Christian Kirchner ist Frankfurt-Korrespondent von Capital. Er schreibt an dieser Stelle regelmäßig über Geldanlagethemen. Hier können Sie ihm auf Twitter folgen
Seit Mitte April sind die Kapitalmarktzinsen in Deutschland in einem Tempo gestiegen, wie wir es zuletzt kurz nach der Wiedervereinigung beobachtet haben. 0,05 Prozent Rendite warfen zehnjährige Bundesanleihen noch im April ab, zeitweise waren es etwas mehr als ein Prozent, inzwischen sind es 0,8 Prozent. Im Fahrwasser dieses Anstiegs haben sich auch – wenngleich von einem extrem niedrigen Ausgangsniveau – die Zinsen für Baugeld über alle Laufzeiten hinweg wieder um über einen halben Prozentpunkt erhöht.
Zwei Fragen drängen sich auf (und werden mir auch privat seit Wochen fortlaufend gestellt): Ist das nun die Zinswende? Und was bedeutet das nun für die Immobilienpreise und -finanzierungen?
Zäumen wir das Pferd einfach einmal von hinten auf: Welche Rolle spielen die Zinsen überhaupt für die Immobilienpreise und die Überlegung, ob man denn nun bauen oder kaufen sollte oder nicht?
Die gefühlt Wahrheit lautet ungefähr so: Die Immobilienpreise sind in Deutschland in den vergangenen Jahren vor allem aufgrund der niedrigen Zinsen gestiegen. Schließlich hat das Finanzierungen erschwinglicher gemacht, während zugleich konservative Sparformen immer unattraktiver geworden sind. Aus dieser gefühlten Wahrheit ziehen viele den Schluss, dass ein Anstieg der Zinsen nicht nur viele Finanzierungsmodelle ins Wanken bringen, sondern auch die Immobilienpreise bald fallen könnten – weil die Party schlicht vorbei sei.
Machen wir doch einfach einen Plausbilitätstest
Wie so oft im Leben muss aber nicht automatisch stimmen, was plausibel klingt. Gewiss waren die extrem niedrigen Zinsen der vergangenen Jahre ein unterstützender Faktor für die Immobilienpreise – und haben Häuslebauern einen willkommenen Anlass gegeben, das Thema Immobilienerwerb praktisch anzugehen.
Aber machen wir doch einfach einen Plausbilitätstest: Würden Sie die Entscheidung für oder gegen die eigenen vier Wände davon abhängig machen, ob die Bauzinsen nun bei zwei, drei oder vier Prozent stehen – zumal sich die Effekte von Kaufpreisen und Zinsersparnis häufig gegenseitig aufheben? Zumal potenzielle Käufer ja auch schon seit annähernd zehn Jahren mit nur kurzen Unterbrechungen lesen und hören, die Zinsen könnten quasi gar nicht weiter fallen? Und glauben Sie umgekehrt, dass sich in den letzten Jahrzehnten Leute von hohen Zinsen haben abschrecken lassen, den Traum von den eigenen vier Wänden zu realisieren – oder umgekehrt nun Menschen Immobilien kaufen oder bauen, die eigentlich gar keine Freude daran haben und das Geld lieber liquide anlegen würden?
Die Antwort auf alle Fragen ist: Natürlich nicht. Es gibt wichtigere Faktoren hinter der Entwicklung der Preise für Wohnimmobilien als die Zinsen. Schließlich sind die Immobilienpreise in Deutschland in den vergangenen Jahrzehnten auch in Zeiten sehr hoher Zinsen geklettert (wie etwa Ende der 70er-, Anfang der 80er-Jahre) oder in Phasen mit eher niedrigen Zinsen real gefallen (etwa in den Nuller Jahren bis etwa 2007).
Die wichtigeren Faktoren bei Wohnimmobilien in Deutschland sind etwa die Urbanisierung, die Beschäftigungslage, aber vor allem die Entwicklung der realen Einkommen und der Einkommenserwartung. Seit diese deutlich nach oben gedreht haben, klettern auch die Immobilienpreise. (Das erklärt übrigens auch die Bundesbank, die ansonsten nicht müde wird, vor den Risiken der extrem niedrigen Zinsen zu warnen und somit eine glaubhafte Quelle für die Deutung ist). Die Kombination aus niedriger Inflation und hohen Tarifabschlüssen sorgt hier derzeit für den stärksten Anstieg der verfügbaren Haushaltseinkommen seit Jahren in der Größenordnung von zwei bis drei Prozent. Das sind wichtigere Wirtschaftsnachrichten für Immobilienkäufer als das Gezuckele der Zinsen.
