Für ihre Leidenschaft sind die Deutschen nicht gerade bekannt. Mit einer Ausnahme. Die gab Reinfried Pohl gerne zum Besten: Der Wunsch, Steuern zu sparen, so der jüngst verstorbene Gründer des Finanzvertriebs DVAG, übersteige bei vielen den Sexualtrieb.
Welche Argumente beim Kunden ziehen, wusste der erfahrene Verkäufer aus dem Effeff. Und diese Erkenntnis nutzt auch die Bundesregierung seit Jahren: Sie fördert mit Steuervorteilen staatlich erwünschte Vorsorgeprodukte von der Riester- bis zur Rürup-Rente. Ihr jüngstes Förderangebot allerdings brachte es in einem halben Jahr nicht zur Marktreife – die geförderte Berufsunfähigkeitspolice (BU-Police).
Nie gehört? Das verwundert nicht. Es gibt im Förderrahmen der Rürup-Rente zwar seit Januar eine steuerlich privilegierte Police für den Fall der Invalidität – aber nur auf dem Papier. Kein Versicherer hat bis zum Juli einen Tarif im Angebot. Keine Werbung, kein Verkauf. So etwas gab es noch nie.
Der Fehlstart zeigt einmal mehr, wie es enden kann, wenn der Staat als Produktentwickler mitmischt. Die Absicht war ehrenwert: Man wollte Anreize zur Absicherung setzen. Die ist bei den meisten der 42 Millionen Berufstätigen schlecht, wenn sie wegen Krankheit dauerhaft die Arbeitskraft verlieren. Die staatlich geförderte Police sollte den BU-Schutz der Bevölkerung verbreitern. Nur taugen die gesetzlichen Vorgaben so wenig, dass das Förderversprechen wirkungslos verpufft.
Der Grund für den Generalstreik der Versicherungswirtschaft: Die neuen BU-Förderpolicen sind viel zu teuer und gelten als unverkäuflich. Den doppelten oder dreifachen Preis wie üblich müssten Kunden nach Berechnungen des Analysehauses Morgen & Morgen (M&M) schon deshalb zahlen, weil das „Altersvorsorge-Verbesserungsgesetz“ statt einer Rente bis maximal 67 Jahre für Förderverträge eine Leistung bis zum Tod vorsieht. Für Versicherer steigt damit das Risiko, sehr lange zahlen zu müssen – und für Kunden entsprechend der Beitrag.
Es werde „radikal am Bedarf vorbeigefördert“, kritisiert Axel Kleinlein, Vorstandschef vom Bund der Versicherten (BdV), da die lebenslange Rente gar keinen Vorteil für Kunden bringe. „Der Staat hat gezeigt: Er kann es nicht.“
Mit seinem harschen Urteil liegt Verbraucherschützer Kleinlein ausnahmsweise ganz auf der Linie der Versicherer. Deren Kommentare reichen von „nicht realisierbar“ bis „unbezahlbar“. HDI-Vorstand Gerhard Frieg moniert, er sehe für „diese Produkte derzeit keinen Markt“.
Sozialhilfe als Alternative
Die Folgen des Förderflops treffen die Kunden hart. Der gut gemeinte Vorstoß sollte schließlich ein reales Problem lösen: Es gibt enormen Bedarf an solidem und bezahlbarem Schutz. Gerade mal vier von zehn Berufstätigen sind versichert und diese oftmals schlecht. Die meisten haben Monatsrenten von durchschnittlich 550 Euro vereinbart – oder lediglich eine Beitragsbefreiung für ihre Altersvorsorge.
„Viele Erwerbstätige fühlen sich sicher, sind es aber nicht“, bestätigt Versicherungsberater Stefan Albers. Drei Viertel setzen im Notfall auf die Sozialversicherung, ergab eine repräsentative Umfrage des FAZ-Instituts im Auftrag der Gothaer. Nur: Die staatlichen Kassen zahlen oft bloß ein paar Hundert Euro. Zu wenig zum Leben.
Zum fehlenden Existenzschutz trug der Staat bei, indem er 2001 Sozialleistungen zusammenstrich. Man habe damals auf Lösungen der privaten Versicherer gesetzt, sagt BdV-Chef Kleinlein: „Jetzt bekommen viele den Schutz aber nicht oder nur gegen horrende Prämien.“ Die Absicherung ist teuer. Selbst junge Akademiker zahlen 50 bis 100 Euro Beitrag, Versicherte mit riskanteren Berufen teils das Drei oder Vierfache.
