Geht es um die Stromproduktion aus erneuerbaren Energie, hat die EU international eine führende Rolle. Aber beim Ausbau der Windenergie hinkt sie im globalen Vergleich hinterher. Anders als bei der Solarenergie, die um ein Viertel zulegte, lag der Zubau bei der Windenergie bei weniger als zehn Prozent im vergangenen Jahr – verglichen mit einer weltweiten Steigerung von 17 Prozent.
Die G7-Industrienationen haben sich erst vor wenigen Wochen erstmals ehrgeizige Ziele auch für die Windenergie gesetzt. Die Umwelt- und Klimaminister wollen bis 2030 gemeinsam rund 150 Gigawatt (GW) Offshore-Windleistung zubauen – was rechnerisch etwa der Leistung von 150 Atomkraftwerken entspricht. Vor allem die USA und Kanada haben hier noch viel ungenutztes Potenzial.
Deutschland bezieht rund ein Drittel des Stroms aus Solar- und Windkraftanlagen. Da dem raschen Ausbau von Windenergie vor allem Onshore langwierige Hindernisse entgegenstehen, konzentrieren sich viele Pläne auf den Offshore-Bereich: Bis 2030 ist schon beschlossen, etwa 26 GW Offshore-Leistung, also Windenergie von hoher See zu installieren.
Bei einer Konferenz von neun Nordsee-Anrainerstaaten soll es jetzt noch ambitionierter zugehen. Sieben EU-Staaten plus Großbritannien und Norwegen wollen sich im belgischen Ostende verpflichten, bis zum Ende des Jahrzehnts die Windenergie-Offshore-Leistung zu vervierfachen. Die Nordsee soll zum grünen europäischen Powerhaus werden. Bis 2030 sollen zusammen 120 GW an den Start gebracht werden, bis 2050 dann weitere 300 GW.
Im vergangenen Jahr lag der Wert der Offshore-Windenergie der neun Staaten nach Angaben der belgischen Regierung bei rund 30 GW. Etwa acht GW kamen aus Deutschland, davon der Großteil aus der Nordsee. Frankreich, Norwegen und Irland wiederum produzierten jeweils deutlich weniger als ein Gigawatt.
Wer aber zeigt schon den größten Ehrgeiz zum Ausbau von Windfarmen auf hoher See? Diese Länder haben die Nase vorn:
Diese Länder vergeben 2023 für Windparks zur See die meisten Lizenzen
Die Insel ist schon weltweit führender Windparkbetreiber auf See. Die Windfarm Hornsea 2 vor der Küste Yorkshires ist laut dem dänischen Betreiber Orsted mit einer Leistung von 1,3 GW und 15 Turbinen von Siemens Gamesa auf Platz eins im Ranking der Offshore-Parks. Bis 2030 wollen die Briten weitere 50 GW mehr Offshoreenergie produzieren. Bei Auktionen für Gebiete am Meeresboden garantiert Großbritannien den Entwicklern einen Strompreis. Mit 13 im März vergebenen Zuschlägen vor allem an Nordsee-Öl- und Gasgesellschaften sind die ersten 5 GW vergeben. Zusätzlich werden 2023 Lizenzen für schwimmende Windkraftanlagen mit bis zu 4 GW Kapazität in der Keltischen See im Atlantik vergeben.
Fundamente für Windanlagen, wie hier in Rotterdam, können im Seeboden bis zu 60 Meter Wassertiefe verbaut werden. Frankreich hat seine Ziele zum Ausbau der erneuerbaren Energie lange verfehlt. Windkraft machte 2021 sieben Prozent im Mix der Primärenergie aus. Nun zeigt Paris mehr Ehrgeiz. Ein neues Gesetz sieht vor, dass vor allem die installierte Kapazität an Land bis 2050 verdoppelt werden. Offshore sind drei Projekte von zusammen 1.450 MW schon im Bau. 2023 stehen konkrete Ausschreibungen vor der bretonischen Küste (250 MW) und im Mittelmeer (250 MW) an. Bis 2030 sollen vorwiegend in der Bretagne und der Normandie weitere sieben Offshore-Anlagen mit insgesamt 5.350 MW ans Netz gehen. Auch schwimmende Windparks vorwiegend vor der Mittelmeerküste sind in Planung.
Die nachhaltige Offshore-Energiewirtschaft war in Italien lange ein totgeglaubter Sektor. Doch nutzbare Flächen für Windenergie auf dem Land werden knapp. Zugleich ist das Land vom Meer umschlossen. Da der Meeresboden meist aber schnell tief abfällt, schieden Windparks mit festen Fundamenten vor der Küste bislang als Option aus. Die Entwicklung schwimmender Anlagen durch Energieunternehmen öffnet nun den Weg, auch außerhalb der Sichtweite von Touristen und Anwohnern Offshore-Windkraftanlagen zu installieren. Es kommen windreiche Gebiete hin zu Tunesien und vor Sardinien in Betracht. 2023, spätestens 2024, sollen Lizenzen für bis zu 1 GW Kapazität vergeben werden.
Wegen der Öl- und Gasindustrie hat Norwegen noch einen langen Weg zur Klimaneutralität. Doch setzte im Bereich der Windenergie vergangenes Jahr eine Revolution ein, weshalb mehr Offshore-Windschiffe wie die „Edda Breeze“ gebraucht werden: Das Direktorat für Wasserressourcen und Energie (NVE) darf seit Ende 2022 neue Lizenzen vergeben. Die ersten Ausschreibungen laufen, ein Fünftel der geplanten Zonen sind freigegeben: zwischen Norwegen und Dänemark und zwischen Stavanger und Bergen. Premierminister Jonas Gahr Störe setzte das Ziel auf 30 GW ausgewiesene Offshore-Windkapazitäten bis 2040. Das sei fast so viel wie die 2022 produzierte Energiemenge. Wegen der Tiefe des Meeres will das Land künftig verstärkt auf schwimmende Anlagen setzen.
Auch in Spanien wurde die Entwicklung der Offshore-Windkraft durch die sehr tiefen Gewässer gebremst, in denen keine festen Fundamente geschaffen werden konnten. Dabei ist die Windkraft auf Land bereits der führende Stromlieferant (s. Bild in Burgos). Mithilfe schwimmender Anlagen will die Regierung nun eine führende Rolle auch bei der europäischen Offshore-Windkraft erreichen. Bis Ende des Jahres sollen dafür Lizenzen im Umfeld der Kanarischen Inseln vergeben werden. Die Ausweisung der Gebiete wurde von der Branche positiv aufgenommen. Die jüngsten Ausschreibungen für Onshore-Wind und Solaranlagen fanden 2022 aber wenig Resonanz.
Taiwan will bis 2050 klimaneutral werden. Ende 2022 kündigte die Regierung Ausschreibungen für sieben Windparks in der Meerenge von Taiwan an, die 3 GW zusätzliche Kapazität erschließen und 2026 bis 2027 ans Netz gehen sollen. Eine weitere konkrete Runde soll im vierten Quartal folgen. Damit ist die Insel in die dritte Phase eines weitreichenden Ausbauplans für Windenergie eingetreten, der auch schwimmende Anlagen und die Installation von Kapazitäten im Umfang von 15 GW vorsieht – schrittweise mit jährlich 1,5 GW von 2026 bis 2035.