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History Wie Zündholz-König Ivar Kreuger die ganze Welt täuschte

Der „Leonardo“ des Betrugs? Ivar Kreugers öffentliches Bild ist so rätselhaft wie das Lächeln der Mona Lisa
Der „Leonardo“ des Betrugs? Ivar Kreugers öffentliches Bild ist so rätselhaft wie das Lächeln der Mona Lisa
© Getty Images
Mithilfe des Zündholzmonopols begründete der schwedische Industrielle Ivar Kreuger sein Imperium. Sein Selbstmord schockierte 1932 die Welt. Erst dann merkte sie, dass Kreuger alle betrogen hatte

Der Mann, der vielleicht Deutschland retten wird, sitzt allein im Hotel Adlon und isst Schokosoufflé und Kaviar, Fleischbrühe und dann ein Eis. In dieser Reihenfolge. Warum bloß in dieser Reihenfolge? Wie so oft bei Ivar Kreuger gilt: Über die Antwort könnte man höchstens spekulieren.

Klar ist: Der mysteriöse Wirtschaftszauberer aus Schweden, den sie in aller Welt „The Match King“ nennen – was mit „Zündholzkönig“ nur sehr dürr übersetzt ist –, hat dem deutschen Finanzminister an diesem 26. Oktober 1929 einen Langfristkredit von 125 Mio. Dollar zugesagt. Den größten Kredit, den je ein Privatmann an einen Staat vergeben hat.

Deutschland braucht das Geld dringend, denn seine junge Demokratie steht schon wieder mit dem Rücken zur Wand. Sie hat im Sommer mit den Siegern des Weltkriegs ein Vertragspaket ausgehandelt, das allen Streit um Reparationen und Besatzung endgültig abschließen soll.

Geschenk des Himmels

Doch der große Architekt der Versöhnung, Gustav Stresemann, ist vor Kurzem gestorben. Die extreme Rechte, die seit Neuestem einen gewissen Adolf Hitler feiert, fordert eine Volksabstimmung über den sogenannten Young-Plan. Die Wirtschaft schwächelt, der Staat ist blank. Kreugers Kredit ist für Berlin ein Geschenk des Himmels. Auch wenn er dafür ein Zündholzmonopol verlangt. Dass auch der „Match King“ mit dem Rücken zur Wand steht, dass auch für ihn dieser Deal die Rettung sein soll, ahnen nur wenige.

Kreuger, der in ein paar Monaten 50 Jahre alt wird, hat in den Roaring Twenties ein globales Wirtschaftsimperium geschaffen, dem die scheinbar endlose Rally an der Wall Street immer neue Mittel zufließen ließ. Seit aber die Börsen wackeln, schwindet das Vertrauen der Anleger und Banken rapide. Kreuger braucht ständig viel frisches Geld, braucht die Rückkehr des Vertrauens – er braucht also einen richtig großen Coup.

Vor ein paar Wochen hat er einem sorgfältig ausgewählten US-Journalisten ein großes Interview gegeben. Es war das erste und einzige – gerade genug, um einen Hype in der gesamten Presse auszulösen. Nächste Woche erscheint das „Time“-Magazin sogar mit Kreuger auf dem Cover. Der Kredit an Deutschland – für den er das Geld erst noch auftreiben muss – ist die große Nummer, die beeindrucken soll. Je beiläufiger sie aussieht, desto besser.

Kreuger besitzt Luxuswohnungen in aller Welt, in Berlin residiert er direkt am Brandenburger Tor. Normalerweise meidet er die Öffentlichkeit. Aber vielleicht ist es ja an diesem Samstagabend ganz nützlich, kurz hinüber ins Adlon zu gehen und sich beim diskreten Feiern zu zeigen? Vielleicht hilft ein etwas kurioses Menü, um die Story von seinem Erfolg in Umlauf zu bringen?

In der Rückschau wirkt das Berliner Solodinner allerdings wie eine vorweggenommene Henkersmahlzeit. Denn an die Ereignisse kurz zuvor wird man sich in Deutschland künftig als den Schwarzen Freitag erinnern, mit dem die Weltwirtschaftskrise beginnt. Als am Montag die New Yorker Börse öffnet – und „Time“ mit dem Kreuger-Titel erscheint –, gibt es für die Kurse erneut kein Halten mehr. Allein bis Dienstagabend fällt der Markt um weitere 25 Prozent. Das Desaster, das daraus folgt, endet für Kreugers Investoren mit geschätzten 400 Mio. Dollar Verlust. Für den „Match King“ endet es mit einem Schuss und einer Kugel im Herz.