Mitschuld trägt die Assekuranz, die sich seit Jahren eine erbarmungslose Preisschlacht um gute Risiken liefert. Alle stürzen sich auf einen einzigen Kundentypus: jung, gesund und Akademiker mit Bürojob. Diese Premiumversicherten bilden immer kleinere Risikogruppen, und ihre Prämien sinken. Den Preis zahlen die anderen, denn das Aschenputtelprinzip treibt den Beitrag der Mehrheit nach oben.
Das selektive Vorgehen der Branche verschärft die Lage derer, die Schutz suchen. Sie haben es schon wegen der rigorosen Gesundheitsprüfung schwer, ordentliche Konditionen zu einem bezahlbaren Preis zu bekommen. Immer wieder wundern sich Interessenten, wenn sie mit Volkskrankheiten wie Übergewicht oder Bluthochdruck abgewiesen werden – und erst recht bei psychischen Problemen, die die häufigste Ursache einer Berufsunfähigkeit sind.
Nur noch jeder vierte Antragsteller erhält seinen Wunschvertrag, ermittelte die Stiftung Warentest jüngst in einer Stichprobe. Drei Viertel mussten schlechtere Konditionen in Kauf nehmen – oder scheiterten vollends. Der Verbraucherzentrale Bundesverband beklagt, es gebe „eindeutig ein Zugangsproblem“.
Den Ausweg über eine Förderpolice hat der Staat verstellt, weil diese Konstruktion bei erhöhter Gefährdung erst recht unbezahlbar wäre. Continentale-Vorstand Michael Fauser spricht aus, was viele seiner Kollegen denken: „Ein Versicherungsprodukt, das sich niemand leisten kann, bringen wir nicht auf den Markt.“
So bleibt nur privater Schutz – und Problemkunden müssen weiter bangen. Ohne die Hilfe qualifizierter Makler oder unabhängiger Versicherungsberater kommen sie nur noch schwerlich an einen leistungsstarken Vertrag. Die Profis fahnden zum Beispiel nach befristeten Aktionen mit erleichterten Aufnahmebedingungen wie aktuell bei der Gothaer.
Vielen Kunden vergeht bei der langwierigen Suche die Lust, andere starten sie erst gar nicht – auch weil sich Zweifel am Leistungswillen der Branche halten. Sechs von zehn Berufstätigen glauben, der Versicherer zahle im Ernstfall meist nicht, sondern berufe sich auf irgendwelche Klauseln.
Hilfe Bei den Formularen
Tatsächlich ist der Leistungsfall heikel. Die juristische und medizinische Grauzone ist größer als anderswo, zum Beispiel bei der wichtigen Frage, ob ein Kunde wirklich zu 50 Prozent berufsunfähig ist. Sobald eine BU-Rente beantragt wird, fordern die Versicherer denn auch zahlreiche Dokumente wie etwa Arztberichte an. Bearbeitungszeiten von 140 Tagen sind keine Seltenheit.
Für Joachim Geiberger, Geschäftsführer des Analysehauses Morgen & Morgen, werden Zahlungswille und Kompetenz des Versicherers immer wichtiger. „Es lohnt, schon beim Vertragsabschluss darauf zu schauen, wer bisher bereitwillig zahlt und kompetent betreut.“ Die Continentale etwa schickt auch Helfer zu Hause vorbei, um mit den Kunden nötige Formalitäten zu erledigen. Wer schon mal über den Unterlagen gebrütet hat, weiß das zu schätzen.
Ganz so schlecht, wie ihr Ruf es nahelegt, leisten die Versicherer übrigens nicht. Tatsächlich verlaufen 30 Prozent aller Rentenanträge im Sande, weil die Kunden sie nicht weiterverfolgen. Vom Rest bewilligt die Branche im Schnitt nahezu 70 Prozent, ermittelte M&M per Abfrage bei den Unternehmen.
Die Leistungsspanne im Markt ist indes gewaltig: Gute Versicherer wie Debeka, Allianz oder HDI stimmen acht von zehn Anträgen zu, das Schlusslicht Familienfürsorge kommt gerade einmal auf eine halb so hohe Quote. Für die Versicherten, bei denen es auf jeden Prozentpunkt ankommt, macht das einen gewaltigen Unterschied.
Leistungscheck
Auswahl: nur Versicherer ab 50 000 BU-Verträgen im Bestand (Basis: Ende 2012).
