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Gastkommentar Gut gezielt, schlecht getroffen

Die neue Sanktionen gegen Russland sind zwar sehr präzise gewählt, könnten aber politisch wirkungslos bleiben
Russlands Präsident Putin demonstriert Stärke
Der russische Präsident Putin muss nun überlegen, ob und wie er auf Sanktionen reagiert
© Getty Images

Ulrich Kater ist Chefvolkswirt der Dekabank, dem Wertpapierhaus der deutschen Sparkassen-Finanzgruppe.

Auf den ersten Blick sind die neuen EU-Sanktionen sorgfältig ausgewählt, um in der russischen Wirtschaft und Administration durchaus schmerzhaft auszufallen, aber gleichzeitig im europäischen Wirtschafts- und Finanzsystem keine Flächenschäden anzurichten. Die EU-Staaten haben ein Exportstopp von Rüstungs- und Hochtechnologiegütern beschlossen sowie die den Zugang von russischen Staatsbanken zu westeuropäischen Finanzmärkten eingeschränkt. Diese Sanktionen können zwar einzelne westliche Firmen unter Umständen deutlich beeinträchtigen, gesamtwirtschaftlich fallen sie jedoch nicht ins Gewicht. Der deutsche Export nach Russland in Relation zum BIP liegt knapp über einen Prozent, wobei man berücksichtigen muss, dass Exportzahlen Umsatz- und keine Wertschöpfungszahlen sind, die tatsächliche rechnerische Bedeutung für die gesamte deutsche Wirtschaftsleistung liegt damit noch niedriger.

Umgekehrt können in Russland die Ausfälle nicht ohne weiteres kompensiert werden, da eine Umstellung auf andere Lieferanten oder Eigenproduktion Zeit benötigt, wenn sie überhaupt gelingt. In der kurzen Frist noch schmerzhafter dürften für Russland die Einschränkungen des Kapitalmarktzuganges ausfallen. Zwar reichen die beachtlichen Währungsreserven von zurzeit etwa 470 Mrd. US-Dollar zur Deckung der kurzfristigen Verschuldung vom Staat und Privatsektor von über 80 Mrd. US-Dollar mehr als aus. Doch insgesamt beträgt die Auslandsverschuldung Russlands aktuell über 700 Mrd. US-Dollar, was die Abhängigkeit des Landes von internationalen Kapitalmärkten aufzeigt. Nun werden die Finanzierungskosten nicht nur für die sanktionierten Finanzinstitute ansteigen, sondern für alle russischen Emittenten, den Staat inklusive – mit gravierenden Konsequenzen für die Investitionstätigkeit und die Wirtschaftsdynamik.

Verbot um Verbot, Sanktion um Sanktion – der EU-Beschluss könnte der Beginn einer Konfliktspirale sein

Aber die tatsächlichen Folgen der neuen Beschränkungen liegen womöglich eher darin, dass sie den Einstieg in eine Spirale von Sanktionen und Gegensanktion darstellen können. Die eigentliche Enttäuschung der vergangenen Wochen ist, dass die bisherige wirtschaftliche Sanktionsstrategie politisch vollkommen wirkungslos geblieben ist. Ob dies mangelndem Wille oder mangelnden Einflussmöglichkeiten zuzuschreiben ist, mögen Politikexperten beurteilen. Wenig spricht allerdings dafür, dass die jetzige Verschärfung der Maßnahmen andere Resultate hervorbringt. In einer politisch gespaltenen Weltwirtschaft und bei einer Volkswirtschaft von der Größe Russlands geht es ja nicht nach der Logik einer Belagerung oder Blockade, in der die eingeschlossene Stadt irgendwann aus Mangel an Nahrungsmitteln kapitulieren muss. Zwischen westeuropäischen Ländern und Russland herrscht eine gegenseitige Abhängigkeit: Während Russland gerne auf die Leistungen des Wirtschafts- und insbesondere Finanzsystems des Westens zurückgreift, ist Westeuropa angewiesen auf Energielieferungen aus Russland. Wer da am längeren Hebel sitzt, wäre erst einmal zu testen.

Mit zunehmender Unbequemlichkeit für die russische Politik besteht zunehmend die Gefahr von Reaktionen und Überreaktionen. Da es aus politischer Sicht des Westens allerdings keine akzeptable Alternative zur Sanktionspolitik gibt und auch wirtschaftliche Schäden bis zu einem gewissen Grad hier kein Hindernis darstellen können, tun die Märkte gut daran, sich auf einen solchen Test einzustellen. Die neuerliche Sanktionsrunde aus den USA und jetzt aus Europa ist an den europäischen Aktienmärkten bereits im Vorfeld mit Abschlägen begleitet worden. Das zeigt, wo es bei neuen Sanktionsrunden hingehen würde.

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