Der ÖkonomJames Norrisist bereits seit 1987 bei der US-Fondsgesellschaft Vanguard und leitet das internationale Geschäft des zweitgrößten Vermögensverwalters der Welt. Der kürzlich verstorbene Indexfondspionier Jack Bogle gründete das Unternehmen 1975, heute hat es 14.000 Mitarbeiter und sitzt in Malvern, Pennsylvania.
Capital: Mister Norris, schicken Sie eigentlich ab und an eine Dankeskarte an Ihren Rivalen Blackrock?
JAMES NORRIS: Warum sollte ich das tun?
Weil sich die Öffentlichkeit stets an Blackrock abarbeitet, dem größten Vermögensverwalter der Welt: Schattenbank, Macht, Risiko. Vanguard ist aber auch eine Größe im Geschäft mit Indexfonds und mit 5100 Milliarden Dollar Vermögen nur wenig kleiner. Dafür steht Ihr Unternehmen viel seltener in der Kritik.
Da täuscht Ihr Eindruck, womöglich weil Vanguard in Deutschland erst seit 2017 vertreten ist. In den USA lösen wir aufgrund unserer schieren Größe schon auch diffuse Ängste aus. Was allerdings auch auf einem Missverständnis unseres Geschäftsmodells beruht. Größe ist ja gerade gut für unsere Anleger.
Weil Sie mehr Macht bekommen?
Nein. Je größer wir sind, desto niedriger sind die Gebühren der Anleger. Vanguard ist genossenschaftlich organisiert. Wir haben keine Eignerfamilien oder Aktionäre, die Dividenden sehen wollen, sondern gehören unseren Anlegern. Wenn wir Gewinne machen, weil unser verwaltetes Vermögen steigt, senken wir eben die Gebühren.
Offenbar gibt es im Markt aber doch genug zu verdienen. Weltweit gibt es 350 Anbieter und 5700 ETFs. Wuchert Ihr Markt?
Leider ja. Das Vermögen in ETFs und Indexfonds wächst, aber der Markt ist nicht groß genug für alle Anbieter. Man braucht eine gewisse Größe, um ihn bei Kernprodukten – etwa ETFs auf Indizes wie den Dax oder den MSCI World – wettbewerbsfähig betreiben zu können. Kann man das nicht, ist der Anreiz da, auf neu erfundene und immer esoterischere Produkte und Indizes auszuweichen, mit oft zweifelhaften Kosten und Nutzen. Die Verwirrung der Anleger wächst. Auch die Produktversprechen sind teils fragwürdig.
Inwiefern?
Viele schaffen eine Liquiditätsillusion. Das Versprechen, dass an sich illiquide Werte – Anleihen, Verbriefungen, was auch immer – mit ETFs liquide und handelbar werden, birgt Gefahren. Vermögenswerte, die früher kaum gehandelt wurden, werden nun in der ETF-Verpackung selbst innerhalb eines Tages munter ge- und verkauft. In der nächsten Krise könnten Anleger dann von den Schwankungen überrascht werden.
Also verzerrt der ETF- und Indexfondsboom die Märkte?
Nein, so pauschal stimmt das nicht. Ich rede hier von Nischen, in denen Anleger die Risiken ihrer Investition womöglich unterschätzen. Aber die These der Verzerrung lässt sich leicht entkräften. Nehmen wir den populärsten Bereich, Aktien-Indexfonds: Die Verteilung der Rendite von Einzelaktien – also, welche laufen wie gut oder wie schlecht – ist heute dieselbe wie vor dem Aufkommen von Indexfonds. Auch die Prozentzahl der aktiven Manager, die besser als ihr Index abschneiden, ist heute dieselbe wie vor dem Aufkommen von Indexfonds. Unsere typischen Kunden – wir haben 20 Millionen – sind auch nicht die Kunden, die panisch weglaufen, wenn irgendetwas passiert.
Der ETF-Boom in Deutschland begann bereits vor zwei Jahrzehnten. Warum haben Sie mit einem Markteintritt bis 2017 gezögert?
Wir konzentrieren uns auf Privatanleger. Die werden in Deutschland aber hauptsächlich von Banken und Beratern bedient, die dafür sogenannte Kickback-Zahlungen von den Fondsgesellschaften erhalten. Wir bezahlen aber niemanden dafür, unsere Produkte zu vermitteln oder in den Vertrieb aufzunehmen. Folglich sind wir von den typischen Vertriebswegen ausgeschlossen. Die Wahrscheinlichkeit, dass Sie unsere Produkte in einer klassischen Beratung erhalten, in der sich die Berater über Provisionen finanzieren, ist nahe null. Sie müssen unsere Produkte schon selbst finden.
