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Bernd Ziesemer Xi Jinping verliert das Vertrauen Europas

Capital-Kolumnist Bernd Ziesemer
Capital-Kolumnist Bernd Ziesemer
© Martin Kress
Das Misstrauen unter den europäischen Investoren in China wächst rapide. Das Regime von Staatspräsident Xi Jinping aber versucht die Wirklichkeit zu verdrängen

Xi Jinping sitzt einem gewaltigen Irrtum auf, wie man in der vergangenen Woche bei drei Anlässen exemplarisch sehen konnte. Bei seinem Besuch in Frankreich warb der chinesische Diktator für mehr wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der EU, bei seiner anschließenden Visite in Ungarn für Sonderbeziehungen mit der berüchtigten „Vetomacht“ in der Union – und bei seinem pompösen Empfang für den russischen Kriegsverbrecher Wladimir Putin für den engen Schulterschluss des „neuen Ostblocks“ gegen den Westen. Xi will alles gleichzeitig. Am Ende geht diese Rechnung aber nicht auf. China muss sich entscheiden, ob es auf mehr Kooperation mit dem vereinten Europa setzt oder auf mehr Konfrontation. Beides gleichzeitig kann Xi nicht haben.

Das Misstrauen gegen die wachsende Arroganz der Macht in Peking wächst. Und die Beziehungen zwischen Europa und China erodieren dort, wo sie bisher am stabilsten waren: an der wirtschaftlichen Basis. Die letzte Mitgliederumfrage der Europäischen Handelskammer in China spricht eine eindeutige Sprache: Nur noch zwölf Prozent der befragten Unternehmen sehen die Volksrepublik als Topadresse für ihre künftigen Investitionen. Die Mehrheit der europäischen Firmen setzt dort nicht mehr auf Expansion, ein Drittel reinvestiert die anfallenden Gewinne nicht mehr so stark in das Geschäft vor Ort wie in der Vergangenheit. Ein Viertel lenkt geplante Investitionsmittel in andere Regionen um – vor allem in die südostasiatischen Länder und nach Europa.

Neben der Nachfrageschwäche und den Überkapazitäten der heimischen Industrie geben die europäischen Unternehmen vor allem die erratische und intransparente Politik der chinesischen Regierung als entscheidenden Faktor für ihre wachsende Zurückhaltung an. 55 Prozent sprechen von einer zunehmenden „Politisierung“ der Wirtschaftsbeziehungen, die ihnen Sorgen bereitet. Die Versuche des Regimes, die europäischen Unternehmen durch eine Lockerung der Visaregeln oder einzelne Schritte der Marktöffnung bei der Stange zu halten, kommen offenbar zu spät und verändern zu wenig.

Europa geht auf Distanz zu China

Die Hoffnung Xi Jinpings, die Europäer gegen die Amerikaner auszuspielen und so dem wachsenden Druck der USA auszuweichen, erfüllen sich nicht. Zwar zieht die EU nicht bei allen Sanktionen und Handelsbeschränkungen aus Washington sofort mit – aber in der Tendenz geht auch die Union auf mehr Distanz. Selbst in Deutschland, wo Bundeskanzler Olaf Scholz noch am stärksten Widerstand gegen eine kritischere China-Politik leistet, schlägt der Wind gegen Xi um. Jüngstes Beispiel: das Veto der Bundesregierung gegen die Übernahme der Turbinensparte von MAN.

Die immer stärkere Unterstützung Putins widerspricht den europäischen Interessen fundamental. Das Märchen vom neutralen Vermittler China, der sich im Krieg gegen die Ukraine auf keine Seite schlägt, glaubt im Ernst kaum noch irgendjemand in der EU. Die Europäer müssen sich verhöhnt fühlen, wenn Xi sein Kriegsbündnis mit den Russen als „globalen Stabilitätsanker“ in einer chaotischen Welt verkauft. Ohne den Schulterschluss mit Putin wäre der Krieg für Russland bereits verloren. An dieser Einsicht kommt man nur vorbei, wenn man die Wirklichkeit verdrängt wie Xi Jinpings „alter Freund“ Victor Orban in Budapest. 

Bernd Ziesemer ist Capital-Kolumnist. Der Wirtschaftsjournalist war von 2002 bis 2010 Chefredakteur des Handelsblattes. Anschließend war er bis 2014 Geschäftsführer der Corporate-Publishing-Sparte des Verlags Hoffmann und Campe. Ziesemers Kolumne erscheint regelmäßig auf Capital.de. Hier können Sie ihm auf X folgen.

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