Ingo Mainert ist leitender Investmentstratege bei Allianz Global Investors
Capital: Herr Mainert, kann man heute eigentlich noch investieren, ohne darauf zu achten, was die Notenbanken tun?
Ingo Mainert: Anleger mussten schon immer die Geldpolitik im Auge behalten. Heute müssen sie das allerdings mehr denn je. Andere Faktoren, die die Geldanlage beeinflussen, sind in den vergangenen Jahren zunehmend von der Politik der Notenbanken überlagert worden.
An der Wall Street sagt man: „Don’t fight the Fed“. Anleger sollen sich also nicht gegen die Notenbank stellen. Gilt das auch für europäische Anleger und die Europäische Zentralbank (EZB)?
Grundsätzlich natürlich ja. Aktuell kommt es auf die Anlageklasse an. Einerseits macht die EZB europäische Aktien für Anleger attraktiv. Eine ultra-expansive Geldpolitik bedeutet nämlich, dass man höhere Risiken eingehen muss. In diesem Punkt folgen die Investoren der Zentralbank, wie aktuelle Anlagestatistiken zeigen. Andererseits drängt die EZB Anleger mit den niedrigen Zinsen bei einer steilen Zinsstrukturkurve in lang laufende Staatsanleihen. Bei diesen Papieren sehen wir insbesondere vor dem Hintergrund des sehr niedrigen Nominalzinsniveaus deutliche Zinsänderungsrisiken. Ihre Entwicklung hängt nämlich zudem nicht nur von der EZB-Politik ab, sondern auch von der Politik der US-Notenbank. Und die beiden Notenbanken gehen allmählich getrennte Wege.
Portfolio möglichst breit streuen
Die EZB ist zuletzt noch expansiver geworden, die Fed dürfte dagegen bald auf eine etwas straffere Geldpolitik setzen. Nach welcher Notenbank sollten sich europäische Investoren richten?
Sie müssen beide Zentralbanken im Blick behalten. Zurzeit deutet sich eine seltene Situation an: Es ist bisher kaum je vorgekommen, dass die Geldpolitik in Europa und in den USA komplett auseinander klafft. Unser Rat: Anleger sollten ihr Portfolio möglichst breit über viele Anlageklassen und Strategien aufstellen und global diversifizieren. Wertpapieranlagen sollten zudem immer langfristig – auf mindestens drei bis fünf Jahre – ausgerichtet sein.
Wann werden Fundamentaldaten wieder eine größere Rolle in der Geldanlage spielen als die Politik der Notenbanken?
Die Geldpolitik wird auf absehbare Zeit der wichtigste Einflussfaktor beim Investieren bleiben. Anleger sollten wachsam sein, denn diese Situation birgt auch einige Gefahren.
Welche?
Die Liquidität, die die Notenbanken bereitstellen, fließt kaum in die Realwirtschaft, sondern vielmehr in die Anlagemärkte. Das führt zu Überbewertungen. Viele Anleihen sind bereits überbewertet, bei Aktien sehen wir dieses Szenario ebenfalls kommen. Mit solchen hohen Bewertungen steigt die Gefahr, dass es abrupte und heftige Korrekturen gibt. Das hat man in den vergangenen Wochen an den Anleihemärkten exemplarisch gesehen.