Ihr Dax-ETF verwaltet nur 7 Mio. Euro. Kommt da noch was?
Der erste Indexfonds auf den S&P-500-Index unseres Firmengründers Jack Bogle dümpelte ein Jahrzehnt lang bei ein paar Millionen US-Dollar Vermögen. Das war ihm aber völlig gleich, weil er wusste, dass sich das Konzept durchsetzen wird. So wird es auch in Deutschland sein. Das sehen wir entspannt.
Wo wollen Sie hin beim verwalteten Vermögen in Deutschland?
Wachstum ist niemals ein Ziel, sondern lediglich eine Messgröße für unseren Erfolg. Es klingt wie ein PR-Manöver, aber wir haben tatsächlich keine Ziele in Deutschland. Wir wollen einen Fuß im Markt haben. Auch weil wir glauben, dass die provisionsbasierte Beratung ein Auslaufmodell ist. Die Zukunft liegt darin, dass Produkt- und Beratungskosten getrennt werden. Sobald das der Fall ist, herrscht ein fairer Wettbewerb der Produktanbieter. Über alle Produkte hinweg erheben wir im Schnitt 0,11 Prozent Gebühren.
Kann man bei null Prozent Gebühren für Indexfonds, wie sie der erste Anbieter in den USA verlangt, überhaupt noch etwas verdienen?
Kann man nicht. Die Kunden sind klug genug zu fragen: Wenn etwas nichts kostet – womit verdienen Sie dann Geld? Ganz offensichtlich kostet es ja etwas, einen Indexfonds zu verwalten. Die Sicht der Anbieter ist, dass dann eben in anderen Teilen der Wertschöpfungskette Geld verdient werden muss, etwa in der Beratung. Aber wissen Sie was? Wenn die Gebühren bei Wettbewerbern sinken, dann rufen wir: Hurra! Und klatschen Beifall. Das Geld von Wertpapieranlagen gehört in die Taschen der Anleger, nicht der Anbieter. Meinen Sie, Wettbewerber klatschen, wenn wir die Gebühren senken? Natürlich nicht.
In der ETF-Branche verzeichnen die großen drei Anbieter Vanguard, State Street und Blackrock rund drei Viertel aller Zuflüsse. Wird dieses Oligopol ein Problem?
Warum sollte es? Weltweit sind erst rund 15 Prozent des verwalteten Vermögens in passiven Anlageformen investiert, und das nach mehr als vier Jahrzehnten Wachstum.
Wenn 15 Prozent aller Stimmrechte bei passiven Anbietern liegen, haben wir bald ein massives Governance-Problem bei Hauptversammlungen.
Nein, weil wir dieses Thema sehr ernst nehmen. Ja, wir haben große Anteile an vielen Firmen. Aber wir haben auch nicht einfach die Möglichkeit zu sagen: Wir verkaufen, wenn uns etwas in einem Unternehmen nicht passt. Dafür haben die Anleger nicht unsere Produkte gekauft. Wir fühlen uns verantwortlich, unserer Aufgabe als Treuhänder für die Aktien nachzukommen.
Und zwar wie?
Nehmen wir den Klimawandel und als Beispiel einen großen Öl- und Gaskonzern. Wir gehen nicht hin und sagen: Lieber Vorstand, Sie sollten Ihre Öl- und Gasförderung einstellen und auf grüne Energien setzen. Das ist nicht unser Job. Es ist aber unser Job zu schauen, dass der Vorstand von dem Öl- und Gaskonzern versteht, welche Risiken er eingeht, wenn er weiter auf fossile Energieträger setzt. Dass er diese Risiken im Griff hat. Dass alle die Unternehmen, die wir in unserem Portfolio halten, verstehen, welche Risiken der Klimawandel birgt und welchen Einfluss er auf ihr Geschäft hat.
Wie viele Leute kümmern sich bei Ihnen darum?
Das Stewardshipteam umfasst 35 Mitarbeiter und wächst.
Bei über 5000 Milliarden US-Dollar Vermögen und rund 110.000 Aktiengesellschaften weltweit klingt das nicht nach Governance-Offensive. Wo sind Ihre Druckmittel?
Ganz klar in der Wahl von Vorständen und Aufsichtsräten. Wir fragen laufend: Haben wir die richtigen Leute für ihre Aufgaben? So stimmen wir auch ab, melden Interessen im Vorfeld an. Die Leute wollen gerne gewählt werden oder im Amt bleiben. Das ist ein sehr mächtiges Kontrollinstrument.