BILD
Ivar Kreuger auf einem Foto, das um 1920 aufgenommen wurde

„Schweigen. Mehr Schweigen. Noch mehr Schweigen.“ So hatte Ivar Kreuger sein Erfolgsgeheimnis beschrieben. Dieser Mann ist einfach ein Rätsel. Aber ein so brillantes Rätsel, dass er die ganze Welt fasziniert. Besonders die Finanzwelt. Ein charmanter, gebildeter, zurückhaltender Schwede, zugleich aber welterfahren und mutig, hochintelligent und visionär bis zur Tollkühnheit. Ein globaler Investor, der solide in der realen Wirtschaft zu wurzeln scheint.

Als junger Mann aus der Provinz hat er in Stockholm sein Ingenieurdiplom gemacht und ist hinaus in die Welt gezogen. Hat in Südafrika und in New York an Luxushotels mitgebaut, hat sich in den USA die neueste Technik der Betonarmierung abgeschaut und 1908 mit einem Freund das beste Bauunternehmen Skandinaviens gegründet: Kreuger & Toll, berühmt etwa für das neue Rathaus von Stockholm, wo alljährlich das Nobelpreisbankett stattfindet.

Strategisch geschickt hat er nach dem Krieg das Geschäft aufgerollt, in dem sein Vater herumwurstelte: Streichhölzer. Ein kleines, aber keineswegs triviales Produkt, das die Raucher, Köche und Kerzenanzünder der Welt täglich in Massen benötigen. Kaum einer achtet auf den Preis, die Nachfrage ist extrem stabil. Kreuger bündelt die zersplitterte Branche, seine Holding Svenska Tändsticks nutzt Größenvorteile – und die Macht des Monopols: Man kann höhere Preise verlangen.

Eng mit Greta Garbo

Nebenbei amüsiert sich der Erfolgsunternehmer Anfang der 20er-Jahre auch noch im Geschäft mit den bewegten Illusionen. Kreuger ist ein Hauptfinanzier der neuen schwedischen Filmwirtschaft, man erzählt sich, er habe die junge Greta Gustafsson entdeckt. Der enge Kontakt bleibt erhalten, auch als beide später die bekanntesten Schweden der Welt sind – und Greta ihren Künstlernamen Garbo trägt. Feste Liaisons, Ehe, gar Familie meidet Kreuger allerdings genauso, wie es die göttliche Diva tut. In seinen Palästen lebt er allein. Nur seine Nachbarin in Stockholm, die Pianistin Ingeborg Eberth, ist eine private Vertraute.

Die große Eroberung, die er sich stattdessen vorgenommen hat, heißt Amerika. Als Markt für seine Produkte sind die USA kaum zu knacken, zumal es dort – anders als in Europa – strenge Anti-Trust-Gesetze gibt. Doch das Land schwimmt geradezu in Kapital. Während Europa sich im Krieg ruinös verausgabt hat, scheint die Wall Street kaum zu wissen, wo sie all den neuen Reichtum aus Amerikas Nachkriegsboom unterbringen soll. Kreuger erkennt, dass sich da eine Menge bewegen lässt – und verkauft den USA nicht Streichhölzer, sondern Wertpapiere.

Ein tatkräftiger Aufsteiger beim traditionellen Bankhaus Lee, Higginson & Co. wird der perfekte Partner für den „Match King“: Gemeinsam mit Kreuger entwickelt dieser Donald Durant ab 1923 innovative Papiere, mit denen Amerikas Anleger an der Expansion eines genialen Schweden teilhaben sollen.

International Match heißt die neue US-Holding, die Kreuger faktisch allein kontrolliert. Sie zahlt spektakuläre Dividenden, und sie hat eine große Story: Land um Land will sie die Welt mit hochprofitablen Zündholzmonopolen besetzen. Sie wird klammen Regierungen Geld leihen, und diese Kredite werden jeweils durch das eingeräumte Monopolrecht abgesichert. Eine clevere Idee, die das Risiko der gefürchteten Staatsbankrotte deutlich entschärft.

1924 gelingt der erste Deal mit Polen, Kreuger beschafft sich weiteres Eigenkapital, indem er neuartige Vorzugsaktien emittiert: Unternehmensanteile ohne Stimmrecht, die alle Macht in seinen Händen lassen. Wie die Geschäfte wirklich laufen, ist für keinen so richtig zu erkennen. Aber die Dividenden fließen, und die Aktie läuft sensationell. Aus dem Industriellen Kreuger wird ein Finanzier der Welt, ja beinahe ein Staatsmann: Die Kredite, die er mit Lee, Higginson & Co. in das ausgeblutete Europa pumpt, tragen dort wesentlich zum Aufschwung bei. Den „Ein-Mann-Marshallplan“ wird man ihn später einmal nennen. Der Kredit an Deutschland ist eine neue Großtat auf diesem Weg.