Kein deutlicher Zinsanstieg in Sicht
Auch hier führt ein Plausibilitätstest auf die richtige Fährte: Für ein Eigenheim oder eine Eigentumswohnung auf Pump entscheidet sich in der Regel nur, wer sich sicher ist, die Raten auch in den kommenden zehn bis 20 Jahren oder gar bis zur Volltilgung bedienen zu können. Und genau hier greifen Fragen wie Einkommen und Arbeitsplatzssicherheit, nicht ein Prozentpunkt mehr oder weniger an Zinsen. Dazu passt auch, dass in Deutschland – anders, als gerne auf Basis anekdotischer Evidenz behauptet wird – die niedrigen Zinsen nicht zu aggressiveren Finanzierungen bei Immobilienkrediten führen. Deutsche nutzen die niedrigen Zinsen laut Daten des Pfandbriefverbands, aber auch der Direktbanken und Hypothekenmakler für längere Zinsbindungen, höhere Tilgungen, und sie bringen mehr Eigenkapital ein.
Keine Regel ohne Ausnahme: Im Zuge der Recherchen für den Capital-Immobilienkompass 2015 haben wir viele Zeichen gefunden, dass vor allem der Markt für Luxusimmobilien in einigen Großstädten an seine Grenzen stößt und sich Verkäufer von überzogenen Forderungen verabschieden müssen. Und: Es mag durchaus spekulative Naturen geben, die mit kurzen Zinsbindungen, hoher Beleihung und der Hoffnung auf Wertsteigerungen der Immobilie schlicht zocken oder darauf vertrauen, dass die Zinsen auch in fünf oder zehn Jahren bei einer Anschlussfinanzierung noch niedrig sein werden. Die mit geringen Tilgungen arbeiten, um mit niedrigeren Raten mehr Geld für den Konsum zur Verfügung zu haben oder sich höhere Kaufpreise leisten zu können. Diese sind und bleiben aber Ausnahmen, erst recht in Zeiten, in denen die Kreditvergabe der Banken für Immobilienkredite aufgrund stärkerer Regulierung und Kapitalvorschriften nicht laxer, sondern rigider geworden ist, wie aus den Umfragen der Bundesbank hervorgeht.
Ziehen wir nun den Bogen zur Frage, wohin die Zinsen steuern: Hier sieht der Konsens der von mir in den vergangenen Tagen befragten Experten in etwa so aus: Wir werden weder die Rekordtiefs von Mitte April sehen, noch einen deutlichen Zinsanstieg vom jetzigen Niveau aus. Gegen weitere Rekordtiefs spricht, dass die Inflationserwartungen der Eurozone zuletzt leicht angezogen sind – wofür Anleihekäufer einen kleinen Ausgleich verlangen. Gegen einen stärkeren Zinsanstieg spricht nicht nur das vermutlich bis September 2016 laufende Aufkaufprogramm der EZB. Weder die Konjunktur noch die tatsächliche Inflation deuten zudem darauf hin, dass die Eurozone in den kommenden zwei bis drei Jahren in eine Phase steigender Leitzinsen eintreten könnte, wie es etwa in den USA derzeit der Fall ist. Und, ein vielleicht etwas zynisches Argument mancher Zinsexperten hinter vorgehaltener Hand: Die Zinsen der Eurozone können alleine schon deshalb nicht steigen, weil sie es schlicht nicht dürfen nach dem Willen von Politik und Notenbank, denn bei deutlich höheren Zinsen wären die Schulden vieler Staaten und ihrer Banken nicht länger finanzierbar.
Psychologische Hürden sind gestiegen
Die naheliegende Lösung für Häuslebauer und potenzielle Käufer lautet daher, sich von dem kurzfristigen und nicht vorhersehbaren Zucken der Zinsen zu emanzipieren – und Kauf- oder Umschuldungsentscheidungen nicht von genau solchen Zinserwartungen abhängig zu machen. Auf kurze Sicht gleicht die Entwicklung der Zinsen dem Weg eines schwer angetrunkenen Menschen, der hin- und hertorkelt und von dem niemand wissen kann, ob er nicht unvermittelt auch mal die Richtung wechselt.
Der Zeitpunkt für eine Finanzierung ist jedenfalls noch immer historisch sehr günstig. Lediglich die psychologischen Hürden sind gestiegen. Denn aus Sicht von aktuellen und potenziellen Häusblebauern stellen die 0,05 Prozent Rendite für zehnjährige Anleihen Mitte April einen Ankerpunkt dar, an den man sich erinnert. Das liegt in der Natur des Menschen, um sich Orientierung zu wahren. Zinsen von 1 oder 1,5 Prozent mögen historisch immer noch extrem niedrig sein, aber sie sind nun mal höher als zum Rekordtief und führen zu einem leichten Gefühl des Verdrusses, während sich zuvor Immobilienkäufer jahrelang rühmen konnten, auf oder nahe einem Rekordtief finanziert zu haben (das freilich rasch nochmals unterboten wurde).
Versuchen Sie, solche „Anker“ schlicht zu ignorieren. Sie sorgen nur für schlechte Laune – übrigens auch bei Aktionären. Denn dass der Dax von seinem Höchstkurs Mitte April von gut 12.300 Punkten über 1000 Punkte und zeitweise über zehn Prozent eingebüßt hat, haben viele präsent. Dass er aber immer noch zehn Prozent höher als vor einem Jahr notiert, hingegen wenige.