Oliver Mihm ist Vorstandschef der Frankfurter Unternehmensberatung Investors Marketing Management Consultants
Herr Mihm, sehen wir in Deutschland bei Girokonten das „Ende einer Gratiskultur“?
Nein, eine solche Gratiskultur in der Breite gibt es gar nicht und hat es bei Girokonten in Deutschland auch nie gegeben. Rund zwei Drittel der Girokonten werden in einem kostenpflichtigen Modell geführt.
Haben Sie eine Erklärung für die Theorie der „Gratiskultur“?
Die oft in diesem Zusammenhang zitierten Direktbanken haben unseren Berechnungen zufolge bei Girokonten hierzulande auf einen Marktanteil von rund sieben Prozent. Sparkassen kommen auf rund sechsmal so viel. Es gibt aber ein gewisses Stadt-Land-Gefälle. Die meisten regionalen Sparkassen und Volksbanken führen die Konten schon lange gegen Gebühren, teils in Paketmodellen, teils sind Abbuchungen oder Abhebung einzeln kostenpflichtig. Zwar ändern tatsächlich einzelne der rund 1500 Regionalinstitute derzeit ihre Konditionen. Ich beobachte aber, dass einige Ihrer Kollegen erregt auf Modelle stoßen, die es teils seit Jahrzehnten gibt. Aber nochmals: nicht das Gratiskonto, sondern das kostenpflichtige Konto ist die Regel unter Menschen mit normalem Erwerbseinkommen.
Dennoch verzeichnen Direktbanken mit kostenlosen Girokonten starke Zuwächse.
Richtig. Deren Wachstum wird sich zwar etwas abflachen, aber weitergehen. Zur Einordnung: Die Kundenreichweite der Direktbanken stieg in den Nuller Jahren noch zweistellig pro Jahr. Inzwischen liegen wie bei vier bis fünf Prozent pro Jahr. Auf dem Niveau dürfte sich das Wachstum auch bis 2020 einpendeln.
Gratiskonto als Instrument der Neukundengewinnung
Wie wichtig ist das kostenlose Girokonto in der Neukundengewinnung?
Man muss dazu auch den historischen und geschäftlichen Kontext kennen: kostenlose Girokonten waren bis in die 60er-Jahre hinein üblich. Dann haben die Banken nahezu flächendeckend und sehr schnell Gebühren eingeführt. Erst in den 90er-Jahren haben dann wieder Institute das Gratiskonto als Instrument der Neukundengewinnung entdeckt, zunächst die Direktbanken, dann zogen auch Privatbanken wie die Targobank, SEB, HVB nach. Die Idee dahinter war: Wenn man die erste Bankverbindung des Kunden besitzt, steigen die Chancen erheblich, mit ihm weitere, gewinnträchtige Geschäfte machen zu können, etwa Geldanlage oder Kredite.
Hat sich daran etwas verändert?
Ja, alle streiten natürlich um den gleichen Kuchen. Wenn die Neukundengewinnung stockt und zugleich die eigenen Kosten steigen, reagieren auch Banken. Erst rücken sie ihre Gratisprodukte nicht mehr in den Vordergrund, die es bei vielen Instituten weiter gibt. Dieser Prozess läuft schon länger. Dann versuchen sie natürlich auch, die eigenen Erlöse zu erhöhen.
Sie sprechen vom „gleichen Kuchen“. Die Institute melden flächendeckend steigende Kundenzahlen und Kontoeröffnungen. Wie ist das zu erklären?
Diese Zahlen haben zwei Haken: Erstens tendieren Kunden dazu, mehrere Bankverbindungen zu unterhalten. Zweitens ist die reine Anzahl der Konten wenig aussagekräftig. Sparkassen etwa haben unter den jüngeren Menschen einen überdurchschnittlich hohen Marktanteil. Dabei handelt es sich aber meist um kostenlose Kontenmodelle. Sie verlieren aber Kunden im mittleren Alterssegment zwischen 30 und 50. Genau auf das kommt es aber bei Banken an, denn in diesem Alter haben Kontokunden Vorsorgebedarf, interessieren sich für Immobilienfinanzierungen, kurz: machen Banken lukrative Geschäfte. Das heißt: Selbst bei stabilen oder gar steigenden Kunden- oder Kontenzahlen können sich ihre Kundenstrukturen deutlich verschlechtern. Wir sprechen auch vom „Badewannen-Effekt“ bei vielen Instituten: In der breiten Mitte fließen die Kunden vor allem in Richtung Direktbanken ab, an den Rändern, bei den älteren und jüngeren, gewinnt man hingegen dazu. Die sind aber wirtschaftlich nicht so interessant.
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