Ivar Kreuger in seinem Büro in Stockholm
Ivar Kreuger in seinem Büro in Stockholm
© Gemeinfrei

Aber je deutlicher ab Herbst 1929 wird, dass die Weltwirtschaft einen brutalen Wettersturz erlebt, desto enger wird es auch für Kreuger. Seine Geldgeber werden unruhig, in seinen Zahlen werden plötzlich Ungereimtheiten entdeckt. Der „Match King“ selbst scheint zu kränkeln, ist kaum greifbar, zieht sich immer tiefer in seine Paläste zurück.

Am 12. März 1932 dann fällt der Schuss: In seiner Wohnung in Paris zielt der Finanztitan mit einer tags zuvor gekauften 9-mm-Browning direkt auf sein Herz.

Es ist der Samstag, an dem die französische Hauptstadt Aristide Briand begräbt, den Friedensnobelpreisträger und politischen Partner Stresemanns. Am nächsten Tag wird in Deutschland ein neuer Reichspräsident gewählt, gegen den greisen Amtsinhaber Hindenburg kandidiert ein siegesgewisser Adolf Hitler (der am Ende verliert). Die Goldenen Zwanziger sind endgültig vorbei. Aber es dauert ein paar Wochen, bis die ganze Wahrheit herauskommt.

Auf Trauer folgt Entsetzen

Anfangs herrschen Schock und Trauer: „Das eben wieder langsam aufkeimende Vertrauen der Weltwirtschaft und des Weltkapitals hat einen schweren Schlag erhalten“, meldet das deutsche Eliteblatt, die „Vossische Zeitung“. In Paris sei „der bedeutendste und eigenartigste unter den großen Konzernschöpfern der Last der Arbeit und Sorge erlegen“. Einer, dessen Werk „kein Spekulationsprodukt, sondern organisch gewachsen“ sei. Deutschland habe „einen warmen Freund verloren“.

Die Londoner „Times“ erinnert an einen Mann, der bis zuletzt „über jeden persönlichen Verdacht erhaben“ gewesen sei. Der „Economist“ preist eine „Kraft des Guten“, die kurz davor gewesen sei, „privaten Unternehmerprofit mit einem echten Beitrag zum Wohle der Nationen zu verbinden“.

Einen Monat später macht sich blankes Entsetzen breit: Die Wirtschaftsprüfer haben festgestellt, dass die Bilanzen seit Jahren vom „König“ selbst gefälscht wurden. Auch Lee, Higginson & Co. gesteht schockiert, „dass Mr Kreuger schwere Betrügereien begangen hat“. Die Bank ist durch den Skandal erledigt.

Nun wird auch den Gutgläubigsten klar, dass Kreugers Profite nie so gewaltig waren, dass sie die üppigen Dividendenzahlungen gedeckt hätten – obwohl Kreuger 1930 rund 60 Prozent der Weltproduktion an Zündhölzern kontrollierte und in 33 Ländern über ein Monopol verfügte.

Fehlende Transparenz

Das Zündholzmonopol hatte in der Bundesrepubik bis 1983 Bestand
Das Zündholzmonopol hatte in der Bundesrepubik bis 1983 Bestand - Foto: Wikipedia (CC BY-SA 3.0)
© CC BY-SA 3.0 DE / Wikipedia

Zwar verdiente der „Match King“ mit den Zündhölzern tatsächlich Geld. Aber eben nicht genug. Die zweistellige Dividende konnte er seinen Aktionären nur zahlen, indem er das frisch eingesammelte US-Kapital gleich wieder ausschüttete – das klassische Muster eines Schneeballsystems. Seine Deals konnten nur aufgehen, wenn stets ein noch größerer Deal folgte. Und wenn am Ende vielleicht einmal das Weltmonopol für Zündhölzer stehen würde.

Das funktionierte über fast zehn Jahre, weil Kreuger Geldgebern und Wirtschaftsprüfern sorgfältig den genauen Einblick in die Geschäfte verwehrte. Strenge Wertpapiergesetze und Publizitätsvorschriften erlassen die USA erst 1933/34 – nach dem Kreuger-Skandal. In den Roaring Twenties nahmen es viele Unternehmen mit ihren Zahlenveröffentlichungen nicht so genau.

Ivar Kreuger war ein Perfektionist der Vertuschung und der Schachtelkonstruktionen. Etwa 400 Firmen gehörten am Ende zu seinem internationalen Beteiligungsgeflecht aus Schubladen- und Briefkasten-unternehmen, leeren Mänteln, Dummys und Gesellschaften, die man 80 Jahre später wohl als special purpose vehicles bezeichnet hätte.

