Seit dieser Woche muss sich Google in einem US-Kartellverfahren vor Gericht verantworten. Experten sehen darin den „Prozess des Jahrzehnts“ der über die „Zukunft des Internets entscheidet“. Was macht diesen Prozess so historisch?
JUSTUS HAUCAP: Mit Microsoft stand in den USA zuletzt vor 20 Jahren ein Techkonzern vor Gericht. Insofern ist es keine Übertreibung, das Verfahren gegen Google als ‚Prozess des Jahrzehnts‘ zu bezeichnen. Und über die ‚Zukunft des Internets‘ wird in diesem Verfahren insofern entschieden, als es darin eben nicht nur um Google geht. Sollte der Techkonzern vor Gericht verlieren, müssten sicherlich auch Internetgiganten wie Apple, Amazon oder Facebook ihre Verhaltensweisen ändern.
Hintergrund des Verfahrens: Google zahlt jährlich Milliarden an Geräte-Hersteller wie Apple oder an Mobilfunker wie AT&T, damit diese ihren Kunden Google als Standard-Suchmaschine anbieten. Missbraucht der Techkonzern aus ihrer Sicht damit seine Marktmacht?
Man kann davon ausgehen, dass dieses Prozedere zumindest die Stellung von Google im Markt zementiert. Der Techkonzern macht sich damit sehr schwer angreifbar für andere Anbieter von Suchmaschinen, wie etwa Bing von Microsoft. Nutzer sind faul. Wenn bestimmte Anwendungen voreingestellt sind, neigt die Mehrheit dazu, diese auch zu benutzen. Sie machen sich nicht unbedingt die Mühe und wählen eine andere Suchmaschine aus. Und genau das wirft das US-Justizministerium Google vor: Der Techkonzern macht sich den sogenannten Lock-in-Effekt zu nutzen. Sicher, Microsoft ist jetzt keine kleine Klitsche. Dem Unternehmen steht es frei, ähnliche Verträge abzuschließen. Aber der Marktanteil von Bing ist natürlich ungleich kleiner. Für Microsoft ist das sicherlich schwerer refinanzierbar. Die Zahlen und Fakten werden vor Gericht intensiv diskutiert. Dass Google unbeschadet aus dem Verfahren kommt, halte ich für ziemlich unwahrscheinlich.
Google beharrt darauf, das Prozedere sei „legitimer Wettbewerb“ und kein „unerlaubter Ausschluss von Konkurrenten“. Ist die Argumentation schlüssig?
Nein, so ganz schlüssig ist das nicht. Ich denke, für Google wird es schwer, das Gericht davon zu überzeugen, dass das Vorgehen keine monopolisierende Wirkung hat. Im Wettbewerbsrecht gilt: Ein kleines Unternehmen mit kleinem Marktanteil hat viel Freiraum. Google ist aber kein kleines Unternehmen mit kleinem Marktanteil. Ganz im Gegenteil.
Die Kläger sind nicht auf eine Geldstrafe aus, sondern wollen Googles Geschäftspraxis unterbinden. Sie schlagen daher unter anderem eine Zerschlagung des Konzerns vor. Wie wahrscheinlich ist das?
Die Zerschlagung von Google hängt wie ein Damoklesschwert über dem Techkonzern. Eine Entflechtung ist immer die letzte Option. Ich vermute, es kommt eher zu einer außergerichtlichen Einigung – wie damals im Microsoft-Prozess. Die Wettbewerbshüter und das Unternehmen könnten sich etwa darauf einigen, bestimmte Praktiken einzustellen, wie etwa die Zahlungen an Gerätehersteller und Mobilfunker. Lediglich eine Geldbuße hilft in diesem Fall in der Tat wenig.
Die EU ist bei der Regulierung Vorreiter. Stichwort Digital Markets Act.
In Europa ist die Situation eine andere. Das Gesetz über digitale Märkte umfasst bereits eine ganze Bandbreite an Auflagen und Regelungen, über die in den USA jetzt durch Gerichte gefochten wird. Unter anderem ist darin auch geregelt, dass Voreinstellungen gar nicht so ohne Weiteres vorgenommen werden dürfen und dass zum Beispiel Google Suchdaten auch für Wettbewerber öffnen muss.
Google hat einen Marktanteil von 90 Prozent bei der Internet-Suche. Wie gefährlich sind Monopole im Internet?
Monopole sind fast immer schädlich – gerade für Verbraucher. Zum einen, weil sie oftmals zu teuer sind. Das ist im Internet nicht direkt zu beobachten, weil wir das ja scheinbar umsonst benutzen. Und zum anderen, weil Unternehmen durch sie weniger innovativ sind. Besonders schädlich sind Monopole dort, wo die öffentliche Meinung gelenkt und beeinflusst wird. Also eben beispielsweise bei Google oder etwa Facebook.
Muss Google denn aus Ihrer Sicht überhaupt zerschlagen werden?
Das Ziel ist eine verbraucherfreundliche Politik. Das Gericht muss jetzt entscheiden: Was heißt das genau? Sollte Google beispielsweise vom Kartendienst Google Maps getrennt werden müssen, dann macht es diese Entscheidung sicherlich für andere Kartendienste leichter. Aber es ist nicht unbedingt eine verbraucherfreundliche Lösung. Viele Anwender schätzen die integrierte Lösung. Eine Entflechtung würde es den Wettbewerbern natürlich leichter machen, aber man muss aufpassen, dass man dann nicht Lösungen kreiert, die verbraucherunfreundlich sind.
Welche Konsequenzen hätte eine Zerschlagung für den Konzern?
Eine Entflechtung ist immer mit Kosten verbunden. Google wird deswegen mit allen Mitteln versuchen, eine Zerschlagung zu verhindern und andere Lösungen finden, damit der Techkonzern nicht sein komplettes Geschäftsmodell auf den Kopf stellen muss. In gewisser Weise ist das ja auch schon passiert. Google hat bei der Umstrukturierung zu Alphabet schon eine gewisse Entflechtung selber vorgenommen, indem das Unternehmen das Suchmaschinengeschäft teils von anderen Teilen des Geschäfts abgetrennt hat.
Wir haben schon darüber gesprochen: Zuletzt haben sich der Staat und ein Techkonzern vor 20 Jahren vor Gericht über Monopolfragen gestritten. Markiert der Prozess um Google einen Paradigmenwechsel?
Nein. Die Skepsis gegenüber großen Techkonzernen ist in den vergangenen fünf Jahren kontinuierlich gewachsen. Das Verfahren gegen Google brachte die Trump-Regierung ja schon vor drei Jahren auf den Weg. In den USA ist halt jetzt die Einsicht gereift: Die Macht der großen Techkonzerne ist ein bisschen zu groß geworden.
Das Interview ist zuerst bei ntv.de erschienen