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Kolumne Nur Verlierer bei der geplatzten Börsenfusion

Warum die gescheiterte Börsenfusion kein Grund zum Jubel ist. Von Christian Kirchner
Christian Kirchner
Christian Kirchner
© Gene Glover

Seit Sonntag kann nur noch ein Wunder die Fusion zwischen der Deutschen Börse und der London Stock Exchange retten. Nicht erst die hessische Börsenaufsicht, sondern bereits die Europäische Kommission setzte der Fusion Hürden, die für die Londoner Börse unannehmbar waren.

Ist das nur ein vorgeschobenes Rückzugsmotiv der Briten? Letztlich spielen die Ursachen ohnehin kaum eine Rolle, sondern eher die Wirkung. Das wahrscheinliche Scheitern hat nicht nur für den Finanzplatz Frankfurt, sondern auch die handelnden Akteure weitreichende Auswirkungen. Vermutlich keine guten.

Denn in ihrer Außendarstellung fuhr die Deutsche Börse in Sachen Fusion stets eine Doppelstrategie. Öffentlich ließ sie keinen Zweifel daran, dass die Fusion über die Bühne gehen werde. Beinahe autosuggestiv wirkte der Zweckoptimismus der Beteiligten. Die These von Börsenchef Carsten Kengeter, 99,99 Prozent der Fusionspläne träfen auf breite Zustimmung, nur über die strittigen 0,01 Prozent würde laufend geredet – hat das Zeug dazu, zum geflügelten Wort zu werden.

Versinkt die Börse in der Bedeutungslosigkeit?

Hinter verschlossenen Türen und in Gesprächen mit Großinvestoren sah das freilich anders aus. Dort malte die Börse - wenngleich nicht zum ersten Mal - ein Schreckensszenario an die Wand: Gelingt die Fusion nicht, droht die Börse international in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden. Denn Börse sei nun mal ein Skalengeschäft, je größer, desto liquider und günstiger der Handel und die Abwicklung. Überhaupt würden große US-Rivalen wie die Intercontinental Exchange (ICE) und die Chicago Mercantile Exchange (CME) nur darauf warten, dass die Fusion scheitere, um sich dann an den Resten zu bedienen. Ein taktisch gewähltes Horrorszenario? Die hohen Zustimmungsquoten unter Investoren zu der geplanten Fusion zeigen jedenfalls, dass diese Version verfing.

Zwar sind unter Börsen feindliche Übernahmen kaum möglich. Seit die Deutsche Börse aber vor gut einem Jahr die Fusionspläne der Öffentlichkeit vorstellte, haben sich die Kräfteverhältnisse nochmals verschoben – zugunsten der US-Rivalen, zu Lasten der Deutschen Börse und der LSE. Der Börsenwert der Deutschen Börse liegt kaum verändert zum Vorjahr bei knapp 17 Mrd. US-Dollar, der der London Stock Exchange bei knapp 14 Mrd. US-Dollar.

Die Börsenwerte der US-Rivalen ICE und CME haben jedoch kräftig um 25 beziehungsweise 45 Prozent zugelegt: Sie betragen nunmehr 35 Mrd. US-Dollar für die ICE und 42 Mrd. US-Dollar für die CME. Kurz, die europäischen Börsenbetreiber sind längst keine ebenbürtigen Fusionspartner mehr, sondern die Krümel und ihre chinesischen und US-amerikanischen Rivalen der Kuchen.

Verdacht auf Insidervergehen

Kengeters Auftreten selbst gibt dabei die größten Rätsel auf. Er ist von Haus aus Investmentbanker. Denen trichtert man schon im ersten Sommerpraktikum während des Studiums ein, wie man seinen Job zu machen habe, nämlich nach dem „Underpromise and Overdeliver“-Prinzip. Wenig versprechen, Erwartungen übererfüllen. Niemals umgekehrt.

Genau so ist er nun allerdings bislang in Sachen der Fusion mit der LSE vorgegangen: das Gelingen der Fusion zu versprechen, ja nicht einmal daran zu zweifeln - und wahrscheinlich zu scheitern. Hinzu kommt der fragwürdige Erwerb von Aktien im Zuge eines auf ihn zugeschnittenen Aktienbezugsprogramms, von dem er kurz vor Veröffentlichung der Fusionspläne, aber - laut einem nicht dementierten Bericht des „Spiegel“ nach Aufnahme der internen Planung - Gebrauch machte.

Dass ihm die Dinge bei der Fusion entglitten, dafür gab es freilich schon vorher Anzeichen, etwa beim Neujahrsempfang der Deutschen Börse, wo sich kein prominenter Vertreter des britischen Fusionspartners blicken ließ. Da war von einem möglichen Insidervergehen und den weniger Tage später erfolgten Durchsuchungen noch keine Rede.

Die rechtliche Prüfung dieses Vorgangs steht noch aus, es gilt die Unschuldsvermutung. Mindestens vorwerfen lassen muss sich nicht nur Kengeter, sondern auch Aufsichtsratschef Joachim Faber mangelndes Feingefühl. Damit reiht sich auch Fabers Handeln in die Reihe fragwürdiger Entscheidungen der Aufsichtsratschefs deutscher Finanzinstitute in den vergangenen fünf Jahren ein.

Hat Kengeter keinen Plan B?

Hat Kengeter nicht noch einen Trumpf im Ärmel, wird er aus den geplatzten Fusionsverhandlungen als Verlierer hervorgehen. Ein Handelsskandal verhinderte bei der Schweizer Großbank UBS einst seinen Aufstieg zu deren Vorstandschef. Kaum jemand am Finanzplatz Frankfurt glaubt allerdings auch, dass Kengeter, der gerade einmal 49 ist, die Führung einer Börse als sein Lebensziel sieht. Umso erstaunlicher, wie eng er seine Strategie seit Amtsübernahme bislang an die Fusion mit der Börse London kettete. Hat das Duo Faber/Kengeter tatsächlich keinen Plan B in der Tasche? Auch das wäre ein Bruch mit eisernen Regeln der Investmentbankings und der Unternehmensführung.

Doch auch für den Finanzplatz ist das Scheitern kein Grund, in Jubel auszubrechen. Das lehrt der Blick auf die jüngere Vergangenheit: gleicht zwei Anläufe einer Fusion zwischen Deutscher Börse und NYSE Euronext scheiterten 2008 und 2011. Letztlich griff dann 2013 die ICE zu und erwarb die NYSE Euronext - kurz darauf waren 40 Prozent der Mitarbeiter ihren Job los.

Man muss zwar nicht den Horrorvisionen der Deutschen Börse glauben, dass mögliche US-Käufer im Moment des Scheiterns einer Fusion ihre Flugtickets nach London und Frankfurt buchen. Es gehört quasi schon zum Grundwortschatz der Börsenbetreiber, seit Anfang der Nuller Jahre das Fusionstempo an Fahrt gewann. Ebenso unwahrscheinlich ist aber auch, dass die Deutsche Börse auf sich alleine gestellt in den kommenden Jahren nachhaltig Wert für Angestellte und Mitarbeiter wird schaffen können.

Christian Kirchner ist Frankfurt-Korrespondent von Capital. Er schreibt an dieser Stelle regelmäßig über Geldanlagethemen. Hier können Sie ihm auf Twitter folgen

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