Der Niedergang der ältesten Bank der Welt, Italiens Banca Monte dei Paschi, hat viele Ursachen. Aber ihre Wurzeln hat die Krise in einem Mittagessen in einem schicken Genfer Hotel vor neun Jahren. Damals trafen sich im Four Seasons Hotel des Bergues drei europäische Spitzenbanker und schmiedeten einen Plan, um die niederländische Bank ABN Amro zu kaufen und zu zerlegen. Daraus wurde die größte Bankenübernahme in der Geschichte im Wert von 71 Mrd. Euro.
Der Deal dürfte als eine der schädlichsten Geschäftstransaktionen überhaupt in die Geschichte eingehen. Er führte dazu, dass der Staat die damals größte Bank der Welt, die Royal Bank of Scotland (RBS), retten musste, ebenso wie die größte belgische Bank Fortis und die holländische Bank SNS Reaal. Und nun bedroht sein Erbe auch noch die älteste Bank der Welt.
Wieder boomt heute das M&A-Geschäft mit Übernahmen und Fusionen. Aber haben die Investoren ihre Lektionen aus der Causa ABN gelernt? Die kurze Antwort lautet vermutlich: ja. Es wurden ausreichend Lehren gezogen, um eine ähnliche katastrophale Übernahme in nächster Zeit zu verhindern. Die längere Antwort aber ist ein dröhnendes „Nein“. Denn Investoren scheinen vollkommen unfähig, exzessive Risiken zu vermeiden, wenn die Zeiten verlockend gut sind. So wie sie es derzeit sind.
Monte dei Paschi bezahlte Transaktion viel zu teuer
Das mit einem Michelin-Stern ausgezeichnete Restaurant in Genf war für die Chefs von RBS, Fortis und Santander ein angenehmer Ausgangspunkt, um den Kauf von ABN zu starten, aus dem eine wilde Übernahmeschlacht wurde. Die niederländische Bank war schwach und galt seit Jahren als offensichtlicher Übernahmekandidat. Ihr Geschäft erstreckte sich über die Sparten Privatkunden und Investmentbanking, und sie verfügte über ein komplexes Netz kleinerer Ableger in den Niederlanden, den USA, Großbritannien, Italien und Brasilien. Jeder der beteiligten Banker sah für sich attraktive Möglichkeiten, doch zunächst musste ABN aus einem bereits vereinbarten Deal mit Barclays herzausgezwungen werden.
Nachdem das gelungen war, ließ die schlaue Santander Bank ihr erklärtes Ziel fallen, in Italien zu expandieren, und verschob die ABN-Tochter Banca Antonveneta für 9 Mrd. Euro zur Monte dei Paschi – noch bevor der Deal überhaupt abgewickelt war. Auch Santander sollte die Krise später hart treffen, aber dank dieses ausgesprochen lukrativen italienischen Manövers war das spanische Institut der einzige Beteiligte, der bei dem ABN-Deal nicht lebensgefährlich verletzt wurde. Monte dei Paschi aber, die die Transaktion viel zu teuer bezahlt hatte, litt seitdem an einer zu geringen Kapitaldecke. Das machte es für sie noch schwieriger, die jahrelange Rezession in Italien zu überstehen.
Die wichtigste Lektion von damals ist, dass die guten Zeiten nicht für immer anhalten. RBS, Fortis und Monte dei Paschi verschuldeten sich hoch, um jeweils Teilen von ABN zu bekommen. Als dann der Einbruch kam, waren sie noch verletzlicher als der Rest des überdehnten Bankensystems.
Bankenübernahmen sind aus der Mode gekommen
Heute, rund acht Jahre seit Beginn einer der längsten Aufschwungsphasen der US-Wirtschaft, sind die Unternehmen wieder dabei, Schulden aufzutürmen und Übernahmen anzugehen. Aber die Wette läuft anders als in den Jahren 2000 oder 2007. Während der Dotcom-Blase waren Aktien weit überbewertet, deswegen wurden Übernahmen durch die Ausgabe neuer Aktien finanziert. Während der Kreditblase dann war die Nachfrage nach Krediten unendlich, also wurden Deals vor allem schuldenfinanziert.
