt das gleiche Muster, der Preisauftrieb in der Eurozone wie auch in den USA hat sich zuletzt abgeschwächt. In der Eurozone betrug der Anstieg der Verbraucherpreise im Mai nur noch 6,1 Prozent, nachdem im Dezember noch ein Rekordwert von 9,2 Prozent erreicht worden war. Die geldpolitische Straffung in der Eurozone „macht sich bemerkbar“, stellt Kevin Thozet, Mitglied des Investment-Komitees der Fondsgesellschaft Carmignac, fest.

Der EZB ist das aktuelle Preisniveau allerdings noch immer zu hoch, wie mehrere Vertreter jüngst öffentlich geäußert haben. Ihr Ziel ist auf mittlere Sicht eine Inflationsrate von zwei Prozent. „Der zugrundeliegende Preisdruck scheint ungebrochen hartnäckig, da die Wirtschaft des Euroraums sich weiterhin widerstandsfähig zeigt und auch der Arbeitsmarkt außergewöhnlich angespannt bleibt“, sagt EZB-Experte Konstantin Veit von Pimco. Deshalb gilt eine weitere Zinsanhebung um 25 Basispunkte am Donnerstag als ausgemacht. Der für die Eurozone derzeit wichtigste Leitzins, der Einlagensatz, würde damit auf 3,5 Prozent steigen, der Hauptrefinanzierungsatz würde auf 4,0 Prozent klettern.

EZB könnte noch zweimal erhöhen

Die Zinserhöhung am Donnerstag ist vom Markt quasi vollständig eingepreist, er rechnet mit 24 Basispunkten, berücksichtigt also eine minimale Restunsicherheit. Das Überraschungsmoment für die Märkte dürfte also recht gering sein, mit Marktbewegungen ist nicht zu rechnen, wenn die EZB am Donnerstag um 14 Uhr ihren Zinsentscheid bekannt gibt.

Spannender könnte - wie meist - die anschließende Pressekonferenz mit EZB-Präsidentin Christine Lagarde (ab 14.45 Uhr) werden. Hier wird sie vermutlich eine Orientierung zu den Inflationserwartungen und damit dem weiteren Zinspfad geben. Derzeit sind für die Ratssitzung im Juli sind laut Piet Haines Christiansen, EZB-Experte der Danske Bank, 20 Basispunkte eingepreist, für September 10 Basispunkte. Der Markt rechnet aktuell also in der Summe noch mit etwas mehr als einer weiteren EZB-Zinsanhebung. Sollte Lagarde diese Erwartungshaltung verändern, dürften sich auch die Kapitalmärkte bewegen.

Zinsen: Das El-Niño-Risiko für die Inflation
© dpa

„Auf der Juli-Sitzung wird die europäische Währungsinstitution wahrscheinlich auch ihre Einlagenzinsen um 25 Basispunkte anheben, möglicherweise zum letzten Mal, wenn sich der disinflationäre Trend bestätigt“, sagt Thozet.In dieser Hinsicht ist es Christine Lagarde (bisher) gelungen, ihren geldpolitischen Straffungszyklus zu vollenden, ohne dass es zu Rissen im System kam, obwohl die Region vor einem Jahr noch als diejenige galt, die am wenigsten bereit für einen Straffungszyklus war.“

Skip statt Pause bei Fed

Während in der Eurozone also wohl noch zwei Zinserhöhungen anstehen, könnte die US-Notenbank Federal Reserve nur noch einmal handeln. Wenn der Offenmarktausschuss am Mittwochabend seine Entscheidung bekannt gibt, rechnet der Markt mit keiner Veränderung des aktuellen Leitzinsniveaus einer Spanne von 5,0 bis 5,25 Prozent. Die am Dienstag veröffentlichten Daten haben an dieser Erwartung Volkswirten zufolge kaum etwas geändert. Die US-Inflationsrate fiel für Mai auf 4,0 von 4,9 Prozent im Vormonat zurück und erreichte damit den niedrigsten Wert sei März 2021.

