Sprache ist die Wirklichkeit des Denkens, so schrieb der österreichische Philosoph Ludwig Wittgenstein. Deshalb sollte eine Analyse der jüngsten Plenartagung der chinesischen Parteispitze mit einem Blick auf die Begriffe beginnen, mit denen sie in der Abschlusserklärung vom vergangenen Donnerstag hantiert. Xi Jinping und seine willigen Adlaten bemühen 5000 Wörter, um inhaltlich nichts zu sagen. Das Dokument des seit vielen Monaten vorbereiteten und mit hohen Erwartungen befrachteten „Dritten Plenums“, das sich alle fünf Jahre mit der weiteren Wirtschaftsstrategie der KP Chinas beschäftigt, bringt eine einzige Aneinanderreihung von Leerformeln. Ein Beispiel von vielen aus dem Dokument: Eine „hochwertige Entwicklung“ sei die „wichtigste Aufgabe beim Aufbau eines modernen sozialistischen Landes“.
Welches Denken offenbart diese Sprache? Es ist das Denken einer offenbar zutiefst verunsicherten Herrschaftsclique, der zum weiteren Weg Chinas nichts mehr einfällt als die Beschwörung der immer gleichen alten Formeln. Allein 16 Mal erwähnt die Parteispitze das Wort „Sicherheit“, wenn ausländische Xi-Astrologen richtig gezählt haben. Keine einzige konkrete Reform benennen die Parteiführer, um die immer deutlichere Wachstumsschwäche der chinesischen Wirtschaft zu überwinden. Den Status Quo bezeichnen sie als „soziale Stabilität“. In chinesischen Chat-Foren geht dagegen ein anderes Wort um: „Mülljahre der Geschichte“. China sei, so fürchten junge Intellektuelle, nach einer Epoche der Öffnung und der Reformen in eine Ära des Niedergangs eingetreten.
Xi Jinping tritt außenpolitisch immer radikaler und selbstgewisser auf. Die Drohungen gegen Taiwan werden immer deutlicher. Der Alleinherrscher bereitet das Land rhetorisch auf den Krieg vor. Nach innen aber wirkt die Führungsriege immer kraftloser, von Korruption zerfressen und unfähig zur Durchsetzung ihrer eigenen Beschlüsse in den Provinzen. Statt die vielen Probleme des Landes pragmatisch anzugehen, wie es viele seiner Vorgänger vorgemacht haben, setzt Xi Jinping allein auf die Wunderwaffe Ideologie. Mit Marx, Engels, Lenin, Stalin, Mao und vor allem den „Xi-Jinping-Ideen“ gegen Stagnation in der Wirtschaft und für technologische Autarkie – das kann nicht funktionieren. Und immer mehr Chinesen glauben auch nicht mehr daran, dass es funktioniert.
Weiter in die Sackgasse
Die Idee, alle fünf Jahre ein „Drittes Plenum“ zu Wirtschaftsfragen abzuhalten, geht auf den großen Reformer Deng Xiaoping zurück. 1978 hatte der damalige starke Mann Chinas den endgültigen Abschied vom maoistischen Modell der Wirtschaftsentwicklung durchgesetzt. Reformen, Marktwirtschaft, Öffnung nach außen, Wettbewerb, Privateigentum – das waren die Stichworte der damaligen Wende.
Deng Xiaoping war ein in der Wolle gefärbter Kommunist, dem das Machtmonopol der KP Chinas über alles ging und der es notfalls mit Terror verteidigte, wie die Ereignisse auf dem Tiananmen-Platz 1989 zeigten. Aber der Pragmatiker hielt sein Regime für stabil genug, um große Teile der Wirtschaft dem Kommando der Partei zu entziehen. Das war der Schlüssel zum Aufstieg Chinas über viele Jahrzehnte. Xi Jinping setzt nun auf das genaue Gegenteil: mehr Ideologie und mehr Kommandowirtschaft. Das „Dritte Plenum“ hat das Land weiter hinein in diese Sackgasse bugsiert.