Heute scheinen sowohl Anleihen als auch Aktien nach vielerlei Maßstäben teuer – und das Volumen der durch eine Mischung von Schulden und Aktien finanzierten Deals ist dem Institut Dealogic data zufolge in Dollar gerechnet so hoch wie nie zuvor. Allerdings waren Anleihen bislang noch teurer als Aktien, deswegen haben sich US-Firmen (anders als Banken) verschuldet, um Aktien zurückzukaufen. Wenn die Wirtschaft in einen Abschwung gerät, werden diejenigen, die sich am stärksten verschuldet habe, in die Schusslinie geraten.
Doch es gibt an dieser Stelle auch gute Nachrichten. Anders als 2007 sind Bankenübernahmen aus der Mode gekommen. In den USA hat ihre Zahl ein wenig angezogen, insgesamt jedoch wird es in diesem Jahr weltweit wohl weniger Offerten geben als in all den Jahren vor 1999. Das Gesamtvolumen dürfte mit geschätzt 117 Mrd. Dollar auf dem niedrigsten Niveau seit 2003 liegen.
Es kann schon sein, dass sich Konzerne davon mitreißen lassen, was sich ihnen an Möglichkeiten für Deals und Aktienrückkäufe eröffnet. Und einige werden dafür mit Sicherheit bezahlen, wenn die Wirtschaft schwächelt. Aber anders als Banken können die Unternehmen außerhalb des Finanzsektors kollabieren, ohne dass das die gesamte Volkswirtschaft bedroht.
Egoismus und Gier treibt Konzernchefs an
Die Aktionäre haben der Schuldenaufnahme der US-Unternehmen Beifall gezollt – weil sie vor allem dazu diente, ihnen Geld zurückzugeben. Nur wenige der Anteilseigner fürchten, dass der Abschwung bevorsteht und deswegen kümmert sie nicht, was es für die Gewinne der verschuldeten Unternehmen heißt, wenn die nächste Rezession kommt.
Im August 2007 war – nachdem die Subprime-Krise schon seit mehreren Monaten andauerte – schon offensichtlich, dass ein Abschwung drohte. Trotzdem stimmten die RBS-Aktionäre der Offerte mit großer Mehrheit zu. Und das nur einen Tag, nachdem drei französischen Geldmarktfonds eingefroren wurden, sich die Kreditklemme also auszuweiten begann.
Zu viele Unternehmenschefs sind getrieben von Egoismus und Gier. Aber oft sind sie Experten darin, herauszufinden, was Aktionäre wollen. 2007 waren es die immer größeren Deals, die darauf basierten, dass die guten Zeiten für immer weitergehen würden. In den vergangenen Jahren stand den Aktionären der Sinn nach anderem: eine höheren Fremdkapitalquote, um Aktien zurückkaufen zu können. Aufgebaut auf dem Fundament billigen Geldes der Zentralbanker, die die Wirtschaft auf Kurs und die Anleiherenditen niedrig halten würden.
Investoren gehen zunehmend ins Risiko
Nun aber riechen die Märkte höheres Wachstum und Inflation. Und es wird schmerzlich für diejenigen, die auf Schwäche eingestellt sind. Die Anleihengläubiger hat hart getroffen, dass die Rendite zehnjähriger US-Staatsanleihen von ihrem Rekordtief im Sommer von 1,36 Prozent auf inzwischen über 2,5 Prozent Anfang Dezember geklettert ist. Die Vorsichtigen, die Anleihe-ähnliche Aktien gekauft hatten, haben mitgelitten.
Es mag sein, dass wir von den wilden Exzessen der Jahr 2000 oder 2007 noch weit entfernt sind. Aber seit Juli findet eine Verschiebung von defensiven Werten hin zu zyklischen Aktien statt, die sich entsprechend zur Wirtschaftslage entwickeln. Diese Bewegung verläuft schneller als je seit der Erholung von der Finanzkrise 2009. Die Gefahr wächst, dass Aktionäre und Fondsmanager, an bisher abseits standen, sich zunehmend gezwungen fühlen, auch in risikoreichere Aktien zu gehen. Und je größer die Nachfrage der Aktionäre nach riskanteren Aktien ist, desto größer der Druck auf die Manager, die eigenen Unternehmen riskanter erscheinen zu lassen. Desto größer aber auch die Gefahr, dass dumme Deals geschlossen und die Verschuldung voreilig raufgeschraubt wird.
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