Allerdings verharrte die sogenannte Kernrate der Inflation im Mai bei 5,3 Prozent und lag damit sogar leicht über den Erwartungen des Marktes. Die Kernrate klammert Energie- und Nahrungsmittelpreise aus, weil diese über das Jahr stark schwanken und bieten einen realistischeren Blick auf den Preisdruck in einer Volkswirtschaft. „Der unterliegende Preisdruck bleibt hartnäckig“, heißt es bei der Commerzbank. „Zwar wird die US-Notenbank die Zinsen morgen wohl nicht weiter anheben. Spekulationen über Zinssenkungen noch in diesem Jahr erscheinen aber verfrüht.“

Schon vor Veröffentlichung der Daten hatte sich der Markt auf noch eine weitere US-Zinserhöhung im Juli eingestellt. „Die Fed dürfte sich Zeit nehmen, um die Auswirkungen der bereits erfolgten, deutlichen Straffung der monetären Bedingungen zu bewerten“, sagt Franck Dixmier, Chefanlagestratege für Rentenpapiere bei Allianz Global Investors. „Dies gilt insbesondere auch vor dem Hintergrund der latenten regionalen Bankenkrise.“ Doch trotz der Pause werde, so Dixmier, die Fed wohl „ihre restriktive Haltung zunächst beibehalten, und sich alle Optionen offenhalten, einschließlich der Möglichkeit einer weiteren Zinserhöhung in den kommenden Monaten.“ Eine Ökonomen sprechen daher nicht von Zins-Pause, sondern von einem Skip-Effekt: Die Fed überspringe einfach eine oder mehrere Zinssitzungen – und macht dann weiter mit der Straffung.

„Mega-El-Niño“ droht

Die Notwendigkeit weiterer Zinserhöhungen in der Eurozone und den USA könnte dabei nicht nur vom weiterhin robusten Arbeitsmarkt kommen, sondern aus einer ganz anderen Ecke: dem Wetter. Denn die Hoffnungen auf einen schnellen Inflationsrückgangs könnte verfrüht sein. Das hat mit einem klimatischen Phänomen zu tun, dass die Südhalbkugel alle paar Jahre heimsucht, in diesem Jahr jedoch besonders stark ausfallen könnte. Die Rede ist vom Wetterphänomen „El Niño“, einer Kurzfassung des spanischen Wortes für das Christkind „El Niño de Navidad“. Typischerweise erreicht dies zu Weihnachten seinen Höhepunkt und beschert den Fischern in Südamerika zu dieser Zeit einen reichen Fang.

Frauen schaufeln Schlamm aus ihren Häusern nach Überschwemmungen und Schlammlawinen
Frauen schaufeln Schlamm aus ihren Häusern nach Überschwemmungen und Schlammlawinen in Punta Hermosa, einem exklusiven Strand südlich von Lima, die durch heftige Regenfälle des Zyklons Yaku und einer küstennahe El-Nino-Anomalie verursacht wurden
© IMAGO / ZUMA Wire

Doch anders als bei den Fischern löst „El Niño“ bei Landwirten keine Freude aus. Heftige Unwetter und Überschwemmungen gefährden dann ihre Ernte. In diesem Jahr droht nun ein „Mega-El-Niño“, warnte bereits im Mai die Weltorganisation für Meteorologie (WMO). „El Niño kombiniert mit der menschengemachten Erwärmung wird die globalen Temperaturen in bisher unbekannte Gefilde treiben: Dies wird weitreichende Konsequenzen für Gesundheit, Nahrungssicherheit, Wassermanagement und die Umwelt haben“, warnte WMo-Generalsekretär Petteri Taalas.

Agarpreise steigen bereits

Die Angst vor Ernteausfällen treibt der Deutschen Bank zufolge schon jetzt die Preise für Agrargüter in die Höhe. Die Futures auf die Kaffeesorte Robusta haben den höchsten Stand seit ihrem Start im Jahr 2008 erreicht, Zucker ist so teuer wie seit zehn Jahren nicht mehr und Kakao handelt auf einem Siebenjahreshoch. „Da die Preise für bestimmte Rohstoffe in den letzten Monaten bereits gestiegen sind, muss diese Entwicklung genau beobachtet werden, um sicherzustellen, dass die Inflation nicht auf einem hohen Niveau verharrt“, sagt Henry Allen, Makrostratege bei der Deutschen Bank.

Das erinnert an eine Phase vor rund 50 Jahren. Noch vor dem ersten Ölschock Ende des Jahres 1973 gab es ein El-Niño-Ereignis, das damals zum Inflationsanstieg beitrug. „Der Ölschock hatte zwar weitaus größere Auswirkungen, aber dieses Zusammentreffen von Schocks trug dazu bei, dass sich die Inflation verfestigte“, blickt Allen zurück.

Das sei im heutigen Kontext besorgniserregend, da in vielen Ländern die Inflation bereits über dem Ziel der jeweiligen Notenbank liege, vor allem wegen einer Reihe von Schocks auf der Angebotsseite. „Es besteht die Gefahr, dass weitere Schocks dazu führen, dass sich die Inflationserwartungen dauerhaft nach oben bewegen, wodurch die Aufgabe der Zentralbanken noch schwieriger wird“, warnt Allen.

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