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Versicherung Das Versicherungs-Risiko

Sie glauben Versicherungen können nicht pleitegehen? Da seien Sie sich mal lieber nicht so sicher. Von Leo Müller
Lieber nachfragen vor der Unterschrift unter den Vertrag
Lieber nachfragen vor der Unterschrift unter den Vertrag

Leo Müller ist Journalist und Buchautor. Er hat unter anderem für Capital, die Financial Times Deutschland und den Stern gearbeitet. Im Januar erschienen ist sein Buch „Versichert, verraten, verkauft“, Econ-Verlag.

Fragen Sie doch einmal Ihren Versicherungsvertreter, was passiert, wenn Ihre Versicherung pleitegeht! „Nein, undenkbar!“, werden Sie vermutlich hören. Versicherungen sind in Deutschland viel sicherer als Banken. Sie investieren viel konservativer, das Versicherungswesen ist vom Staat geschützt, das Ersparte ist gesichert. Und überhaupt, die Police bleibt garantiert, was auch immer passiert. So oder ähnlich werden Sie beruhigt und auf das Eigentliche gelenkt: Dynamisch, flexibel, mit Kapitalschutz und Sorglos-Garantie. Und wollen Sie bitte hier unten links unterschreiben?

Ihr Versicherungsvertreter, nennen wir ihn besser Verkäufer, wird sich mit dieser Frage vermutlich noch nie intensiv beschäftigt haben - obwohl es ihn auch selbst treffen könnte. Umso intensiver beschäftigt sich die Deutsche Bundesbank mit dieser Frage. Sie hat die Risiken der Versicherungskonzerne in einem Stress-Szenario unter der Annahme durchgerechnet, dass es noch acht Jahre bei der derzeitigen Niedrigzinsphase an den Weltfinanzmärkten bleibt. Das Ergebnis: Mehr als ein Drittel der Lebensversicherer könnten die gesetzlichen Regeln für ihre Eigenkapitalpuffer im Jahr 2023 nicht mehr erfüllen.

Die Stresstests sind ein Weckruf

Die Notenbank nennt zwar keine Namen, aber es ist klar, dass darunter nicht nur kleine, exotische Versicherer sind. Denn 43 Prozent aller Beitragszahler wären davon betroffen, erklärte die Bundesbank. Und selbst bei einem milderen Stress-Szenario würden 14 Prozent der Versicherer ihre Kapitalanforderungen nicht mehr erfüllen. Zu einem ähnlichen Resultat kam die Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen (EIOPA), die im vergangenen Jahr 167 Assekuranzunternehmen untersucht hat. Die Stresstests sind ein Weckruf: Auch Versicherungen können pleitegehen, das Undenkbare rückt näher.

Das sind die Fragen, mit denen sich Ihr Policen-Verkäufer kaum befassen wird. Die sogenannten Solvabilitätsregeln für die Eigenkapitalpuffer der Versicherer sind nicht seine Sache, sein Job ist der Verkauf. Aber wenn Sie etwas Spannung in das nächste Gespräch mit ihrem Verkäufer bringen wollen, dann legen Sie ihm den Paragraphen 81b des Versicherungsaufsichtsgesetzes (VAG) vom Dezember 2014 vor: „Sind die Eigenmittel eines Versicherungsunternehmens geringer oder drohen sie geringer zu werden als die Solvabilitätsspanne“, so lautet der erste Satz, „so hat das Unternehmen auf Verlangen der Aufsichtsbehörde dieser einen Plan zur Wiederherstellung gesunder Finanzverhältnisse zur Genehmigung vorzulegen.“ Nun gut, das ist wohl selbstverständlich. Der zweite Satz aber dürfte erhellend wirken: „Drohen sich die Finanzverhältnisse weiter zu verschlechtern, so kann die Aufsichtsbehörde (...) unter außergewöhnlichen Bedingungen die freie Verfügung über die Vermögensgegenstände des Unternehmens einschränken oder untersagen.“

Und im Paragraphen 89 können sie studieren, was Ihnen droht, wenn sich die Lage der Versicherung noch verschlimmert: „Alle Arten Zahlungen, besonders Versicherungsleistungen, Gewinnverteilungen und bei Lebensversicherungen der Rückkauf oder die Beleihung des Versicherungsscheins sowie Vorauszahlungen darauf, können zeitweilig verboten werden.“

Was bedeutet das genau? Ganz einfach: Die Kundengelder sind nicht heilig, nichts ist dann garantiert. Sie tun also gut daran, diese Fragen selber zu studieren. Denn es geht um Ihre Altersvorsorge (nicht die der Versicherungsvermittler, die selbst übrigens häufig ziemlich bedauernswürdig auf ihren Lebensabend vorbereitet sind.)

Neues Reformgesetz

Einige Folgen der beängstigenden Niedrigzins-Entwicklung sind jetzt schon spürbar. So greift der Gesetzgeber der Branche mit dem Lebensversicherungsreformgesetz unter die Arme. Es gilt seit August 2014 und wirkt wie eine Notfallhilfe. Die Assekuranz muss seitdem ausscheidenden Kunden deren Anteil an den Buchgewinnen auf ihren Anlagen nicht mehr auszahlen, die in der so genannten Bewertungsreserve angespart wurden.

Was denken Sie, was seitdem passiert? Ja, es sieht ganz danach aus, dass Sie mit Ihrem Geld mithelfen, Ihre Versicherung zu sanieren. Zahlreiche Lebensversicherer haben sofort die Auszahlungen dieser Anteile an der Bewertungsreserve gestoppt, darunter R+V, Aachen Münchner, Generali, Debeka, Cosmos, Ergo, Axa und Bayern-Versicherung. Die betroffenen Kunden müssen damit auf einen wichtigen Teil ihrer Gesamtperformance verzichten, stattdessen werden die Buchgewinne bei den Versicherungsunternehmen als Sicherheitspuffer gebunkert. Das ist ihr stiller Beitrag zur Sanierung der Versicherungsindustrie. „Fair verteilte Bewertungsreserven“ nennt die Bundesregierung das.

Sie nennen das zynisch? Fragen Sie doch einmal Ihren Versicherungsvertreter, wie er Ihnen das verkauft! Danach werden Sie sich wie ein Wohltäter fühlen.

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