Forderungen und Verbindlichkeiten, Wertpapiere und Cash konnte er in dem Geflecht nach Belieben verschwinden und auftauchen lassen, manchmal aus dem Nichts. Einige der wichtigeren Einheiten hatten zwar auf dem Papier eigene Chefs. Doch die waren Strohmänner und Handlanger, teils erpressbare Gestalten, die sich beliebig steuern ließen. Der Einzige, der die gesamte Konstruktion kannte, durchblickte und lenken konnte, war Kreuger persönlich. Der gefeierte Zündholz- war in Wahrheit vor allem ein Schachtelkönig.

Geschäftspartner und Geldgeber, aber auch die Wirtschaftsprüfer seiner börsennotierten Gesellschaften wurden zwar hier und dort stutzig. Doch am Ende vertrauten sie alle dem beeindruckenden Schweden. Dass dessen Monopol-Deals hochpolitisch und daher streng vertraulich waren, leuchtete ja jedem ein.

Bloß half die Geheimniskrämerei allein nichts mehr, als in der Krise das frische Geld von der Börse nicht mehr so sprudelte. Kreuger brauchte immer ausgefallenere Tricks. Seine Aktionäre und die Staaten, denen er Kredit versprochen hatte, erwarteten Cash. Woher nehmen, wenn nicht stehlen?

Die Kreditzusage an Deutschland hätte Kreuger beinahe schon im Frühjahr 1931 ruiniert. Wie vereinbart hatte Berlin 1930 das Zündwarenmonopol errichtet. Nun sollte die zweite Tranche des Kredits, rund 100 Mio. Dollar, ausgezahlt werden. Kreuger hatte das Geld nicht, und er fand zunächst auch keinen, der ihm inmitten der Krise genug geliehen hätte. Was er sich vorsorglich und klammheimlich beschafft hatte, war allerdings ein Paket italienischer Schatzanweisungen. Oder genauer: ein Paket mit 42 Spezialvordrucken, die exakt so aussahen. Kreuger fabrizierte kurzerhand seine eigenen Italien-Bonds. Und schuf sich damit zusätzliche beleihbare Sicherheiten.

Die italienischen Unterschriften, die er eigenhändig in die Urkunden setzte, waren plumpe Fälschungen. Für die Nachwelt der empörendste Beweis seiner kriminellen Energie. In der Not halfen sie ihm aber erst einmal weiter.

Im Sommer 1931 jedoch musste Kreuger seine eben erst erworbene Telefonfirma Ericsson an ITT verkaufen. Die Amerikaner merkten schnell, dass Kreuger vor dem Verkauf Ericsson weitgehend geplündert hatte. Sie verlangten den Kaufpreis zurück. Kreuger hatte das Geld nicht. Er hatte auch keines, um weiter die berühmten Dividenden zu zahlen. An der Börse drohte damit der finale Absturz. Irgendwie rettete er sich über die nächsten Monate, doch Donald Durant, sein New Yorker Banker, wurde immer nervöser, forderte ein Treffen und endlich Aufklärung. Für den 12. März 1932 waren sie in Paris zum Lunch verabredet – Durant wartete vergeblich.

Mordauftrag von Stalin?

War Ivar Kreuger also ein Schurke? Oder selbst ein Opfer der Krise? Ein tragischer Held, gebrochen von einer schlimmen Zeit? Dass er die Anleger spätestens ab 1923 bewusst und systematisch täuschte, steht außer Frage. Dass er daraus eine neue, geradezu geniale Kunst machte, gestehen ihm Historiker zu. Den „brillantesten und ehrgeizigsten Betrüger aller Zeiten“ nennt ihn der „Economist“.

Kreugers Motive bleiben aber unklar. Für die einen war er eine Art Raskolnikoff, ein Verbrecher, der sich am eigenen Genie berauscht und deshalb den Kitzel des Kriminellen sucht. Für die anderen war er der Visionär einer besseren Welt, der sich eben nicht durch Erbsenzählereien aufhalten lassen wollte.

Wildeste Spekulationen reißen bis heute nicht ab. Einige schwedische Autoren bezweifeln sogar, dass es in Paris tatsächlich einen Selbstmord gab. Manche Indizien blieben durchaus widersprüchlich. Wurde Kreuger etwa im Auftrag von Stalin ermordet, dem Rivalen am Zündholzmarkt? Gab es überhaupt einen Toten? Der Sarg, in dem der Schachtelkönig zu Grabe getragen wurde, soll nämlich verdächtig leicht gewesen sein.

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