/5,0 = ausgezeichnet; /4,0= sehr gut; /3,0 = durchschnittlich; (1) Leistungsquote: Wie viele Anträge auf Berufsunfähigkeitsrente wurden anerkannt? Mittelwert 2010 bis 2012 (2) Teilbewertung Kompetenz bei Antragsprüfung und Service laut BU-Rating von Morgen & Morgen (3) Mittelwert der langfristigen Produktbewertung 2003 bis 2012 von Morgen & Morgen, gemessen am jeweils besten Tarif des Versicherers
Fünf Schritte zum optimalen Schutz
Haben Sie schon mal überschlagen, was Sie in den letzten Jahren verdient haben? Wer von seinem Gehalt lebt, riskiert bei Berufsunfähigkeit (BU) den sozialen Absturz. Zur Absicherung eignet sich eine Privatpolice
1. Einzelvertrag wählen
BU-Schutz bieten Versicherer als Zusatzleistung zu Renten- und Risikopolicen an oder als Solovertrag. Mit Letzterem bleiben gerade junge Leute unabhängiger, zumal Verträge laut Morgen & Morgen einzeln genauso günstig zu haben sind wie im Paket. Der Schutz läuft am besten bis zum Alter von 67 Jahren, sollte eine auskömmliche Garantierente vorsehen und Nachversicherungsoptionen, mit denen sich die Rente später aufstocken lässt.
2. Leistungen erkämpfen
Gute Konditionen sind beim BU-Schutz entscheidend, weil im Leistungsfall so oft gestritten wird. Für gesunde Akademiker ist so ein Luxusschutz bezahlbar, für Künstler oder körperlich Arbeitende häufig nicht. Diese müssen notgedrungen auf ein Basisniveau ausweichen und um gute Leistungen ringen – am besten mit professioneller Hilfe. Das lohnt sich, denn alternative Policen etwa für Erwerbsunfähigkeit oder schwere Krankheiten bieten allesamt schwächeren Schutz als die BU.
3. Tricks vermeiden
Zugegeben, ein Spaß ist der Abschluss dieser Police nicht. Weil die Versicherer ein hohes finanzielles Wagnis eingehen, prüfen sie Kandidaten penibel auf Risikofaktoren, vor allem Krankheiten (Diabetes), Berufe (Fliesenleger) und Hobbys (Kampfsport). Selbst bei Kleinigkeiten drohen Risikozuschläge, Ausschlüsse oder eine Abfuhr. Es hilft aber alles nichts: Weil die Unternehmen im Leistungsfall die Angaben nachprüfen, sollte man alle Fragen ehrlich beantworten. Problemkunden wie Kranke suchen am besten einen qualifizierten Makler oder Versicherungsberater, der sie mithilfe anonymer Voranfragen durch die Antragsphase lotst. Mitunter hilft auch Geduld: Weil die Gesellschaften meist nach Arztbehandlungen der vergangenen fünf Jahre fragen, müssen ältere Vorfälle nicht mehr angegeben werden. Gegebenenfalls lohnt es sich, mit dem Antrag eine Weile zu warten.
4. Auf Erfahrung setzen
Neben guten Vertragskonditionen, die heute viele Versicherer bieten, kommt es im Ernstfall vor allem auf die Leistungsbereitschaft und die Kompetenz einer Gesellschaft an. Die rechtliche und medizinische Grauzone ist in dieser Sparte extrem groß. Umso ärgerlicher, wenn der Versicherer einfach blockt oder kein professionelles Leistungsmanagement bietet. Interessenten sollten daher schon bei der Tarifauswahl Anbieter wie Allianz oder Debeka bevorzugen, die laut Morgen & Morgen bereitwillig leisten, viel Erfahrung und eine hohe Kompetenz in der schwierigen Sparte mitbringen.
5. Preisspanne prüfen
Es zahlt sich aus, wenn der Kunde den aktuellen Zahlbeitrag mit der maximalen Prämie abgleicht. Je weiter die beiden Werte auseinanderklaffen (in der Tabelle unten etwa bei der WWK um stolze 100 Prozent), desto höher ist das Risiko des Kunden für spätere Beitragssteigerungen. Die Krux: Der Zahlbeitrag ist nicht garantiert, er kann später bis zum Maximalbeitrag steigen. Im Zweifel wählen Kunden lieber einen Tarif mit geringerer Prämienspanne.
Der Beitrag ist zuerst in leicht veränderte Form in Capital 8/2014 erschienen. Interesse an Capital? Hier geht es zum Abo-Shop, wenn Sie die Print-Ausgabe bestellen möchten.