Analysten reden sich seit Jahren den Mund fusselig: Man solle Schwellenländer nicht über einen Kamm scheren. Trotzdem tut das Gros der Investoren noch immer genau das. Knickt die Weltwirtschaft ein, leiden üblicherweise alle Schwellenmärkte zugleich. Auf den ersten Blick scheint die Sippenhaft für Emerging Markets gerechtfertigt. Anfang dieses Jahres etwa gerieten die Währungen vieler Schwellenländer zugleich unter den Druck der US-Notenbank.
Auf den zweiten Blick verwechseln Anleger aber häufig kurzfristige Turbulenzen mit langfristigen fundamentalen Ausblicken. Darauf wies kürzlich Michael Hasenstab hin, Star-Fondsmanager der Investmentgesellschaft Franklin Templeton. Kurz nach dem Ausbruch der Ukraine-Krise etwa kaufte er für umgerechnet 5,6 Mrd. Euro ukrainische Staatsanleihen. Seine Begründung: Die politischen Risiken seien nicht von Dauer. Auf lange Sicht dürfte die Wirtschaft des Landes dank mutiger Reformen prosperieren.
Schwellenländer-Anleihen sind attraktiv bewertet
Die meisten Privatanleger wollen kaum so hohe Risiken eingehen wie Hasenstab, der dafür bekannt ist, rigoros gegen den Markt zu wetten. Auf der anderen Seite müssen auch Investment-Amateure nicht immer mit dem Strom schwimmen, sondern können sich gegen die Mehrheitsmeinung positionieren. Vor allem für Rentenanleger, die trotz Null-Zinsen in den Industriestaaten noch auskömmliche Renditen erzielen wollen, kann es sich lohnen, etwas mehr zu wagen. In Schwellenländern scheint die Lage vielversprechend: Sie haben sich von den Turbulenzen Anfang des Jahres noch nicht wieder erholt, die Aussichten hellen sich aber allmählich auf.
Anleihen aus Schwellenländern seien derzeit relativ attraktiv bewertet, urteilt Robert M. Hall, Rentenspezialist beim Fondsanbieter MFS. Er ist überzeugt: Selbst ein Renditeanstieg bei US-Anleihen dürfte Festverzinslichen aus Emerging Markets im laufenden Jahr nicht empfindlich schaden. Anleger sollten die Papiere allerdings nicht als einheitliche Anlageklasse betrachten. „Sie sollten sich auf einzelne Länder mit guten Fundamentaldaten und attraktiven Bewertungen konzentrieren“, sagt Hall – idealerweise auf solche, die von anderen Anlegern unterschätzt werden.
Brasilien bietet Chancen
Brasilien etwa ist aktuell ein Kandidat für ein riskantes, aber möglicherweise lohnendes Renteninvestment. Das Land hat viele Probleme, bietet aber auch Anlass zur Hoffnung, dass diese mittelfristig gelöst werden. Im April hat die brasilianische Zentralbank den Leitzins um 0,25 Prozentpunkte auf elf Prozent erhöht. Die Zinserhöhung kam Anlegern ungelegen, die bereits brasilianische Staatsanleihen im Portfolio hatten. Neueinsteiger können sich aber freuen. „Durch die außergewöhnlich hohe Verzinsung dürften brasilianische Anleihen in diesem Jahr attraktiv bleiben“, sagt Vivienne Taberer, Fondsmanagerin bei Investec Asset Management. Die Zinskurve in Brasilien sei steil, eine weitere Zinserhöhung am kurzen Ende bereits eingepreist. Größtes Risiko für Investoren sind soziale Unruhen im Rahmen der Fußball-Weltmeisterschaft, die diese Woche beginnt.
Auch Indien ist für Rentenanleger ein interessanter Markt. Der Wahlsieg von Hindu-Nationalist Narendra Modi macht Hoffnung auf Reformen. Zwar ist noch nicht klar, welche Projekte Indiens neue Regierung angehen wird und inwieweit Modi seine Wahlkampfversprechen umsetzt. Investmentgesellschaften geben sich aber optimistisch. Sie rechnen damit, dass Investoren in der kommenden Zeit wieder verstärkt in indische Staatsanleihen einsteigen werden. „Käme das Interesse zurück, könnte es einige interessante Wendungen am Markt geben“, sagt Rajeev de Mello, Fondsmanager bei Schroders. Hohe Kapitalzuflüsse dürften die Kurse der Papiere in die Höhe treiben. Aktuell bieten indische Staatsanleihen mit einer Laufzeit von zehn Jahren rund neun Prozent Rendite pro Jahr. Das ist im Vergleich zu Papieren aus anderen asiatischen Ländern sehr viel.