Anzeige

Elektronische Patientenakte Ein Paradebeispiel für schief gelaufenes Marketing

Zwei Ärztinnen schauen auf ein Tablet
Ab 2025 wird für alle gesetzlich Krankenversicherten eine digitale Patientenakte angelegt – es sei denn, sie widersprechen
© Andreas Arnold / Picture Alliance
Die E-Patientenakte speichert bald sensible Befunde und MRT-Bilder in einer digitalen Akte. Wer das nicht will, muss aktiv widersprechen

Die elektronische Patientenakte (ePA) ist ein Paradebeispiel für schief gelaufenes Marketing: Schon seit Anfang 2021 ist sie deutschlandweit Pflicht, nur haben viele Patientinnen und Patienten noch nie von ihr gehört. Denn die große Werbetrommel der Krankenkassen und der Politik blieb aus. 

Also setzt die Bundesregierung künftig auf eine andere Strategie: Ab dem 15. Januar 2025 gilt laut einem neuen Gesetz das Opt-Out-Verfahren. Sprich: Jeder gesetzlich Versicherte bekommt automatisch eine ePA angelegt und wer das nicht will, muss widersprechen.

Was ist die ePA?

Die ePA ist dabei ein digitaler Ordner für die persönlichen Gesundheitsdaten. Dort lassen sich die wichtigsten Informationen rund um die Gesundheit des Patienten digital und dauerhaft speichern. Darin finden sich etwa Befunde, Auswertungen zu Röntgen- sowie MRT-Aufnahmen, verordnete Medikamente oder der Impfpass. Das erleichtert den Austausch zwischen Ärzten, Apotheken und Kliniken. 

Gesetzlich Versicherte können über die App dabei selbst steuern, welche Gesundheitsanbieter auf welche Informationen zugreifen können. Wer zum Beispiel nicht will, dass der Physiotherapeut über eine Depression Bescheid weiß, kann das über die App einstellen. Die Krankenkassen selbst haben keinen Zugriff auf die Daten. Private Kran­ken­ver­si­che­rungen können freiwillig ePas anlegen und einige planen dies bereits. Sie sind aber nicht dazu verpflichtet.

Opt-Out statt Opt-In

Bisher läuft die digitale Patientenakte über ein sogenanntes Opt-In-Verfahren. Patienten müssen sich ihre ePA also selbst anlegen. Dazu installieren Versicherte die ePA-App ihrer Krankenkasse auf ihrem Smartphone oder Tablet und beantragen darüber die Einrichtung der Akte bei ihrer Krankenkasse. Dabei wählen sie ein Identifikationsverfahren – zum Beispiel per NFC-fähiger elektronischer Gesundheitskarte und PIN. 

Dass das vielen Patienten zu kompliziert ist oder sie schlichtweg nichts davon wissen, zeigen die Zahlen: So nutzten laut einem Report der Unternehmensberatung McKinsey Anfang 2023 nur 595.000 Menschen hierzulande die ePA – also weniger als ein Prozent der Versicherten. Entsprechend ist der Mehrwert für Ärzte noch gering und nur wenige Praxen befüllen die digitalen Patientenakten mit Daten.

Ab 2025 soll sich das nun durch das automatische Anlegen von ePAs für alle Patienten ändern. Dabei bleibt die Nutzung nach wie vor freiwillig. In der elektronische Patientenakte werden allerdings sensible Daten landen, etwa auch Informationen zu psychischen Erkrankungen oder zu einer HIV-Infektion. Manchem Patienten dürfte bei der Vorstellung mulmig werden, dass Ärzte und Kliniken künftig automatisch Zugriff auf solche Daten haben. Darum stellen sich viele Versicherte nun die Frage: Soll ich Opt-Out wählen?

Vorteile der elektronischen Patientenakte

Wichtig zu wissen ist: In medizinischen Notfällen kann die ePA perspektivisch Leben retten. Etwa dann, wenn Rettungskräfte sofort einsehen können, welche Vorerkrankungen und Allergien bestehen und welche Medikamente der Patient nimmt. Außerdem ist sie etwa dann nützlich, wenn sich Patienten Zweitmeinungen einholen wollen oder um unnötige Doppeluntersuchungen zu vermeiden. 

Insgesamt erhoffen sich Politiker eine bessere Patientenversorgung durch die digitale Vernetzung. Auch Datenschützer befürworten deshalb die ePA: „Wir brauchen in Deutschland dringend eine Digitalisierung des Gesundheitssystems und dabei ist die ePA der richtige Weg“, sagt Christof Stein, Pressesprecher beim Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI). Dabei ist die Telematikinfrastruktur, also das Netz aus IT-Systemen, das Versicherte und Akteure aus dem Gesundheitssystem miteinander verbindet, besonders sicher, betont er. Um die Sicherheit ihrer Daten müssen sich Versicherte demnach also keine Sorgen machen.

Nachteile der digitalen Gesundheitsakte

Dennoch üben die Datenschützer auch Kritik an den neuen Regelungen zur elektronischen Patientenakte. „Menschen, die nicht über ein Smartphone oder ein Tablet verfügen, haben keinen Zugriff auf die App. Ihnen bleibt auch das dokumentengenaue Berechtigungsmanagement ihrer Daten verwehrt“, sagt Stein. Soll also zum Beispiel der Zahnarzt nichts über den Schwangerschaftsabbruch erfahren, lässt sich das über die App für Patientinnen und Patienten einfach steuern.

Wer aber die App nicht nutzt und kein Opt-Out wählt, gibt womöglich unfreiwillig sein Einverständnis, dass alle Leistungserbringer alles sehen. „Dabei ist das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der Patientinnen und Patienten nicht gegeben“, kritisiert Stein. Das betrifft dann all diejenigen, die sich etwa kein Smartphone oder Tablet leisten oder solche Geräte nicht bedienen können, zum Beispiel aufgrund ihres Alters. 

Wer keinen Zugriff auf die App hat, sollte sich laut Datenschützern also derzeit gut überlegen, ob er Opt-Out wählt und so dem Erstellen der elektronischen Patientenakte lieber widerspricht. Das geht schon jetzt gegenüber der Krankenkasse und damit vor der Einführung der ePa Anfang 2025. „In diesem Rahmen haben die Krankenkassen einfache und barrierefreie Verfahren vorzusehen, durch die Versicherte widersprechen können. Ein Widerspruch ist auch nach Bereitstellung der ePA möglich und führt dann zu deren Löschung“, schreibt das Bundesgesundheitsministerium.

Mehr zum Thema

Neueste Artikel

VG-Wort Pixel